Es war wieder Nacht, seit Neuestem die liebste Zeit meines Tages. Vorher war die Nacht die Zeit meines tiefsten Leidens gewesen, doch nun war es die Zeit, die allein für Toni und mich reserviert war, die Zeit, in der es nur ihn und mich gab.
Wir beide lagen zusammen auf meinem Bett und Toni hatte seine Arme um mich gelegt, während mein Kopf auf seiner Brust gebettet war. Meine Augen waren halb zu, während ich einfach nur mit allen Sinnen seine Anwesenheit genoss. Ich spürte, wie sein Brustkorb sich regelmäßig unter mir hob und senkte, wie sein Herz leise pochte und wie warm sich seine Hände auf meinem Körper anfühlen und ich fühlte mich einfach nur geborgen.
Doch auf einmal musste ich wieder an meinen Vater denken. Was war mit ihm? Wo lebte er, was machte er und wie ging es ihm?
Ich grübelte ein wenig darüber nach und zupfte schließlich leicht an Tonis Ärmel. Dieser schreckte hoch, er war wohl eingedöst.
Sanft schaute er mir nun in die Augen und hauchte einen federleichten Kuss auf meine Stirn, bevor er flüsterte: "Was ist los?"
Kurz verlor ich mich in den unendlichen Weiten seiner Augen, doch dann brachte ich hervor: "Was weißt du über meinen Vater, Toni?"
Tonis Blick schweifte über meinen Kopf hinweg, als müsse er überlegen. Dann antwortete er: "Nicht so viel... Ich weiß nur, dass er nicht so oft hier war und die Entscheidungen über dich weitestgehend dem Krankenhaus überlassen hat."
"Wo wohnt er?"
Toni schüttelte nur den Kopf und vergrub sein Gesicht in meinem Haar. "Ich weiß es nicht, Nia", raunte er.
Doch ich ließ nicht locker. "Kannst du es herausfinden?"
Toni grinste verschmitzt. "Natürlich."
Ich lächelte ihn dankbar an, strich mit meiner Hand über seine Wange und küsste ihn schließlich innig. "Gut", flüsterte ich ihm ins Ohr, "Aber bleib erst noch, bevor du das machst."
"Ich hatte nicht vor, etwas anderes zu tun."
Toni blieb noch bis spät in die Nacht und ein paar Stunden später stand er schon wieder für unsere täglichen Übungen auf der Matte. Wann schlief dieser Mann bitte?
Während ich also verschiedene Gewichte hob und Türme aus kleinen Bauklötzen baute, kramte Toni einen Zettel hervor.
"Hier", sagte er und deutete auf eine unleserliche Schrift, "Ich hab für dich Telefonnummer und Adresse von deinem Vater besorgt. Sogar legal, weil du Anspruch darauf hast."
Interessiert blickte ich auf das Stück Papier. Mit krakeliger Schrift stand dort der Name meines Vaters, darunter eine fremde Adresse und Telefonnummer.
Ich starrte auf das Papier. Mein Vater war also umgezogen. Kurz breitete sich ein dumpfes Gefühl in mir aus. Wollte ich ihn wirklich sehen? So viel schien anders zu sein und bei unserer letzten Begegnung war er so kalt gewesen...
Und doch. Ich musste. Je mehr ich darüber nachdachte, desto mehr wusste ich es. Ansonsten würde ich mir für immer Gedanken machen, was mit meinem Vater geschehen war.
Mit großen Augen schaute ich zu Toni auf.
"Schau mich nicht so an", sagte er, kniete sich hin und nahm mein Gesicht in seine Hände. Ich schloss meine Augen und lehnte meine Stirn an seine.
Leise sagte ich zu ihm: "Willst du ihn vielleicht anrufen und fragen ob er kommt... Also als Arzt?"
Ich spürte seine Lippen auf meiner Stirn. "Natürlich", raunte er.
"Danke, Toni."
Es ging so schnell. Toni rief meinen Vater an und richtete ihm aus, dass ich wünschte, ihn zu sehen und zu meiner Überraschung sagte mein Vater zu und kündigte seinen Besuch für den nächsten Tag an.
Ich wollte es mir nicht ganz eingestehen, aber ich war seltsamerweise sehr aufgeregt. Den ganzen Tag hatte ich Bauchschmerzen und keinen Appetit und wollte mich einfach nur in Tonis Arme verkriechen. Dieser hatte aber leider noch andere Verpflichtungen in diesem Krankenhaus, als mir Händchen zu halten und so versuchte ich mich schließlich, mit Viks Konsole abzulenken.
Die Minuten verrannen. Schon eine halbe Stunde vor unserem Termin saß ich einfach nur noch da und wartete. Mein Kopf ratterte. Tausend Szenarien davon, wie das Gespräch laufen konnte, flogen in meinem Kopf herum, sodass schließlich das Klopfen an meiner Tür so unerwartet kam, dass ich zusammenzuckte.
Ich schaute auf. Erstmal regte sich gar nichts an der Tür, doch dann öffnete sie sich zaghaft. Ich hielt die Luft an und plötzlich war er da. Mein Vater.
Er blieb in der Tür stehen und schaute mich nur an und auch ich konnte nicht anders, als ihn anzustarren.
Er sah so alt aus. Er hatte tiefe Falten im Gesicht, schütteres Haar und matte Augen. Außerdem stand er gebeugt da und stützte sich auf einen Stock. Eine gebrochene Version des Mannes, den ich als meinen Vater gekannt hatte.
Schließlich zuckte ein Mundwinkel meines Vaters, doch er wagte wohl nicht, zu sprechen. Ich musste beginnen, doch das Einzige, was ich hervorpressen konnte, war ein brüchiges "Papa..."
"Nia... Nia", sagte mein Vater mit zitternder Stimme und humpelte an mein Bett. Erst von Nahem sah ich, dass er Tränen in den Augen hatte.
"Nia, ich...", begann er, doch ihm versagte die Stimme. Kurzes Schweigen, dann setzte er erneut an. "Du sitzt ja...", bemerkte er leise.
Ich nickte nur heftig und ergriff seine Hand. Mein Vater atmete heftig ein und wieder aus, dann flüsterte er:
"Es... Es tut mir so Leid, Nia. Ich habe dich im Stich gelassen.""Papa...", presste ich hervor und kämpfte nun auch mit dem Tränen, "Bitte mach dir keine Vorwürfe. Mir geht es gut."
Er nickte nur zitternd und drückte meine Hand.Das weitere Gespräch mit meinem Vater werde ich wahrscheinlich nie wieder vergessen. Es war sehr emotional, aber gleichzeitig auch irgendwie... beklemmend.
Wir beide waren nicht mehr die Menschen, die wir vorher einmal gewesen waren. Es war so viel passiert, so viel hatte sich geändert und das merkte man auch an der Art, wie wir miteinander redeten. Wir kannten einander nicht mehr.
Doch trotz alledem versuchten wir, voneinander zu erzählen. Ich schilderte meine Zeit im Krankenhaus und er erzählte davon, wie es ihm seit dem Unfall ergangen war.
Wir beide gingen nicht sehr in die Tiefe, dennoch war ich geschockt. Das, was mein Vater da über den Umgang mit seinen Verletzungen, die nie richtig heilen würden, den Tod seiner Frau und das Koma seines Sohnes sagte, verschlug mir die Sprache. Niemand sollte so etwas durchmachen müssen. Einmal mehr erkannte ich, dass er ein gebrochener Mann war, doch gleichzeitig konnte ich spüren, wie stark er gewesen war.
Als mein Vater schließlich ging, wusste ich nicht, wie es jetzt zwischen uns stand, noch weniger wusste ich, was ich fühlen oder denken sollte. Dennoch war ich einfach froh, das getan zu haben. Es war richtig gewesen.
Trotzdem fand ich am Abend keine Ruhe, bis endlich Toni kam und mich in seine starken, sicheren Arme schloss.
DU LIEST GERADE
You Restore Me - Tonia
Fanfiction"Hallo! Mein Name ist Nia Cavaon und ich möchte euch gerne meine Geschichte erzählen..." Ein schlimmer Unfall reißt Nia aus seinem alten Leben und ins Koma. Nach fünf Jahren hat schließlich keiner mehr Hoffnung, dass er je wieder aufwachen könnte, d...