Presse

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Ich komme raus. Und zwar bald!

Es war zwar schon einen halben Tag her, seit wir diese Entscheidung getroffen hatten, aber ich konnte es noch immer kaum glauben.

Toni hatte gesagt, er würde sich darum kümmern und es würde nicht so lang dauern. Ich sollte nur abwarten und genießen.

Und das tat ich auch. Wieder und wieder sagte ich mir mit einem seligen Lächeln auf den Lippen vor, dass ich bald rauskommen würde und konnte nicht verhindern, dass ich ab und zu leise kichern musste.

Es konnte nicht schnell genug gehen und so hielt ich meinen Blick immer auf meine Tür geheftet, in der Erwartung, dass Toni gleich herein kommen und mich mitnehmen würde.

Irgendwann wurde sie tatsächlich aufgestoßen, aber es war nicht Toni, der da ohne Vorwarnung in mein Zimmer rauschte, sondern ein fremder Mann. Er war relativ jung, hatte einen Mantel an und eine Mütze auf dem Kopf und trug eine Ledertasche bei sich, die von Unterlagen nur so überquoll. Alles in allem wirkte er nicht so, als würde er zum Krankenhaus selbst gehören.

Neugierig beobachtete ich, wie der Neuankömmling sich schwer atmen im Zimmer umsah und schließlich "Moin moin" zu mir sagte.

Ohne zu zögern schnappte er sich einen Stuhl und setzte sich an meine Seite.

"Also Hallo erstmal", sagte er und reichte mir stürmisch die Hand, "Mein Name ist Herr Newstime und ich bin Reporter bei der Zeitung YourNews. Eigentlich darf ich dich erst in einer halben Stunde interviewen, aber ich bin gerne zeitnah am Geschehen."

Er wartete keine Antwort von mir ab, sondern begann, in seinen Sachen rumzukramen, während ich nicht mehr herausbrachte, als ein überraschtes "Was?"

Herr Newstime schaute ein wenig verwirrt auf, meinte aber dann nur: "Also ich habe ja schon einmal einen Artikel über dich geschrieben und der kam wirklich gut bei den Lesern an und jetzt darf ich dich für meinen zweiten Artikel endlich auch interviewen."

Er holte ein kleines Gerät aus seiner Tasche, welches wahrscheinlich ein Diktiergerät war, zählte leise von drei rückwärts und schaltete es dann ein.

"So moin moin, es ist Dienstag, der 27. und ich bin hier bei Nia Cavaon, dem Jungen, der fünf Jahre im Koma lag. Nia: Vielen Dank, dass du dir Zeit genommen hast. Kannst du den Lesern noch einmal kurz erzählen, wie es zu deinem Koma kam?"

"Ich... Ähm...", stammelte ich, noch immer ein wenig perplex von der Situation.

Doch ich kam gar nicht dazu, meinen Satz zu beenden, denn plötzlich klopfte es und ein weiterer Mann betrat mein Zimmer. Er war ein bisschen älter, und größer, hatte aber mindestens genau so viele Unterlagen dabei, wie Herr Newstime.

Dieser war herumgewirbelt und jetzt starrten sich beide Männer fassungslos an und riefen schließlich entgeistert: "Was machst du denn hier???"

Der Neue ergriff zuerst das Wort: "Also ich weiß ja nicht, was du hier willst, aber ich für meinen Teil habe einen Interviewtermin!", sagte er mit polternder Stimme und setzte sich an an die andere Seite meines Bettes. Er ignorierte den finster blinkenden Herr Newstime und sagte zu mir: "Ich bin übrigens Mr. Trashpack von der WhatHappened?-Zeitung."

"Halt, halt, halt, halt!", protestierte Herr Newstime nun, "Es kann gar nicht sein, dass du hier einen Termin hast, denn ich habe schon einen Termin!"

"Natürlich habe ich einen Termin, willst du das Formular sehen?", gab Mr Trashpack zurück.

"So?", blaffte Herr Newstime, "Wann war denn dieser Termin?"

"Vor einer halben Stunde, na und?", gab Mr Trashpack zurück, "Wann ist deiner denn?"

"In einer halben Stunde."

Kurzes Schweigen und ärgerliches Kopfschütteln von beiden Seiten. Ich fand es faszinierend, zu sehen, wie ähnlich sich beide Reporter doch verhielten, obwohl sie augenscheinlich so unterschiedlich waren.

"Dann darf ich wohl zuerst", unterbrach Herr Newstime die Stille, "Wer zuerst kommt, mahlt zuerst."

"Aber während du noch in der Ausbildung bist, bin ich ausgebildeter Journalist und deswegen habe ich wohl Vorrang", behauptete seinerseits Mr. Trashpack und fügte leise hinzu: "Euch will doch sowieso keiner lesen..."

Nun sprang Herr Newstime auf. "Sag das nochmal!", schrie er und hob eine Faust.

Jetzt ging das alles zu weit. "Stoop!", rief ich so laut ich konnte und tatsächlich hielten beide Streithähne inne.

"Dann interviewt mich doch einfach gemeinsam", schlug ich vor.

"Nein!", platzte Herr Newstime heraus und auch Mr Trashpack schüttelte heftig den Kopf. "Unsere Zeitungen sind Feinde", sagte er bestimmt.

"Wie schaade", sagte ich gedehnt, "dann geht es wohl leider gar nicht mit euren Interviews, weil ich habe gleich einen wichtigen Termin und dann habe ich leider, leider keine Zeit mehr für Interviews." Ich setzte ein trauriges Gesicht auf, während beide Reporter mich mit maximaler Entgeisterung anstarrten.

Triumphierend beobachtete ich, wie Herr Newstimes Kiefermuskeln zu zucken begann. Aus Mr Trashpacks Gesicht konnte man keine Reaktion lesen, aber genau das verriet mir, dass auch er wohl angestrengt nachdachte.

"Wenn's sein muss", sagte Herr Newstime schließlich mit zusammengebissenen Zähnen. Mr Trashpack setzte zu einem Konter an, blickte dann jedoch auf mich und nickte dann langsam.

Ich grinste, während Herr Newstime erneut sein Diktiergerät zückte: "Ich fang aber trotzdem an!"

Das Interview war sehr emotional für mich. Ich hatte das Gefühl, noch einmal alles, was mir seit meinem Erwachen passiert war, bis zu diesem Punkt, zu durchleben.

Irgendwann verabschiedeten sich die beiden Reporter Herr Newstime und Mr Trashpack von mir und versprachen, mir die neuesten Ausgaben ihrer Zeitungen zukommen zu lassen, nur um zu beweisen, dass die eigene besser war. Trotzdem verließen sie Seite an Seite den Raum, was mich zufrieden lächeln ließ.

Es dauerte nicht lange, da betrat Toni den Raum.

"Hey", sagte er freundlich.

Ich hatte mich aufgerichtet und rief sofort: "Und? Wie siehts aus?"

Grinsend hielt Toni ein Klemmbrett hoch. Darauf war eine lange Liste zu sehen. "Scheint so, als würden wir jetzt erst noch eine kleine Schnitzeljagd durchs Krankenhaus machen", sagte er. Ich war ungeduldig. "Na dann los."

Schnitzeljagd war tatsächlich ein passender Begriff, denn es waren unzählige Ärzte, Therapeuten und andere Leute, die wir ablassen mussten, um mit ihnen über ihre Einwilligung und ihre Vorschläge zur weiteren Therapie wenn ich draußen sein würde zu sprechen. Zum Glück musste ich Lee nicht mehr sehen, das nahm Toni mir ab.  Aber es wurden noch viele Tests und Abschlussuntersuchungen gemacht.

Mir wurde ein wenig wehmütig zumute, als ich all die Leute und die Orte sah, die mich so lange begleitet hatten und die mir so vertraut geworden waren. Dennoch war mein Entschluss felsenfest. Ich wollte raus. Und dieser Traum war zum Greifen nah.

You Restore Me - Tonia Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt