𝟬𝟰 | Taktik

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standardsprachlich
Substantiv, f.
im Hinblick auf Zweckmäßigkeit, Erfolg festgelegtes, planmäßiges Vorgehen oder Verhalten

「✿」

» Sein Haar ist so schön. «

» Dunkel, weich, immer gepflegt. «

» Sie duften immer so süß nach Wasserlilie. «

» Und er sieht so schön aus, wenn ihm eine Strähne vor die Augen fällt. «

» Sie dann zur Seite streicht. «

» Oder damit spielt, wenn er nervös wird. «

» Ich mag es, wenn er sich durch die Haare fährt. «

» Ich glaube, er weiß, wie gut er aussieht. «

» Meinst du? «

» Mhm, sonst würde er uns nicht immer so mit seinem Anblick quälen. «

» Durftest du sie mal anfassen? «

» Ja ... Es ist, als würde man seine Hand durch Wolken wandern lassen. «

» Oder ein Schaf streicheln. «

» Ein Baby in seinen Händen halten. «

» Gott sehen. «

» Wer ist Gott? Ich glaube nur an Dong Sicheng. «

» Das hast du schön gesagt «, meinte Yuta, dabei schoben sich seine Mundwinkel verträumt auseinander. » Schade, dass er mir gehört. «

Taeil tippte bei dieser Aussage furios mit den Fingern auf die Tischkante, entschloss sich aber dazu, nichts einzuwenden, weil das nichts als Konflikte verursachen würde, selbst wenn Yuta angefangen hatte.

» Glaubst du, wir können ihn zumindest nach 'nem Dreier fragen? «, fragte Yuta gedankenverloren, woraufhin Taeil empört zu ihm sah und den Mund öffnete, um etwas zu sagen, doch er wusste nicht, was. Er war buchstäblich sprachlos. » Okay, ich glaube, dafür bist du zu prüde «, ergänzte er, sobald er seine Verwirrung bemerkte, und verzog die Miene. » Ich hätte dich sowieso ungern angefasst. Alter, für mich ist es schon eine Folter, dich anzusehen. «

Taeil wollte auch hier etwas einwenden, zuckte dann jedoch nur zurückhaltend mit den Schultern. An was dachte Yuta nur den ganzen Tag? Sicheng war so unschuldig, so liebenswert, dass Taeil nie auf ... solche Gedanken kommen könnte.

» Tu nicht so «, zischte Yuta. » Wenn du es dir selbst machst, denkst du doch bestimmt an ihn. «

Taeil weigerte sich, etwas dazu zu sagen.

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Taeil war sich sicher, dass er früher viel selbstbewusster gegenüber Sicheng war. Als sie sich kennengelernt haben, sich schon nach wenigen Wochen anfreundeten, war sich Taeil seines Sieges so sicher.

Er verfolgte die Muster, die er in Büchern aufgenommen hatte. Wie Sicheng nervös, rot, verlegen, glücklich oder traurig wurde ─ alles speicherte er auf seiner Datenbank ab und dachte, er hätte es geschafft. Doch als er ihn dann irgendwann fragte, ob sie vielleicht miteinander gehen wollen, nachdem sie oft genug zusammen im Kino, essen oder etwas trinken waren, sagte er nein. Es war definitiv ein Widerspruch, etwas, das er nie erwartet hätte.

Taeil hatte alles beachtet, jede Variable war durch und durch kalkuliert, was hatte er falsch gemacht? Sie waren sich nähergekommen, hatten viel Kontakt, es war unbestreitbar.

Zunächst dachte er, es läge an Yuta, aber auch dem gab er den Laufpass. Danach war er mehr als verwirrt. Funktionierte das Ganze nicht wie in Büchern? Spätestens hier war Taeil bewusst geworden, dass man Liebe tatsächlich nicht berechnen konnte, da man Menschen und Gefühle auch nicht berechnen konnte, und das traf ihn schon etwas. Er dachte, wenn er nur eine Taktik fände, käme er dem Ganzen auf die Schliche, aber es schien schwieriger zu sein, als er erwartet hatte.

Nach der dritten Abfuhr fühlte er sich absolut mittellos ─ was fehlte? Er wusste es einfach nicht. Deswegen fragte er Sicheng, der seine Gefühle scheinbar nie ernst genommen hatte und auch nie ernst nehmen würde, nicht mehr nach irgendwelchen Formen von Dates, tolerierte ihn als einfachen Freund und ignorierte das Stechen in seiner Brust, wenn er mit ihm redete und den Drang bekam, ihm zu sagen, wie sehr er ihn liebte.

» Taeil! « Sicheng holte ihn in die Wirklichkeit zurück und tippte dem Angesprochenen ungeduldig auf die Schulter, bevor er fortfuhr. » Yuta hat gesagt, wir können ihm heute beim Training zusehen, willst du mit? «

Taeil biss sich auf die Unterlippe. Konnte es sein, dass Sicheng das Offensichtliche nicht sah? Damit wollte Yuta sich nur wieder profilieren, ein bisschen angeben, damit er ihm endlich verfiel, nur würde das niemals geschehen. Nur durfte das nie geschehen.

» Mh, also eigentlich habe ich heute schon ─ «, wollte er sich herausreden.

Sicheng zerrte ihn schon in Richtung Sportplatz. » Komm, wir sind sowieso spät dran! «

Taeil ließ es zu, dass Sicheng ihn anschließend zur Tribüne führte und sich in die fünfte Reihe von unten setzte. Auch wenn er eigentlich nicht wollte, ließ er sich neben Sicheng nieder, der Grund dafür lag eigentlich auf der Hand.

Seine Augen wanderten durch die Landschaft. Dabei bemerkte er, dass die Tribüne ansonsten komplett geleert war, wenn man von der untersten Bank absah, auf der einige Sportler saßen und ihren Durst erschöpft mit Wasser stillten. Auf dem Platz, der in einem Oval verlief und mehrere Bahnen beinhaltete, sprangen gerade ein paar Läufer eifrig über Hürden. Falls es das war, was Yuta den ganzen Tag machte, brauchte er sich nicht zu wundern, wenn er langsam wahnsinnig wurde. Taeil fand den Gedanken, ständig im Kreis zu rennen, unerträglich.

Indessen positionierte sich Yuta an der Startlinie und dehnte sich konzentriert. Er bemerkte die beiden nicht, bis Sicheng plötzlich schrie: » Nakamoto, hier sind wir, du Spast! «

Yuta hob den Kopf und musste grinsen. Dabei warf er Sicheng einen Handkuss zu, Taeil schenkte er ein herablassendes Lächeln, das alles, aber nicht freundlich gemeint war. Er war vielleicht nicht der Beste darin, Körpersprache oder Mimik zu deuten, aber die Nachricht war eindeutig.

Taeil war sich nicht sicher, ob es ein Instinkt, ein Reflex oder so etwas in der Art war, aber er legte schützend eine Hand neben Sicheng. Ihm war bewusst, dass es nicht wirklich etwas brachte, aber es war einfach so passiert, automatisch, ohne viele Gedanken. Lag es an Yuta? An Yuta, der immerzu eine Art Bedrohung darstellte? Eine Konkurrenz?

Jedenfalls wandte Sicheng nichts ein, formte nur die Hände zu einem Trichter, bevor er Yuta zurief, » er solle mal seinen Arsch bewegen «, sobald der Schlag zum Start ertönte.

Yuta zuzusehen hatte irgendwo etwas Faszinierendes an sich. Zunächst hatte Taeil nur desinteressiert die anderen beobachtet, doch während er den Japaner so ambitioniert sah, voller Elan, hatte er für einen Moment das Gefühl, sich selbst zu sehen. Ehrgeiz. Zielstrebigkeit. Der Wunsch, zu triumphieren.

Voller Konzentration sprang er problemlos über ein Hindernis nach dem anderen, und plötzlich spürte Taeil Bewunderung in seinem Inneren. Das war das Seltsamste, das er je gefühlt hatte. Er hatte nie Bewunderung für Yuta empfunden, niemals. Er biss sich mal wieder auf die Unterlippe, eine Angewohnheit, die ihn bereits seit Jahren plagte. Das tat er immer, wenn ihm etwas unangenehm war oder ihn schlichtweg nervös machte.

Nach ein paar Minuten schien Sicheng die Nähe seines Freundes zu stören, infolgedessen erfasste er zügig Taeils Schulter, bevor er ihn wieder sanft dahin schob, wo er hingehörte. Es war eine kurze und bündige Bewegung, etwas, das man nicht hätte spüren müssen, allerdings fiel es Taeil auf. Sicheng bemerkte Taeils unverblümten Blick auf sich und wandte sich ihm zu, danach schüttelte er leicht, fast unmerklich den Kopf.

Sein Gesichtsausdruck war beinahe gleichgültig, doch er sprach Bände.

𝗗𝗨𝗔𝗟𝗜𝗦𝗠 𝘺𝘶𝘸𝘪𝘯𝘪𝘭.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt