𝟰𝟬 | Psyche

440 65 41
                                    

bildungssprachlich
Substantiv, f.
Gesamtheit des menschlichen Fühlens, Empfindens und Denkens

「✿」

Taeil war ein Beobachter. Für ihn war es wichtig, das Verhalten der Menschen in seinem Umfeld zu studieren und darin Muster zu erkennen, sodass er es möglichst leichthatte, zu ihrer Psyche hindurchzudringen ─ bei Yuta jedoch hatte er das schon längst aufgegeben.

Allerdings war ihm etwas aufgefallen.

Seit ihrer kleinen Einlage im Freizeitpark scheute Yuta sich nicht, Taeil zu berühren. Das war eigentlich schon immer so gewesen, aber seit Kurzem erwischte er den Größeren wieder und wieder dabei, wie er seine Hand umfasste oder ihm durch die Haare strich oder ihm mal einen kleinen Kuss auf den Nacken drückte, wann immer er die Gelegenheit dazu hatte.

Selbst jetzt, wo sie in Taeils Wohnung herumlungerten und irgendeine Sitcom schauten, hatte er den Kopf des Älteren auf seiner Brust gebettet, während eine Hand an Taeils Rücken lag und sanft darüber streichelte. Natürlich störte es ihn nicht, aber es war irgendwie ungewohnt und neu.

» Yuta? «, erhob er irgendwann leise die Stimme, dabei sah er mit nachdenklicher Miene zum Fenster herüber. Es dämmerte bereits, was heißen musste, dass Yuta schon viel zu lange hier war ─ obwohl es für Taeil nie lange genug sein könnte.

» Hyung? «

Einige Sekunden lauschte Taeil nur den Stimmen der aufgebrachten Synchronsprecher, erst danach fragte er: » Weißt du was? «

» Dass das Geräusch, wenn du die Klappe hälst, echt schön ist? «

Taeil kehrte der Glasscheibe den Rücken und wandte sich Yuta zu, um ihm seine flache Hand ins Gesicht drücken zu können. Daraufhin wich Yuta grinsend zur Seite, konnte sich vor Taeils Angriff jedoch nicht schützen und ertrug es für den Moment. Sollte er auch. Damit er mal aufhörte, solche Antworten zu geben.

Und jetzt fiel es Taeil auf: In der Theorie hatte sich nicht viel geändert. Sie ärgerten einander und schauten wie jeden Freitag zusammen Serien und redeten, auch Taeils Herz hämmerte immer noch wie verrückt, wenn Yuta ihn anfasste ─ trotz dieser Tatsache war etwas ... anders. Taeil fühlte sich anders. Nicht auf eine unangenehme Weise, keineswegs. Nur eben ... anders.

» Ich fühle mich anders «, meinte er (ziemlich verwirrt über seine eigene Aussage). » Sag mir, was das bedeutet. Du kennst dich mehr mit so Liebeskram aus. «

Yuta lachte. » Tae, niemand › kennt sich wirklich mit Liebe aus ‹, das ist doch nicht wie ein Schulfach. «

» Warum nicht? «

» Naja, das ... « Yuta hielt inne, parallel dazu ließ er eine Hand zur Taille des Kleineren wandern. Obwohl Taeils Haut vom Stoff des Shirts bedeckt war, spürte er jede seiner Bewegungen ganz genau, bemerkte, wie sich an jedem Punkt, den er streifte, Wärme aufstaute ─ er verstand nicht, warum Yuta mit so einfachen Aktionen dieses hitzige Gefühl in ihm auslösen konnte. » Wenn es so einfach wäre, wäre ja jeder auf diesem Planeten glücklich. Wenn du krank bist, gehst du zum Arzt. Aber wenn du jemanden magst, bist du die einzige Person, die sich wirklich damit auseinandersetzen kann. «

» Die Arzt-Metapher haut nicht hin. Was, wenn ich COB habe? Das ist praktisch unheilbar. Also gibt es auch dafür keine Heilung, was im übertragenen Sinne heißt, dass auch Liebe oder du eine unheilbare Krankheit sind. «

» Cool, dass du mich mit einer unheilbaren Krankheit vergleichst. Ich hatte schon nettere Spitznamen. «

» Das ist blöd «, meinte Taeil und vergrub das Gesicht tiefer in das glatte Polyester von Yutas Oberteil. » Und du bist auch blöd. «

» Ich bin nun einmal absolut unwiderstehlich. Um das zu verstehen, braucht es keine Wissenschaft. «

» Du bist okay. Höchstens. «

» Mhm «, machte er als Antwort nur und zwickte Taeil leicht in die Seite, woraufhin der überrascht quietschte.

» Hey! «

Zunächst sah Yuta überrascht zu ihm herunter, danach schoben sich seine Mundwinkel zu einem verschwörerischen Lächeln auseinander. » Bist du etwa kitzlig? «

Taeil schüttelte den Kopf (so gut das eben ging).

Um sich selbst noch einmal zu überzeugen, pikste er ihm ein paarmal in die Seite, was Taeil schon bald zum Kichern brachte. » Idiot, la-lass das! « Schnell rutschte er etwas von Yuta weg, der jedoch eilte ihm schnell hinterher und presste ihn unsanft mit dem Rücken in den Stoff des Sofas, bevor er sich über ihn lehnte und unaufhörlich Taeils Bauch attackierte, bis er keine Luft mehr bekam.

» Du Arschloch! Verdammtes Arschloch! «, rief er und versuchte, Yutas schweren Körper von sich zu schieben ─ erfolglos. Am Ende des Tages war er Taeil wohl oder übel physisch überlegen.

Nur wenige Sekunden später ließ Yuta seinen Kopf auf Taeils Bauch sinken und umschloss seinen Unterkörper ganz fest mit seinen Armen. » Du bist so süß, Tae «, sülzte er ihn weiter mit pseudo-romantischen Sprüchen voll, weshalb Taeil die Augen verdrehte.

» Klappe, mein Bauch tut jetzt weh. « Es ziepte und drückte tatsächlich ein bisschen.

» Wie ein Kuchen, zuckersüß! «, redete er an ihm mit einer Baby-Stimme vorbei und biss ihm spaßweise in die Seite.

» Pscht! «

» Doch, du Kuchen! «

» Ich bringe dich um! «, fluchte er und versuchte indessen (weiterhin vergeblich), Yutas festem Griff zu entkommen.

» Träum weiter! «

» Das mit der Krankheit ... Lag ich da wirklich so daneben? «

» Soll ich dich wieder kitzeln? «

» Nein! «

» Dann heul leise! «, befahl er, anschließend vergrub er sein Gesicht wieder in Taeils Bauch und schien sich da pudelwohl zu fühlen. Irgendwann gab der Ältere auf und ließ eine Hand zu Yutas Haarschopf fahren, sodass er etwas mit seinen nun ganz zerzausten Strähnen spielen konnte.

Und so herrschte erneut Schweigen. Kein unangenehmes, sondern ein ganz gelassenes und träumerisches Schweigen.

Wo soll das hinführen?, fragte Taeil sich selbst. Eine Beziehung mit einem Jungen; Taeil fand den Gedanken total spannend. Allerdings fragte er sich auch, ob das mit den ganzen Problemen, die auf sie zukamen, überhaupt funktionieren würde.

Doch wenn er so zu Yuta herunterschaute, der sich gerade gemütlich an ihn kuschelte, musste er feststellen, dass dieser Junge viel zu lieb und weich und süß wirkte, viel zu zuckersüß wie Kuchen, um irgendwelche Nachteile (abgesehen von ungeplanten Kitzel-Anstürmen) mit sich zu bringen. So ganz harmlos und unkompliziert. Seine Zerrissenheit schwand. Der Anblick beruhigte ihn irgendwie und erzeugte mit seiner Unbekümmertheit eine angenehme Ruhe in Taeil, die ihn alle Sorgen vergessen ließ.

» Hyung? «, nuschelte Yuta fast unverständlich ins Nichts.

» Mh? «

» Ich habe Hunger. «

» Okay? «, gab Taeil zurück, worauf eine gute Minute Stille folgte.

» Lass uns was essen. «

» Okay. «

Eine weitere Minute Stille.

» Du willst, dass ich mich darum kümmere, oder? «, fand Taeil heraus. Yuta nickte (so gut das eben ging). » Ich mache ja schon «, seufzte er, schob einen etwas widerspenstigen Yuta von sich und richtete sich mühsam auf.

» Danke «, erwiderte er zufrieden lächelnd, sobald Taeil sich in die Küche begab. » Du bist der Beste! «, rief er ihm noch hinterher.

» Weiß ich doch «, stimmte Taeil im Weitergehen zu und lächelte. Alles wird gut, dachte er und setzte einen Fuß vor den anderen. Alles wird gut, ganz sicher.

Und zum ersten Mal glaubte er diese Worte.

𝗗𝗨𝗔𝗟𝗜𝗦𝗠 𝘺𝘶𝘸𝘪𝘯𝘪𝘭.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt