Video Games I

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Toni kam tatsächlich an diesem Abend zu Viktor und ich tat so, als würde ich schlafen und versuchte, alles auszublenden.

Doch all diese Leere in mir, jeder Schutzwall und die tiefste Stelle meiner inneren Höhle konnte mich niemals ganz vor Tonis Anwesenheit schützen. Sie tat einfach so unglaublich weh und jedes Wort, das ich aus seinem Mund hörte und jeder Hauch seines Geruchs vergrößerte die unerträgliche Sehnsucht in mir.

Doch er war ein Arsch und ich war ein stummer, beleidigter, leidender Höhlenbewohner und deswegen ignorierte ich ihn und er ignorierte mich. So war das eben.

Ich wollte wirklich einfach nur weg oder wenigstens nichts davon mitbekommen, was Toni und Viktor machten, aber es half nichts. Ich konnte zwar in meine Höhle kriechen, aber jedes Mal, wenn Toni redete oder durch den Raum lief, registrierte ich das schmerzlich.

Machtlos hörte ich also den Gesprächen von Viktor und Toni zu. Sie schienen sich wirklich gut zu kennen und hatten wohl eine gute Zeit, dennoch lachte Toni nur ein einziges Mal. Bei meinen Behandlungen hatte er dauernd gelacht.

Irgendwann begann Viktor, Toni Anweisungen zu geben. Anscheinend wollten sie etwas am Fernseher verkabeln oder so. So hörte es sich jedenfalls an. Doch ich öffnete nicht die Augen, auch wenn ich ganz gerne gewusst hätten, was sie da machten. Denn noch lieber wollte ich einfach unsichtbar sein.

Bald hörte ich Geräusche aus dem Fernseher und einen triumphierenden Ausruf von Viktor. Fröhliche Musik ertönte und bald vernahm ich ein vertrautes Klicken. Controller. Toni und Viktor hatten eine Konsole angeschlossen.

Beide spielten zusammen irgendein Spiel. Sie hatten wohl viel Spaß und so dauerte es eine Ewigkeit bis Toni sich endlich von Viktor verabschiedete und ging. Kaum merklich atmete atmete ich tief aus.

Ich hielt meine Augen noch kurz geschlossen, öffnete sie dann aber vorsichtig. Ich sah Viktor auf seinem Bett sitzend, wie er konzentriert auf den Fernseher starrte und mit seinem Controller ein kleines Männchen in einen Kampf schickte.

Ich konnte nicht anders, als fasziniert zuzusehen. In meinem früheren Leben war ich auch leidenschaftlicher Gamer gewesen.

Es machte mir viel Spaß ihm zuzusehen, das musste ich mir widerwillig eingestehen. Es hatte etwas hypnotisierendes und befriedigendes und war eine willkommene Abwechslung. Und so schaute ich Viktor wohl stundenlang still beim Rennen, Springen und Kämpfen zu und fieberte mit. Viktor selbst schien das überhaupt nicht zu bemerken, so vertieft war er in sein Spiel.

Irgendwann, nach einem ziemlich ärgerlichen Tod, drehte er sich aber völlig unerwartet zu mir um und schaute mir direkt in die Augen. Ich drehte meinen Kopf weg, doch mir war klar, dass er sehr wohl gemerkt hatte, dass ich ihm zugeschaut hatte.

Vorsichtig drehte ich mich wieder zu ihm um. Viktor schaute mich noch immer an und ich erwartete seine Reaktion. Ich hatte überhaupt keine Lust, dass er ausrastete oder so, doch zu meiner Überraschung zuckte nur ein Mundwinkel von ihm leicht und dann drehte er sich wortlos wieder dem Fernseher zu.

Ich verstand sein Friedensangebot und schaute weiter still zu.

Viktor hatte eine bemerkenswerte Ausdauer. Die Zeit verging. Irgendwann war es Mitternacht, dann 1, 2, 3, 4 Uhr und die ganze Zeit saßen wir wortlos nebeneinander und konzentrierten uns auf das Spiel. So erschreckte ich mich auch ziemlich, als Viktor gegen halb 5 plötzlich etwas sagte.

"Rechts oder Links?"

Ich war kurz verwirrt, realisierte dann aber, was gemeint war. Vor einiger Zeit war Viktor schon einmal an dieser Stelle gewesen und hatte in der Nähe eine Schatztruhe gefunden, an die er zu der Zeit noch nicht heran kommen konnte. Jetzt war er aber deutlich weiter und wollte sie wohl holen, wusste aber scheinbar den Weg nicht mehr. Aber ich wusste ihn.

"Links", sagte ich.

Viktor nickte nur und folgte meinem Rat. Mir war gar nicht bewusst, dass das gerade das erste Wort war, dass ich zu ihm gesprochen hatte.

Wir spielten die ganze Nacht durch, Seite an Seite, in einem stummen Übereinkommen, bis schließlich die ersten Schwestern das Frühstück vorbeibrachten.

Als Viktor dann zu einer Voruntersuchung seiner anstehenden OP abgeholt wurde, fühlte mein Körper sich wie gerädert an. Meine Augen, mein Kopf und mein Nacken taten weh und in meinem Kopf drin herrschte Suppe.

Aber irgendwie ging es mir gleichzeitig auch so gut wie lange nicht mehr. Ich kann es schlecht beschreiben, aber ich hatte das Gefühl, dass dieses Videospiel mir ein Stück Freiheit gegeben. Ablenkung und Inspiration und damit auch Zufriedenheit. Irgendwo regte sich beinahe vergessene und neuartige Lebensfreude.

Als Vik dann schließlich wiederkam stürzten wir uns direkt wieder in die virtuelle Welt hinein und reizten wie sie Irren ohne Pause alle Zeit aus, bis er zu seiner Operation musste.

Bevor er jedoch mit seinem Bett aus dem Zimmer geschoben wurde, schaute Vik mich noch vielsagend an, hob den Controller und legte ihn auf meinen Nachttisch. Dann war er weg.

You Restore Me - Tonia Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt