𝟭𝟴 | Erkenntnis

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standardsprachlich
Substantiv, f.
1. Einsicht, die durch die Verarbeitung von Eindrücken und Erfahrungen gewonnen wird
2. das Erkennen, Fähigkeit des Erkennens (auf dem Weg philosophischen Fragens)

「✿」

Gott, dieser Schmerz in seiner Brust ließ einfach nicht nach, wenn Juhyun mit ihnen allen am Tisch saß und Sicheng die ganze Zeit süße Worte ins Ohr flüsterte, die ihn zum Lachen brachten. Sofort merkte er auch, wie Yutas Laune von Minute zu Minute fiel. Als die beiden kurz nicht hinsahen, zeigte der Japaner Taeil eine Geste, die darlegte, dass er sich gerne erhängen würde, weshalb sich Taeil ein kleines Schmunzeln nicht verkneifen konnte. Er formte eine kleine Pistole mit seiner Hand und hielt sie sich an die Schläfe, bevor er einen Schuss vortäuschte und die Augen verdrehte.

» Wollt ihr uns in eure Zeichensprache einweihen? «, fragte Sicheng, der sich nach weiteren Kinkerlitzchen seitens Yuta und Taeil scheinbar von Juhyun abgewandt hatte und nun ihnen seine Aufmerksamkeit schenkte. Sofort tauschten die beiden verwunderte Blicke aus, danach sahen sie wieder zu Sicheng.

» Wir wollten nicht unhöflich sein und Juhyun unterbrechen «, meinte Yuta spontan, parallel dazu stemmte Taeil seinen Ellenbogen auf den Tisch und legte lustlos sein Kinn auf der Hand ab. Er hatte dem Mädchen selten zugehört, stattdessen immer leidig zu Sicheng gesehen, der ihr Antlitz absolut fasziniert inhaliert und dabei unglücklicherweise so schön wie immer ausgesehen hatte.

Mal im Ernst, diese strahlende Haut, dieser warme Teint, diese kaffeebraun getönten Augen und die perfekt angelegten Lippen in Kombination mit seinen scharfen Gesichtszügen, die aber durch das weiche Haar und den lieblichen Blick abgerundet wurden. ─ Er sollte ihn dafür hassen, so verflucht perfekt zu sein, und dennoch konnte er nicht.

Natürlich hatte Sicheng auch seine Fehler, aber wer wäre Taeil, ihn dafür zu benachteiligen? Er liebte einfach alles an diesem Jungen, auch die Tatsache, dass er Juhyun eben so hinreißend angesehen hatte, einfach weil es schön war, ihn so verzaubert zu sehen. Ein wundervolles Geschöpf. Jede Beobachtung war es wert, gemacht und notiert zu werden.

» Aber das ist höflich? «, krittelte Sicheng und besah sie sowohl gequält als auch bittend.

» Verdient sie denn Höflichkeit? «, wollte Taeil sagen, doch er hielt seine niedere Eifersucht zurück und entschloss sich lieber dazu, einsichtig auf die Hausaufgaben, die noch vor ihm ausgebreitet waren, zu sehen, statt Sichengs Blick zu begegnen.

» Tut uns Leid, Juhyun «, entschuldigte Yuta sie beide nun (höflich, wie er nun einmal sein wollte), doch Taeil kannte ihn schon seit gefühlten Ewigkeiten und hörte diese fast unhörbare Spur Sarkasmus heraus, die einem sagte, dass er es nicht ein winziges Stück ernst meinte. Trotzdem lächelte Sicheng zufrieden, woraufhin Juhyun schüchtern gestikulierte und sich verhaspelte, als sie daraufhin erklärte, dass es ihr Leid täte, wenn ihr Gerede keinen interessierte.

Taeil musste zugeben, dass er ihre Entschuldigung gerne angenommen hätte, hielt jedoch die Klappe und sah nur stumm zu, wie Sicheng ihr beteuerte, dass » die zwei doch nur doof wären « und » er sich wirklich für alles interessierte, was sie sagte, weil allein ihre Stimme schon so süß war « und Gott, hätte Taeil denen jetzt gerne vor die Füße gekotzt.

Könnten die eventuell aufhören, so ekelhaft romantisch zu sein? Und warum mussten sie so perfekt zueinanderpassen? Sie war leidenschaftliche Malerin, er liebte das Tanzen ─ schon allein diese künstlerische Ader, die sie beide hatten und verband war abstoßend und zugleich so unglaublich begehrenswert.

Beide waren unfassbar schön und ergänzten sich in ihrer Attraktivität, teilten dieselben süßen Eigenschaften wie das schüchterne, zurückhaltende, dennoch frohe Verhalten unter Gesellschaft anderer, trugen diesen warmen Blick von junger Liebe in ihren Augen und alles, alles daran fühlte sich für Taeil wie ein Schlag der Realität an. Ein Schlag der Realität mitten ins Gesicht.

Kein Moment hatte ihm mehr klargemacht, wie wenig ihm das alles brachte. Sicheng war verliebt. Nicht in Yuta, nein, schon gar nicht in Taeil, einfach in dieses niedliche Mädchen, das gerade zuckersüße Katzentatzen mit ihren Pulliärmeln formte und sie Sicheng vor die Nase hielt, der sofort ihr verspieltes Lächeln erwiderte und behutsam ihre Handgelenke umfasste, um sie näher zu seinem Gesicht zu führen. Nicht nur Sicheng war perfekt, sie beide waren es. Und zusammen waren sie unschlagbar.

Wie lange hielt Taeil das noch aus? Wie lange ertrug Taeil es, dass Sicheng ihm nicht gehörte und auch nie gehören würde? Keine Sekunde. Eine Erkenntnis, glasklar wie kaltes Wasser, in dem Taeil langsam das Gefühl bekam, zu ertrinken. Stille Tränen sammelten sich in seinen Augenwinkeln, und doch schrie alles in ihm, jetzt unter gar keinen Umständen zu weinen. Scheiß Miststück, halt dich zurück. Das war nicht der richtige Moment, um zu realisieren, dass das Leben ihn hasste und ihm gerade seine erste Liebe abhandenkam. Ein Laster, der ihm zu diesem Zeitpunkt einfach zu viel war.

Wohl oder übel ─ er musste es Sicheng sagen. Er musste Sicheng sagen, dass er ihn liebte und ihn bitten, diesen ganzen Aufruhr zu vergessen, ihn zu vergessen, und hoffentlich kam er dann über diesen Jungen hinweg.

Sicheng war schön als Freund, aber nicht genug. Taeil wollte ihn anfassen und lieben und unterstützen, ohne dass es ihm komisch vorkam, ohne dass Sicheng ihn von sich stieß und ihm sagte, dass es zu viel war. Er wollte Sicheng auch von seinem Tag erzählen und seine Hand halten und auf seinem Schoß sitzen und alles andere, das zwischen ihm und diesem perfekten Mädchen so gut zu funktionieren schien.

Das, was sie zur Zeit hatten, brach ihm sein kleines Herz, und so sehr er sich auch wünschte, das aushalten zu können ─ er war nicht dazu in der Lage. Egal wie perfekt oder schön oder begehrenswert er war, es gab einen Punkt, an dem Taeil diesen Schritt gehen musste und spätestens hier war es so weit. Komm endlich über ihn hinweg oder es wird dich früher oder später umbringen.

Aber Kopf hoch, wie sagte Kelly Clarkson so schön? » What doesn't kill you makes you stronger. « Und egal, wie schlimm das möglicherweise für Taeil enden mochte, er würde es definitiv überleben.

𝗗𝗨𝗔𝗟𝗜𝗦𝗠 𝘺𝘶𝘸𝘪𝘯𝘪𝘭.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt