Peppers Sicht:
„Wir müssen etwas tun, Tony", flüstere ich leise.
Wir sitzen am Esszimmertisch, wo er eigentlich einen Blick auf die Verkaufszahlen werfen soll, doch ein Blick ins Wohnzimmer hinüber zeigt meinen Grund zur Sorge. Vor dem Fernseher sitzt Caitlin in ihrem Rollstuhl, an das Beatmungsgerät angeschlossen. Sie starrt auf die Wand, während sie nichts tut als atmen. Mittlerweile ist der Gips an ihrem Arm wieder weg, und auch die Rippen sind verheilt. Nur ihre beiden Füße liegen eingegipst auf dem Couchtisch vor ihr. Doch was mir und auch Tony immer mehr Sorgen bereitet, ist Caitlins psychischer Zustand. Seit dem Unfall ist sie gereizt, wütend und schließt uns aus. In gewissem Maß ist das ja verständlich, doch nun sind schon vier Wochen vergangen. Wir sind in die Stradtrandvilla gefahren, um ihr Ruhe und etwas Abstand von New York zu verschaffen, doch trotz allem ist sie wahnsinnig verbittert. Wir haben ihr Zeit gelassen, die sie allerdings genutzt hat, um sich von uns abzuschotten. Sie kommt nicht damit nicht klar, dass sie erstens im Moment ohne den Rollstuhl nirgendwo hinkann, und zweitens einen großen Teil ihrer Lunge verloren hat. Sie lässt das Beatmungsgerät mit einem beinahe schon hasserfüllten Blick seine Arbeit machen.„Ganz deiner Meinung, Schatz, nur was?", antwortet Tony etwas zu laut. Warnend hebe ich meinen Zeigefinger an die Lippen. „Sie muss irgendetwas den Tag über machen. Sie hat zu viel Zeit zum Denken", wispere ich als Antwort. Plötzlich kommt mir eine Idee. „Du könntest sie mal dem Kleinen vorstellen!" „Dem Kleinen? Was? Wieso?" „Er ist ungefähr in ihrem Alter, vielleicht freunden sie sich ja an." „Auf keinen Fall! Ich stelle meiner Tochter doch keine Typen vor!" Der Traum eines jeden Vaters. Ich muss über sein entsetztes Gesicht lachen. „Wir reden hier von Peter, Tony. Er wird ihr weder Drogen andrehen noch sie mit Alkohol abfüllen oder schwängern." „Das weißt du nicht!" In seiner Miene steht wirklich das pure Grauen. „In dieser Hinsicht ist deine gottseidank Tochter um einiges vernünftiger als du", kontere ich. Er wirkt immer noch unwillig. „Was soll schon passieren, Tony?", frage ich lachend nach. „Sie könnten ein Paar werden!" Nun ist es endgültig um meine Selbstbeherrschung geschehen. Die Panik in seiner Stimme lässt mich laut losprusten. „Sehr witzig", knurrt Tony. Als ich mich wieder einigermaßen beruhigt habe, lege ich meine Hand auf seinen Unterarm. „Und wenn schon, Tony", versuche ich ihn zu besänftigen. „Besser Peter als irgendein Junkie, den sie auf der Straße kennenlernt." Das gibt ihm zu denken. Für Caitlin hoffe ich, dass ihm der Gedanke nicht zu gut gefällt.
Caitlins Sicht:
„Kannst du mir sagen, was wir vor einer High School machen?", frage ich mehr oder weniger genervt. „Auch wenn du nicht dabei warst, ich habe meinen Abschluss schon." Tony verdreht die Augen. „Hol sie raus, Friday!" Sofort öffnet sich die Hintertür und der zusammengeklappte Rollstuhl wird herausgeschoben und entfaltet neben meinen Sitz gestellt. Die Tür geht auf und ein Greifarm schiebt mich von meinem Sitz in den gepolsterten Sessel. „Was machen wir hier, Tony?", knurre ich durch meine zusammengebissenen Zähne, während ich mich passiv von ihm ein paar Schritte in Richtung des Schulgebäudes schieben lasse. Der halbe Parkplatz starrt auf uns, was vor allem auch an Tonys protzigem Schlitten liegt.
„Mr Stark!" Ein Junge joggt auf uns zu. Seine braunen Haare sind zerzaust um sein Gesicht verteilt. Sein Blick fällt auf mich und er sieht irritiert von mir zu Tony und wieder zurück, bis er sich schließlich auf Tony fokussiert. „Hi, also ähm ... Sie wollten mich sprechen, Mr Stark?" „Ich mach es kurz, Kleiner", antwortet mein Vater ohne ein Wort zur Begrüßung. „Das, Cates, ist Peter, Peter, das ist Caitlin, meine Tochter, also würde ich an deiner Stelle sehr gut auf sie aufpassen. Schönen Tag euch zwei!" „Warte, was?", frage ich und will über meine Schulter zu ihm aufblicken, doch er ist schon zurück zur Fahrerseite gesprintet, ins Auto gesprungen und gibt Gas. Im Vorbeifahren winkt er uns zu. Mit vor Fassungslosigkeit und Wut aufgerissenem Mund starre ich dem Wagen nach, dann werfe ich einen Blick über meine rechte Schulter, wo dieser Peter steht und Tony mindestens so verwirrt nachblickt wie ich. „Was ... was war das denn?", fragt er, den Blick noch immer auf das allmählich verschwindende Auto gerichtet. „Ich habe keine Ahnung", murmele ich. Dann nimmt die Wut überhand und ich brülle dem Wagen hinterher: „Was glaubst du, wie ich nach Hause kommen soll, du Penner?" Peter sieht mich etwas schockiert an. „Bist du wirklich seine Tochter?" „Steht zumindest in meiner Geburtsurkunde", grummele ich. „Was hast du eigentlich mit Tony zu schaffen?" „Ich bin ... also ... Spiderman", gibt er etwas verlegen zu. Ich mustere den Braunhaarigen abschätzend. „Großartig! Willkommen im Klub der Mutanten!", sage ich sarkastisch. „Hey! Moment mal ... Heißt das, du bist auch, naja, nicht ganz normal?" Ich sehe den Kleinen vor mir an. Obwohl, Kleiner trifft es nicht so ganz. Wenn er der Spiderman ist, ist er nur ein Jahr jünger als ich. „Kann man so sagen", murmele ich. „Sorry. Ich bin nur grade ziemlich sauer, weil mein Vater mich im Rollstuhl bei einem wildfremden Typen sitzengelassen hat. Nimm am Besten nichts so wirklich ernst, was ich sage." „Ähm, okay", versucht er mich irgendwie zu verstehen. „Also eigentlich habe ich jetzt Unterricht. Willst du-" „Die ganze High-School-Kiste hab' ich schon hinter mir. Also nein, dort rein kriegen mich keine zehn Pferde." „Gut, dann also schwänzen", murmelt Peter. „Ich kenn' da ein Café die Straße runter. Gehen wir dort hin?" „Ist okay", sage ich und fühle mich ein bisschen erschöpft. „Peter?", rufe ich den Jungen zurück, der schon einmal ein paar Schritte in die Richtung, in der vermutlich das Café liegt, gemacht hat. „Du musst mich schieben. Bis vor einer Woche sah mein rechter Arm auch noch aus wie mumifiziert. Lange Strecken schaffe ich mit diesem Skelettarm noch nicht."
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Superhero's Child
Teen FictionDas Leben einer Achtzehnjährigen ist schwer, wenn die Mutter drogensüchtig ist und man den eigenen Vater nur aus den Medien kennt. Irgendwann reißt Caitlin der Geduldsfaden und sie beschließt kurzer Hand, zu ihrem Vater zu ziehen. Doch das ist nicht...