Der Kampf

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Wir begannen sofort mit dem Kampf und ja, das Wort Kampf beschreibt diesen Prozess sehr gut.

Toni war nun täglich bei mir. Er half mir, gab mir Tipps für meine Übungen zur Stärkung der Muskeln oder leistete mir einfach Gesellschaft.

Es tat mir gut, wenn er da war, denn gerade zu Beginn fühlte ich mich noch sehr verloren und überfordert mit der Situation. Tonis Gesellschaft baute mich auf und gab mir Kraft. Und so versuchte ich, die ständigen Untersuchungen und Therapien, die ich über mich ergehen lassen musste, positiv zu nehmen und beim Trainieren mein Bestes zu geben. Zu meiner Enttäuschung passierte aber erstmal tagelang nichts. Toni meinte zwar, das sei normal und ich solle nicht aufgeben, aber es frustrierte mich schon.

Den Logopäden, der mir zugewiesen wurde, konnte ich nicht leiden. Es war ein alter, knausriger Mann ohne Mitgefühl oder Geduld und so beschloss ich, das Sprechen auf eigene Faust zu üben. Dies war mein geheimer, persönlicher Kampf. In jeder freien Minute übte ich kontrolliertes und kräftiges Atmen und meine Zunge und Lippen zu bewegen.

Eines Tages besuchte mich sogar der Chefarzt des Krankenhauses, der sich mir als Professor Doktor Gregor Onkh vorstellte, und ich fand ihn direkt sympathisch. Eine Stunde lang redete er mit mir und erzählte Geschichten aus seinem Leben und auch von Patienten wie mir. Das machte mir großen Mut und tröstete mich auch ein wenig über den Schmerz hinweg, dass mein Vater nicht wieder gekommen war.

Inzwischen war die Zeit mit Toni der Mittelpunkt meines Tages geworden. Ich liebte seine Anwesenheit, die in mir irgendwie ein Gefühl der Vertrautheit, aber auch große Aufregung auslöste. Immer öfter wurde er weich, redete sanft mit mir oder berührte mich wie zufällig und jedes Mal machte es etwas mit mir. Doch umso frustrierender war es, dass er sich danach immer sofort wieder in seiner Arzt-Rolle versteckte. Wie gern wollte ich mit ihm reden, ihn kennen lernen und erforschen, was das war, was er in mir auslöste.

Und so wuchs mein Wunsch, das Sprechen endlich zu lernen, mehr und mehr. Ich trainierte pausenlos und merkte so auch relativ schnell, dass ich Fortschritte machte. Dies beflügelte mich dann umso mehr. Ich wollte im Moment einfach nichts mehr, als zu sprechen. Für ihn.

Diese starke Konzentration auf die Sprache war wahrscheinlich einer der Gründe, warum das Training von meinen restlichen Muskeln  wiederum sehr schleppend verlief. Es wurde zu einem ständigen Auf und Ab, denn es dauerte lange, bis sich auch nur Ansätze von Bewegungen in meinem Arm zeigten und so verlor ich immer wieder jegliche Motivation. Es wollten sich einfach keine wirklichen Erfolge einstellen. Doch Toni und auch andere Menschen aus dem Krankenhaus unterstützten und ermutigten mich so gut sie konnten und so tat ich, was nötig war.

Sprechen und Bewegen. Meine großen Ziele. Ziele, die jeder gesunde Mensch, als selbstverständlich sah.

Doch ich kämpfte dafür.

Und so übte ich weiter und weiter, scheiterte, hatte winzige Erfolge, scheiterte wieder.

Ja, es war ein Kampf. Aber ich wollte kämpfen. Zumindest für den Moment.

You Restore Me - Tonia Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt