Bunte Haare

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"Woran denkst du?", fragte Toni, während ich unter Anstrengung ein Kinder-Steck-Spielzeug bearbeitete. Inzwischen konnte ich meine Arme schon gut bis auf eine gewisse Höhe heben und auch meine Finger waren nicht mehr so steif. Meinen Kopf konnte ich ja sowieso schon sehr frei bewegen, neu war aber, dass mein Oberkörper kräftiger geworden war, sodass ich ihn schon ein wenig aus eigener Kraft anheben konnte.

Jetzt gerade waren meine Gedanken jedoch nicht dabei, sondern bei dem blauhaarigen Clown Rezo.

"Woran denkst du?", wiederholte Toni. Er hatte mir wohl angesehen, dass da etwas war, das in meinem Kopf kreiste.

"Haare", sagte ich heiser. Das Sprechen war noch immer mühsam, aber ich merkte, dass es mir immer leichter fiel.

Toni legte seinen Kopf schief:
"Wie?"

"Ich will... bunte Haare."

Toni schmunzelte. "Okay..."

Ich musterte ihn, um zu ergründen, was er dachte, konnte ihn aber nicht einschätzen.

Eine Weile saßen wir still beieinander. "Mach weiter.", sagte Toni in die Stille. Ich hatte gar nicht gemerkt, dass ich mit der Übung aufgehört hatte. Aber ich hatte sowieso keine Lust und so presste ich erneut hervor: "Haare, Toni!"

"Wie solle ich dir bitte hier deine Haare färben?", fragte er jetzt und ich lächelte ihn herausfordernd an. "Schaffst du schon."

Toni versuchte, ein Grinsen zu unterdrücken, was ihm aber nicht wirklich gelang. "Vielleicht überleg ich mir was... Wenn du jetzt weiter machst."

Seufzend und Toni gespielt böse anschauend gab ich mich geschlagen. Ich tat es für meine neuen Haare.

Tatsächlich hielt Toni Wort. Noch am selben Abend, so spät, dass ich eigentlich schon fast schlafen wollte, steckte er grinsend seinen Kopf in mein Zimmer, gefolgt von meiner Physiotherapeutin Anni, welche einen großen Koffer hinter sich her zog. Nach den beiden schlich auch noch Ju mit der Aussage, er wolle auch am Spektakel teilhaben, in mein Zimmer.

"So!", sagte Anni strahlend und hiefte ihren Koffer auf eine Kommode, "Was darf es denn sein? Ich habe aaaalle Farben im Angebot."

Fast zärtlich strich sie mit der Hand über ihren Koffer. Ju, welcher lässig mit verschränkten Armen neben Toni an der Wand lehnte, zischte zu seinem Nachbarn: "Das ist nicht mehr normal mit ihren Haarprodukten. Jede Woche färbt sie meine Haare in einer neuen Farbe nur um sie dann wieder in einer normalen Farbe zu übertönen, weil ich keinen Bock hab, dauernd ein anderer Teil des Regenbogens zu sein." Toni lachte leise.

Anni bekam das jedoch gar nicht mit, denn sie war voll in ihrem Element. Enthusiastisch zauberte sie Proben der wildesten Farben aus ihrem Koffer und hielt sie mir an den Kopf.

Auch ich spürte eine freudige Aufregung.  Ich hatte es in die Hand genommen und jetzt machte ich tatsächlich so etwas Verrücktes, das war echt cool. Außerdem freute ich mich darauf, mit gefärbten Haaren bald endlich wieder mehr ich selbst werden zu können.

Eine Zeit lang probierten wir die verschiedensten Farben aus. Von Braun über Lila bis hin zu Knallgrün und die ganze Zeit strahlte ich vor Freude übers ganze Gesicht.

Schließlich hatten Anni und ich in gemeinsamer Absprache eine Auswahl an Farben zusammengestellt, aber ich konnte mich absolut nicht entscheiden, welche es letztendlich werden sollte. Eigentlich wollte ich alles.

Da meldete sich Toni zu Wort: "Ist doch ganz einfach." Entschlossen lief er zu Annis Koffer und holte eine knallpinke Tube heraus. Frech hielt er sie mir unter die Nase, während Ju zu lachen begann.

Nachdenklich sah ich die vor mir baumelnde Packung an. Warum eigentlich nicht? Wäre eben mal etwas Radikales. Ich hatte kein Problem mit sowas.

Aber wenn er frech sein wollte, bitte. Selbst dran Schuld, wenn er das dann zurückbekam.

"Okay", sagte ich und man sah die Überraschung in Tonis Gesicht geschrieben sehen. "Aber Toni nimmt blau."

"Warte, was?", rief Toni geschockt, während Anni sich, entzückt von der Idee, einen hellen Blauton schnappte und an Tonis verdutztes Gesicht hielt. Jetzt war ich an der Reihe, mich zusammen mit Ju kaputtzulachen.

"Perfekt!", schwärmte Anni, "Dann bekommt Nia pink und Doktor Pirosa blau, das wird super aussehen! Ich bereite direkt alles vor."

Der gute Toni schaute ziemlich dumm aus der Wäsche und realisierte wohl nicht, dass mit jeder Sekunde, in der Anni sein wunderschönes Himmelblau anmischte, seine Chancen, diesen Raum mit schwarzen Haaren zu verlassen, drastisch sanken.

Endlich regte er sich, fuchtelte mit den Armen in der Luft herum und rief: "Halt, halt, halt!" Offensichtlich hatte er gerade erkannt, was da auf ihn zu kam. Fieberhaft suchte er nach Hilfe, aber keiner im Raum würde ihn da rausholen.

Ich holte tief Luft. "Sei...  nicht so ein Schisser", sagte ich genüsslich und so laut ich konnte, was noch nicht sehr laut war, aber dennoch mit heftigem Herzklopfen.

Empört baute sich Toni vor mir auf und hob drohend einen Finger: "Sie haben mir hier gar nichts zu sagen, Herr Cavaon! Ich bin Ihr Arzt und Ihnen damit übergestellt, also wäre ich ein wenig vorsichtig in Ihrer Wortwahl!" Ich zog eine Grimasse.

Schließlich musste sich Toni aber doch geschlagen geben. Selbst dran Schuld. Aber blaue Haare würden ihm sicher wunderbar stehen.

Anni machte sich ans Werk, wobei ich alle Kraft aufwenden musste, um sie davon abzuhalten, meine Haare, die endlich ein wenig gewachsen waren, zu schneiden.

Schließlich gab sie jedoch nach und begann damit, die Farbe aufzutragen. Bei mir war es ziemlich kompliziert, da ich noch immer nicht wirklich sitzen konnte und so mussten wir uns ganz schön verrenken, um mir die Haare mit einem mobilen Haare-Wasch-Gerät (Hat das eigentlich einen Namen?) zu waschen und schließlich die Farbe aufzutragen. Für die Einwirkungszeit wurde mein ganzes Bett dann mit einer dicken Schicht Zeitung bedeckt.

Ich war sehr dankbar, dass Anni die ganzen Mühen auf sich nahm und auch Ju und Toni halfen tatkräftig. Es war wirklich toll, hier solche Menschen zu haben.

Nach mir kam dann Toni dran, was grundsätzlich zwar deutlich einfacher war, aber nicht entspannter, denn er meckerte und jammerte die ganze Zeit kläglich, halb zum Spaß, aber auch halb ehrlich verzweifelt über die Situation. 

Nach getanem Werk stemmte Anni schließlich die Arme in die Seiten. "Sehr gut", sagte sie stolz, "Jetzt noch 40 Minuten einwirken lassen und dann auswaschen."

Sie schaute auf ihr Handy, machte große Augen und wirbelte dann zu Ju um. "Ju! Es ist schon fast 11 Uhr!", quietschte sie. Dieser schlenderte jedoch seelenruhig auf sie zu und legte seinen Arm um ihre Taille. "Schaffen wir noch", räumte er ihr mit einem leichten Lächeln ins Ohr.

"Was?", fragte Toni leicht panisch.

"Wir müssen jetzt weg", entgegnete Anni mit einem eindeutigen Blick auf Ju, "Aber der Rest ist nicht schwer, das schafft ihr schon. Einfach eine Dreiviertelstunde warten und dann gut ausspülen."

Daraufhin drehten sich beide rum und gingen Hand in Hand die Tür hinaus. Fassungslos schüttelte Toni den Kopf.

You Restore Me - Tonia Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt