𝟭𝟭 | Reflex

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standardsprachlich
Substantiv, m.
unwillkürliche, rasche und gleichartige Reaktion auf einen bestimmten Reiz

「✿」

Sicheng erzählte Taeil und Yuta viel über Juhyun, viel darüber, wie toll sie doch war und dass sie und er viele Gemeinsamkeiten hatten, zum Beispiel dass er Chinesisch und sie gerade Japanisch lernte, und weil ein paar Wörter und Zeichen ähnlich waren, das ja voll interessant wäre und er sogar etwas von ihr lernen konnte.

Als Yuta daraufhin jedoch einwarf, dass er oft genug versucht hatte, ihm Japanisch beizubringen, war seine einzige Begründung: » Ja ... aber ... du ... bist nicht Juju. «

Jetzt hatten sie auch noch Spitznamen! Taeil könnte sich glatt übergeben.

» Wow, danke dafür «, entgegnete er und zerdrückte gereizt die leere Fanta-Dose in seiner Hand, was Taeil nicht entging. » Komm, sag mir zumindest, was du gelernt hast. « Vorsichtig griff er, nachdem er das Getränk lang genug drangsaliert hatte, nach Sichengs Händen. Seine Mundwinkel zuckten freudig nach oben. » Du bist so niedlich, wenn du Japanisch sprichst. «

» Nein, vor euch ist mir das peinlich «, seufzte er und entzog ihm seine Hände wieder. Der Ausdruck in Yutas Augen zeigte Taeil, dass er sehr enttäuscht über diese Tatsache war.

Genau wie Taeil war er des Todes eifersüchtig, und so sehr sie beide dieses Gefühl auch verdrängen wollten, weil es peinlich, kindisch und unangebracht war, überkam es sie wie eine unaufhaltsame Lawine. Welches Recht hatten sie bitte dazu, so etwas zu verspüren? Sicheng gehörte niemandem, schon gar nicht Yuta oder Taeil. Klar, sie empfanden ihm gegenüber etwas mehr als sie sollten, aber das legitimierte unter keinen Umständen diese Emotion.

» Aber vor ihr ist es okay? «, bemängelte er beleidigt und hob beide Augenbrauen.

» Mensch, Yuta «, stieß er lachend aus und umfasste mit seinen weichen Händen das Gesicht des Kleineren, was diesen sofort zum Schweigen brachte. Ein Lächeln zeichnete Yutas markante Züge ─ klar, Sicheng wusste ganz genau, wie er seine Waffen einsetzte, und Yuta mundtot zu machen war für ihn keine besondere Herausforderung. Obwohl Taeil spürte, dass es ein Trick war, durchfuhr ihn sofort ein Impuls von Neid, den er mal wieder zwanghaft unterdrückte.

» So, ich muss dann «, meinte er und beide wussten, dass er jetzt vermutlich Juhyun aufsuchen würde. Das Lächeln verschwand und plötzlich wurde Yutas Miene wieder missmutig.

» Diese scheiß Schlampe «, murmelte er und sah dem Jungen angefressen hinterher.

» Wie werden wir sie los? «, fragte Taeil sofort, als wäre er Teil eines Mafiafilms.

» Wir schreiben Drohbriefe. «

» Erpressung, finde ich gut. «

» In dem steht, dass sie sich von Sicheng fernhalten soll. «

» Weil wir sonst ihr Haus abfackeln. «

» Und sie den Yakuza aushändigen. «

» Und ihr Erstgeborenes aussetzen. «

» Und ihre Eltern töten. «

» Machen wir uns gerade ernsthaft darüber Gedanken, ein unschuldiges Mädchen wegen unserer niederen Triebe umzubringen? «, fragte Taeil nach einigen Sekunden dieser perfiden Überlegungen und stützte seinen Kopf auf seiner Hand ab, nachdem er den Ellenbogen auf der Tischplatte platziert hatte.

» Unschuldig? Nachdem sie Sicheng angeleckt hat, ist sie nicht mehr unschuldig. Die Fotze «, fauchte er genervt und sah wieder zu Taeil. » Ich wollte ihn nur Japanisch sprechen hören, war das zu viel verlangt? «

Taeil schüttelte den Kopf. » Aber wir kriegen ihn wohl nie, oder? «

» Ich habe schon einen Plan. Erst bringe ich Juhyun um. Dann bringe ich dich um. « Dramaturgische Pause. » Und dann alle anderen Menschen auf der ganzen Welt, damit ich der Einzige bin, den er lieben kann. «

Beide fingen an zu lachen. » Wie romantisch. «

» Ich weiß. «

Eine nachdenkliche Stille machte sich breit, wenn man von den üblichen Geräuschen der Schulmensa absah. Juhyun. Juhyun, Juhyun, Juhyun. Je öfter Taeil sich ihren Namen auf der Zunge zergehen ließ, desto nerviger wurde er. Aber wie konnte Sicheng ein Mädchen bevorzugen, wenn er Yuta und Taeil schon viel länger kannte? Natürlich hatten sie dadurch keine höhere Priorität, aber ─ um ehrlich zu sein ─ wäre das in Taeils Augen äußerst wünschenswert.

» Sagst du es ihm irgendwann, Moon? «, fragte Yuta aus dem Nichts, dabei besah er ihn mit kompletter Ernsthaftigkeit.

» Was? «, blaffte er, zur Betonung seiner Verwirrung hob er eine Augenbraue.

» Dass du ihn liebst. Sagst du es ihm irgendwann? «, erklärte er, wobei er beinahe gedankenverloren mit seinen Fingernägeln spielte.

» Das weiß er doch «, erwiderte Taeil, als wäre Yuta der dümmste Mensch der Welt.

» Nein, tut er eben nicht, Taeil. Er denkt, das ist alles nur ein Spiel. Er kapiert doch gar nicht, oder keine Ahnung, will es nicht wahrhaben, dass du und ich ... dass wir das verdammt nochmal ernst meinen. Dass er unser erster Gedanke nach dem Aufwachen und unser letzter vorm Schlafengehen ist. Dass wir sogar nachts schweißgebadet aufwachen, weil wir nur an ihn denken können. Fuck, Taeil, er kapiert das nicht. « Für einen Moment dachte er, ein Beben in Yutas Stimme wahrzunehmen ─ möglicherweise ein Irrtum? » Jetzt denkt er, er hat Juhyun und alles ist wie früher, aber so ist es nicht. Ich liebe ihn nach wie vor, Taeil. Und jetzt sag mir bitte, ob du es ihm gestehen wirst. «

» Keine Ahnung, frag mich was Leichteres «, seufzte Taeil daraufhin und ließ den Kopf auf die Tischplatte sinken.

Natürlich war ihm irgendwo bewusst, dass Sicheng das nicht so ernst nahm, wie er sollte. Aber so war es doch viel leichter, oder? Ohne unnötige Gefühle, die er immer wieder aufkochen spürte, die ihn immerzu folterten und ihm darlegten, wie schlimm es sein konnte, sich zu verlieben ─ Taeil könnte sie einfach weiterhin verdrängen, wie immer einfach davonlaufen, um sich der eiskalten Realität nicht stellen zu müssen. Solange sie zusammen waren, war es das doch wert, nicht wahr?

» Du weißt alles, aber nicht, wie man mit Gefühlen umgeht, hm? «, stellte Yuta nun mit weniger Affekt fest und nahm sich die Freiheit, Taeils Haare zu durchwuscheln. Und das war nicht das erste Mal. Er wusste, dass Yuta ihn mit allem, was er tat, nur ärgern wollte, aber das hatte doch etwas ziemlich Freundschaftliches an sich und irgendwie machte es Taeil Angst, weil es sich nicht unbedingt schlecht anfühlte.

» Warum machst du das? «, fragte er also leicht irritiert, ohne ihn anzuschauen.

» Was? «

» Deine Hand ... du ... «

Yuta schwieg.

» Eben hast du ─ «, begann Taeil, für den Fall, dass er schwer von Begriff war, ließ sich dann jedoch von Yuta unterbrechen.

» Keine Ahnung. Reflex? «

Taeil überlegte wieder, warum es in dem Moment, in dem es passiert ist, okay war, und erst danach seltsam. » Kaykay. «

𝗗𝗨𝗔𝗟𝗜𝗦𝗠 𝘺𝘶𝘸𝘪𝘯𝘪𝘭.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt