𝟮𝟴 | Verletzlichkeit

467 63 16
                                    

standardsprachlich
Substantiv, f.
das Verletzlichsein; Empfindlichkeit

「✿」

Taeil konnte es sich nicht verkneifen, hin und wieder zu Yuta herüberzusehen, während die actionreiche Szenerie irgendeines Marvel-Films im Hintergrund dudelte. Wie üblich saßen sie im Wohnzimmer und gaben Kommentare zum Handeln der Charaktere ab, auch wenn sie den Film (es war übrigens Iron Man) beide bereits mehrere Male gesehen hatten, doch ─ um ehrlich zu sein ─ hatte Taeil sich die letzten Minuten nicht besonders gut konzentrieren können. Yuta, Yuta, Yuta. Je öfter er diese Silben innerlich wiederholte, desto schöner fand er sie. Sie klangen so exotisch ihrer japanischen Herkunft zum Trotz. Taeil hatte nie gedacht, dass dieser Name jemals eine positive Konnotation bekommen könnte, und er wusste nicht, ob es ihm gefallen sollte, dass das mittlerweile anders war.

Als schien er sein unverwandtes Starren zu spüren, blickte nun auch Yuta zu ihm. Neugierig musterte er Taeil und fragte: » Was ist? «

» Du fragst, was ist? «, wiederholte Taeil irritiert und hob eine Augenbraue.

Yuta nickte stumm.

» Es ist ... bescheuert. Dass du und ich hier sitzen und tun, als wäre nichts an alldem komisch. «

» Es ist nicht komisch ─ «

» Doch, ist es. «

Kein Zweifel, sie gehörten nicht zusammen. Früher hatte immer Sicheng zwischen ihnen gestanden und das tat er noch genauso. Ihr ewig andauernder Dualismus, schon vergessen? Es war unnatürlich, ein Verstoß gegen ungeschriebene Gesetze, die sich dennoch in ihr Gedächtnis eingebrannt hatten.

Yuta schien sich das nun ebenfalls nochmal durch den Kopf gehen zu lassen, weshalb er ergeben auf seine Hände sah. » Es ist komisch. Wir zusammen ... sind komisch. «

» Warum fühlt es sich komisch an, Yuta? «, murmelte er gedankenverloren.

Yuta kratzte sich überlegend am Hinterkopf. » Wegen Sicheng. «

» Genau, wegen Sicheng! «, bestätigte Taeil, weil er genau dasselbe gedacht hatte.

Da Yuta seine nächsten Worte stark zu überdenken schien, hing Stille in der Luft (wenn man von Tony Starks Stimme absah). Taeil überlegte in der Zwischenzeit, was Yuta wohl für ihn empfand. Ob Yuta ihn mochte? Ob Yuta ... gerne Zeit mit ihm verbrachte? Ob Yuta ... ihm zuhören wollte? So viele Fragen kamen ihm in den Sinn, allerdings würde niemand ihm auch nur eine beantworten, weil nur Yuta selbst wusste, was in seinem Inneren vorging. Frustrierend.

» Kann es sein ... dass du ... es ihm gesagt hast? «, fragte er nach weiteren Minuten Schweigen und hob den Kopf, ein mitleidiger Ausdruck zeichnete seine Gesichtszüge. » Du weißt, was ich meine. Hast du es ... ihm gestanden? «

Einen Moment dachte Taeil darüber nach, Yuta anzulügen. Genau, wen interessierten seine Probleme? Und wollte er vor ihm wirklich eine Schwäche zeigen? Wollte er sich ... verwundbar machen? Aber wer wäre er, Yuta so etwas zu verheimlichen?

Yuta war der Einzige, der sich Taeils Lage zumindest im Ansatz vorstellen konnte, immerhin hatten sie beide dasselbe Problem: Sie wollten beide einen Jungen für sich gewinnen, den sie nur mit keiner Mühe dieser Welt ehrlich erobern konnten. Wofür also weiter im Streit stehen? Wofür also weiter diesen Krieg aufrechterhalten, der schon längst verloren war? Ja, vielleicht war etwas Altes bereits kaputtgegangen, doch war das nicht die Gelegenheit für einen Neuanfang? Für einen Neuanfang mit Yuta und ohne Sicheng? Mit einem neuen Freund und ohne eine unerwiderte Liebe?

𝗗𝗨𝗔𝗟𝗜𝗦𝗠 𝘺𝘶𝘸𝘪𝘯𝘪𝘭.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt