𝟱𝟰 | Koexistenz

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bildungssprachlich
Substantiv, f.
das gleichzeitige Vorhandensein, Existieren; das Nebeneinanderbestehen [von Verschiedenartigem]

「✿」

Der Schlüssel schlug klirrend gegen das glänzende Aluminium des Türrahmens, weswegen Taeil scharf die Luft einzog. Um diese Zeit sollte seine Mutter eigentlich schon längst zu Hause sein, denn gegen sieben legte sie sich immer eine halbe Stunde hin und machte ein kurzes Nickerchen.

Schnell umfasste er den Bund und zog ihn aus dem Schloss, bevor er sich leise die Turnschuhe auszog und aus dem Flur tapste. In der Wohnung herrschte absolute Stille, wenn man das kaum hörbare Summen des Kühlschranks außer Acht ließ, während er an der Küche vorbeischlich. In seinem Zimmer angekommen, entdeckte er direkt einen Haufen Bettwäsche neben seinem Schreibtisch, darauf lag ein kleiner Zettel mit gezierter Handschrift.

Schön, dass du wieder da bist, Schatz. Da du ja meinst, es wäre überflüssig, nach Hause zu kommen und deiner Mutter zu helfen, hier eine kleine Notiz an dich: Mach den Mist selbst! (ノ。^^)ノ彡┻━┻

Eomma liebt dich!

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Mittlerweile fühlte es sich komisch an, Sichengs Blick auszuweichen. Deshalb schenkte Taeil ihm lieber ein aufrichtiges, wenn auch verdruckstes Lächeln, falls es mal zum Augenkontakt kam, um ihm zu symbolisieren, dass alles im grünen Bereich war ─ für den Fall, dass er das wissen wollte. Zum Glück verstand Sicheng die Botschaft und erwiderte die Geste immerzu freundlich. Ganz einvernehmliche Koexistenz. Als wäre nach vielen Jahren wieder Frieden eingekehrt.

Denn ja, Taeil fühlte sich in letzter Zeit wirklich gut, und Yuta tat alles in seiner Macht Stehende, damit das auch so blieb. Eine eigentlich zu erwartende Konsequenz war jedoch, dass er deutlich anhänglicher wurde. Nicht, dass er das nicht schon von früher kannte (zum Beispiel wenn Yuta sich so an Sicheng geheftet hatte, als würde er ihn nie wieder sehen), doch Taeil fand es überraschend, dass Yuta ebenso seine Nähe suchte.

» Was machst du, Chef? «, fragte er und beobachtete Taeils Schreibbewegungen, nachdem er das Kinn auf seiner Schulter abgelegt hatte.

» Ich fasse meine Eindrücke zur Doku zusammen «, erklärte Taeil, da ihr Lehrer darum gebeten hatte, obwohl es eh niemand außer er machte.

» Du bist blöd, Taeilie. « Er versteckte das Gesicht in seiner Halsbeuge. » Ich will Aufmerksamkeit. «

» Zieh dich in der Innenstadt aus, das sichert dir Aufmerksamkeit. «

» Deine Aufmerksamkeit. Nimm mich wahr «, bat er und strich mit seiner Hand über Taeils Oberarm, während er ihm weiter über die Schulter schaute.

» Du rückst mir sehr auf die Pelle «, bemerkte Taeil, nachdem er seinen Kugelschreiber gezückt hatte. Sein verflixter Füller schrieb wieder nicht. Normalerweise könnte er sich bei dem Lärm auf den Fluren sowieso nicht konzentrieren, doch da sie beide eine Freistunde und demnach zwischendurch etwas Ruhe hatten, reichte es zumindest für ein paar Stichpunkte.

» Und du nimmst viel Abstand. «

» Ich muss mich konzentrieren. «

» Gar nichts musst du. «

Langsam weckte es alte Paranoia in ihm. » Komm, wir müssen uns jetzt nicht direkt wieder von jemandem erwischen lassen, meinst du nicht? «

𝗗𝗨𝗔𝗟𝗜𝗦𝗠 𝘺𝘶𝘸𝘪𝘯𝘪𝘭.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt