𝗗𝗨𝗔𝗟𝗜𝗦𝗠 𝘺𝘶𝘸𝘪𝘯𝘪𝘭.

𝟮𝟳 | Perfektionismus

standardsprachlich
Substantiv, m.
übertriebenes Streben nach Perfektion

「✿」

Sich in ihrer Anwesenheit seltsam zu verhalten, war schon immer ein großer Fehler gewesen. Yoona wusste nämlich ganz genau, wenn etwas mit ihrem Sohn nicht stimmte, und, um ehrlich zu sein, war Taeil leider einfach ein sehr schlechter Schauspieler. Wenn ihn seine Mutter also schon wieder fragte » Taeil, geht es dir gut? «, wollte er einfach nur in die Dunkelheit flüchten und sich in Ruhe darüber ausheulen, dass das Leben ihm viel zu viel abverlangte.

Selten hatte er Zeit zum Verabreden mit Freunden, weil er durchgehend am Lernen war, und wenn nicht, hatte er anderweitig zu recherchieren oder musste an seinen anderen Fähigkeiten feilen. Alles andere war Nebensache, denn das war es, was Yoona von ihm erwartete. Sie wollte einen schönen Jungen großziehen, einen, der » nicht dieselben Fehler macht wie sie «.

Und jetzt saß er in seinem Zimmer und ließ den Bogen des Cellos sanft über die Saiten gleiten, während er konzentriert auf das Notenpapier vor sich sah. Ihm war es womöglich alles wert, seiner Mutter zu beweisen, dass er gut in dem war, was er machte, und sie ruhig stolz auf ihn sein durfte. Er liebte dieses Gefühl, wenn sie am Ende des Jahres zufrieden feststellte, dass ihr Sohn sich bemühte, absolut makellos zu sein. Genau, makellos. Einwandfrei. Perfekt.

Und wenn sie doch einen Fehler entdeckte, setzte sie alles daran, diesen unverzüglich auszumerzen. Daher merkte sie sofort an (auch wenn sie wusste, dass es nichts bringen würde): » Taeil, irgendetwas bedrückt dich, und langsam habe ich es satt, dich ständig fragen zu müssen, was es ist. «

» Dann frag halt nicht «, gab er keck zurück, spürte jedoch immer noch Yoonas Präsenz neben sich. Sie ließ nicht so schnell locker.

» Nein, irgendetwas ist mit dir und das gefällt mir nicht «, sagte sie nun etwas sanfter, statt ihn in Ruhe weiter seine Lieder spielen zu lassen, so wie auch Doyoung ihn permanent mit Verhören quälte. Er wusste, dass alle sich Sorgen um ihn machten und es nur gut meinten, aber es nervte zu Tode, da sie es sowieso alle nicht verstanden. Sie machten sich nicht einmal die Mühe, es zu versuchen, erkundigten sich nur danach, weil sie mussten oder sonst als schlechte Menschen dastanden. Egoistisch.

Taeil schloss gereizt die Augen und seufzte. Wenn er nicht darüber reden wollte, wollte er das eben nicht, Schluss, Aus, Ende.

» Eomma, mir geht es gut. Du tust mir wirklich einen Riesengefallen, wenn du einfach gehst und mich in Ruhe lässt. «

Man sah ihr an, dass sie nicht gehen wollte, da sie sich mit dieser Antwort nicht zufriedengab, doch nach einigem Hadern verließ sie tatsächlich den Raum. Das war ja nicht ihr erster Anlauf, sie hatte schon mehrere Abfuhren einstecken müssen.

Ja, er wollte jemandem sagen, wie er sich fühlte, aber auch niemanden mit seinen unnötigen Gefühlen belasten. Doyoung und Mark hatte er doch genug genervt, die konnten sich sein Rumgeflenne bestimmt nicht mehr anhören. Nach zwei Gesprächen war es dann auch mal gut.

Aber wie fühlte sich Taeil eigentlich?

Er war verwirrt. Einfach nur verwirrt.

Er versuchte, mit Sicheng abzuschließen, und kam Yuta ungewollt näher. Näher als je zuvor. Davor hatten sie sich nie ausstehen können ─ und jetzt auf einmal wollten sie sich als Freunde betiteln? Taeil wusste nicht, wie es dazu gekommen war. Zunächst haben beide diese Nummer nur für Sicheng abgezogen, jetzt trafen sie sich freiwillig. Definitiv fragwürdig.

Zwar wollte Taeil es ungern zugeben, aber für einen Moment wünschte er sich, Yuta einfach alles erzählen zu können. Yuta war der Einzige, der diese Gefühl von Zurückweisung wirklich nachvollziehen konnte und nicht sagte » Lass dir einfach Zeit dabei, über ihn hinwegzukommen « oder » Alles wird gut «, wenn man nicht über ihn hinwegkam und nichts gut wurde. Außerdem wollte er mit ihm darüber reden, warum er Yoona nichts erzählen konnte, weil es Yuta ernsthaft interessierte. Er verstand Taeil einfach auf so vielen verschiedenen Ebenen besser als manch anderer, und das war bemerkenswert.