𝟰𝟲 | Beleidigung

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standardsprachlich
Substantiv, f.
1. das Beleidigen
2. beleidigende Äußerung

「✿」

Das klassische Symphonieorchester.

Oh, wie sehr Taeil das klassische Symphonieorchester doch hasste.

Es war ordentlich. Und alles musste aufeinander abgestimmt werden. Keiner durfte pennen. ─ Eigentlich genau das, was Taeil reizen sollte, weil es auf eine Art und Weise Perfektion anstrebte. Dennoch hasste Taeil das klassische Symphonieorchester. Es nervte. Damals hatte Yoona gemeint, dass sich solche ungeahnten Talente gut im Lebenslauf machten. Und dass das Taeil vielleicht noch ein bisschen perfekter machte, wenn er denn mal perfekt sein sollte. (Klang nach einem ziemlich langen Weg.)

Außerdem waren sie mit dem kleinen Ensemble sowieso kein ordentliches Symphonieorchester. Sie waren lediglich eine Ansammlung an Leuten, die a) eventuell tatsächlich Interesse an Musik und Orchester hatten oder b) von ihren Eltern gezwungen worden waren, ein Instrument spielen zu lernen.

Taeil gehörte eher zur zweiten Kategorie, auch wenn › zwingen ‹ das falsche Wort war. Yoona hatte ihn ein wenig dazu angestiftet. Auch wenn es nicht unbedingt ein Wunsch seinerseits gewesen war, hatte er ihren Ansprüchen gerecht werden wollen und seinen Willen ignoriert. Dabei war das Stimmen furchtbar anstrengend. Und das Teil überallhin mitzuschleppen, auch. Orchester klang toll und war sicher toll für die, die Lust darauf hatten, aber für ihn war es nach so vielen Jahren nur noch eine Last. Er wollte lieber Gitarre spielen. Und komische Lieder singen.

Nein, Taeil war vernünftig.

Es war wohl ein allgemein verbreiteter Mythos unter den Leuten in seinem Kurs, dass jeder Vollidiot lernen könnte, Gitarre zu spielen, da war er mit seinem Violoncello wohl gehobener oder so? ─ Nicht hinterfragen, einfach machen.

» Hey, Moon «, unterbrach Taeyong ihn beim Stimmen. » Wie fühlt es sich eigentlich an, andauernd unterm Tisch von der Pakse zu hocken? «

» Wie bitte? «, kam es verwirrt aus ihm, woraufhin ein Lachen durch die Reihe ging. (Übrigens setzte › Pakse ‹ sich aus dem Namen ihrer Mathelehrerin (Park) und › Transe ‹ zusammen, weil sie ihrer Meinung nach manchmal wie ein Kerl herüberkam. Taeil war es immer wieder ein Wunder, wie gerne Schüler Mobbing praktizierten.)

» Tun deine Knie nicht weh vom ganzen Rumlutschen? «

Achso. Haha, wie lustig.

Taeyong war einer der Menschen, die Taeil nie verstanden hat. Über ihn sagte man, dass seine Familie Geld an Tierheime spendete und recht vornehm und wohlhabend und weitere nette Adjektive war, was an sich erstmal als nichts Verwerfliches galt, aber mal abgesehen davon war er für Taeil schon immer ein absolut unsympathischer Mensch gewesen. Man merkte ihm schnell an, dass er viel Wert auf unwichtige Äußerlichkeiten wie Status und Aussehen legte.

Taeil war da nun einmal ziemlich weit unten, seine einzige Popularität hatte er durch Sichengs bescheidenen Charme und vor allem Yutas beliebte Präsenz erhalten. Yuta war beliebt, dagegen gab es kein Argument. Gut aussehend, sportlich, witzig und immer ein Lächeln auf den Lippen, wer würde da nein sagen? Um ehrlich zu sein, war es ihm da ein Rätsel, was er dann unter anderem an Taeyong fand, wenn er doch so eine riesige Auswahl hatte.

» Äh ... «, machte Taeil demnach irritiert und runzelte die Stirn. Normalerweise hätte er gelacht, einfach um nicht der dämliche Streber zu sein, der keinen Spaß verstand, aber beim klassischen Symphonieorchester hatte er nicht den Nerv dafür.

» Lass gut sein, Taeyong «, winkte Jaehyun neben ihm ab. Der war übrigens keinen Deut besser. » Er macht nur Spaß. «

» Nee, ich wollte eigentlich was anderes von dir, Kumpel «, erklärte Taeyong nun mit einem weniger amüsierten Ton. » Was ist mit Yuta? «

» Ist etwas mit Yuta? «, stellte er dem entgegen und versicherte sich selbst, dass er den beiden schlichtweg zu hoch war (obwohl er nichts kapierte). Schnell nahm er wieder den Bogen zur Hand, ließ ihn über die Saiten streichen und hantierte an den Wirbeln herum, damit die Töne endlich mal sauber klangen. Daraufhin verdrehte Taeyong die Augen, riss ihm den Bogen aus der Hand und bat: » Lass das mal. «

Taeil starrte seinem Besitz empört hinterher, danach entgegnete er: » Jetzt weißt du wahrscheinlich, warum du keine Soli bekommst. « (Fakt: Taeyong war nur einer der vielen Violinisten, ha! Er war so was von ersetzbar!)

» Halt mal die Klappe, ich spiele gut! «, behauptete er energisch und fuhr sich durch die Haare. » Außerdem hast du doch nur Glück, dass nicht jeder fucking Cello spielt. Ansonsten würdest du hier auch rausfliegen. «

Taeyong wäre eher eine Person dafür, rauszufliegen, da er die Takte manchmal nicht richtig abzählte, aber was sollte man sagen? Taeils kleiner Satz vorhin war schon über sein übliches Gesprächsarsenal hinausgegangen, normalerweise würde er Taeyong nämlich nie so etwas Freches entgegensetzen (zum einen, weil Taeyong mit Yuta befreundet war, zum anderen, weil er ihn ein wenig einschüchterte). Jetzt hatte er doch genug gesagt, noch mehr musste er sich nicht in einen Streit reiten. Reden war Gold, Schweigen Platin.

» Ich kapier's nicht, was hast du eigentlich gegen mich? «

Dass du dich andauernd über mich lustig machst? Dass du mich nie ernst nimmst?

» Wenn ich mal was sage, meine ich das nicht böse, Alter. «

Okay, wie sollte Taeil das erklären? Es machte einen Unterschied, ob Yuta oder Taeyong ihn beleidigte. Yuta kannte ihn schon viel länger und sie waren sich in letzter Zeit ein klitzekleines Fitzelchen näher gekommen, Taeyong hingegen war diese eine Person in der Klasse, über die alle redeten ─ nur aus dem Grund, dass er in der Schulhierarchie relativ weit oben stand, für die Taeil sich aber umso weniger interessierte. Sie kannten sich kaum. Und das war der springende Punkt. Bei Yuta wusste er, dass es Spaß war und er ihn eigentlich mochte, bei Taeyong fühlte es sich einfach nach ... Beleidigung an.

» Okay «, erwiderte Taeil demnach monoton, simpel, nichtssagend.

Jaehyun neben ihm fing an zu lachen und sagte: » Der hasst dich. «

» Gar nicht wahr! «, klagte Taeil eilig.

» Okay, Jaehyun will die Fresse halten «, seufzte Taeyong, der Besagtem seine Hand ins Gesicht drückte und ihn wegschob. » Jedenfalls: Moon, du bist kein schlechter Kerl und wenn Yuta was mit dir macht, denke ich, ich hätte auch mal Bock, dich irgendwie kennenzulernen. « Er sah ihn einen Moment an, wartete auf eine Reaktion, Taeil allerdings war gerade mehr als nur überfordert. » Du bist nicht so der Redner, was? «

Unsicher schüttelte der Ältere den Kopf.

» Jedenfalls «, sprach er weiter und stupste Taeil mit dem Bogen in die Seite, » diesen Samstag steigt eine Party bei mir, gegen sieben fängt sie an. Wenn du willst, kannst du kommen. «

Die Zahnräder in Taeils Kopf blieben stehen. Party. Party war so ein komisches Wort. Das war nicht Teil seiner allgemeinen Gebrauchssprache. Denn nein, Taeil wurde nie auf Partys oder derartige Veranstaltungen eingeladen. Das war merkwürdig. Äußerst merkwürdig. Sollte er noch mal nachhaken?

Taeil deutete mit dem Zeigefinger auf sich selbst. » Ich? « Nun auf Taeyong. » Zu deiner Party? « Dann nahm er die Hand wieder herunter. » Bist du sicher? «

Taeyong kicherte belustigt. So, so, Taeyong war also ein Kicherer. » Klar, wieso nicht? «

Ja, das war die Frage! Und doch war sie es nicht. Es war, als hätte jemand einem Film eine weitere Szene hinzugefügt, die rein gar nichts mit dem Rest des Inhalts zu tun hatte. Ob Yuta ein gutes Wort für ihn eingelegt hatte? Oder war Taeyong heute lediglich in Laune? Es war ihm unergründlich. » Ähm ... okay. «

Kurz darauf landete der Bogen in Taeils Händen, während Taeyong sich mit einem letzten Lächeln umdrehte. Was war hier gerade passiert?

𝗗𝗨𝗔𝗟𝗜𝗦𝗠 𝘺𝘶𝘸𝘪𝘯𝘪𝘭.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt