E L F

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Peppers Sicht:

Ich schiebe die Akten auf meinem Tisch zur Seite und beschließe, für heute Schluss zu machen. „Friday, wo ist Tony gerade?", frage ich in den scheinbar leeren Raum. F.R.I.D.A.Y. antwortet unverzüglich: „Der Boss ist in seiner Werkstatt." „Gut, sag ihm Bescheid, dass ich komme", bitte ich J.A.R.V.I.S.' Nachfolgerin. Dann verlasse ich mein Büro und fahre mit dem Aufzug hinunter zu Tonys Werkstatt.
Als ich dort ankomme, schraubt Tony gerade am Arm eines Marks herum. „Hat Friday dir mitgeteilt, dass ich komme?", frage ich stirnrunzelnd. „Sie hat sowas erwähnt, glaube ich", erwidert er, vollkommen in seine Arbeit vertieft. Ich räuspere mich etwas genervt, und ziehe vielsagend die Augenbrauen hoch, als er mich komplett verwirrt ansieht. Seufzend legt er das Werkzeug zur Seite und kommt auf mich zu. „Tut mir leid. Was wolltest du sagen?" Ich schmiege mich in seine Umarmung. „Ich bin für heute fertig. Was hältst du von einem freien Abend, nur wir beide?" „Das finde ich großartig", stimmt Tony sofort zu. Für einen Moment ist alles gut. Für einen Moment habe ich keine Firma zu leiten und er keine Welt zu retten. Doch das ist nicht die Realität. Seufzend löse ich mich von ihm. „Kommst du mit nach oben?", frage ich. „Einen Moment, ich muss noch kurz-"
„Tony?", unterbreche ich ihn mit komplett verändertem Tonfall. Er sieht überrascht auf. „Ist ja gut, ich komme gleich!" „Nein, nicht das ... die Bildschirme, der ganz unten rechts." Ich starre auf die Monitore an der Wand. Sie zeigen Nachrichten der verschiedensten Sender, doch auf einem klebt mein Blick fest als wäre ich hypnotisiert. Eine Reporterin spricht mit ernstem Gesicht in die Kamera, hinter ihr auf der Straße liegen zerstörte Fahrzeuge, Blaulicht blinkt. Mein Blick fällt auf die Bildunterschrift und bestätigt meinen Verdacht, wo dieser Blechfriedhof sich befindet. „Diese Kreuzung... Park Street 15th Avenue... liegt das nicht auf Caitlins Weg zum Laden?" „Ich denke schon", antwortet Tony und sieht mich fragend an. „Sie- Oh Gott, Tony! Sie ist vor einer halben Stunde losgefahren, sie wollte nochmal in den Laden!" Tonys Mund klappt auf. Ich kann förmlich sehen, wie er die aufkommende Unruhe unterdrückt und versucht, gefasst zu bleiben. „Friday, orte Caitlins Handy!", befiehlt er rasch. Ich lasse mich auf einen Klappsessel sinken. Meine Hände zittern. „Ihr Handy ist in ihrem Schlafzimmer, Boss. Sie hat es nicht dabei", kommt die Antwort. „Dann nimm den Sender in der Vespa!", lautet die nächste Anordnung. Überrascht sehe ich ihn an. Ich wusste nicht, dass er dort einen angebracht hat. Vermutlich macht er sich mehr Sorgen um sie, als ihm anzusehen ist. „Boss, der Sender befindet sich kurz vor der Kreuzung Park Street 15th Avenue", meldet F.R.I.D.A.Y. und mein Bauchraum zieht sich schmerzhaft zusammen. „Das muss nichts heißen", sagt Tony rasch nach einem Blick zu mir. „Nach dem Unfall ist alles abgesperrt. Vielleicht steckt sie im Stau." „Ich hoffe es", murmle ich. „Ich hoffe es so sehr."

Schon mehrere hundert Meter vor dem Unfallort ist kein Durchkommen mehr. Tony stellt den Wagen ab und wir beginnen, uns durch ein Gewimmel aus Presseleuten und Schaulustigen zu kämpfen, doch irgendwann versperrt uns ein gelbes Absperrband den Weg. Ich lasse meinen Blick fassungslos über die verwüstete Kreuzung wandern. Autos liegen übereinander, auf dem Dach, wie Spielzeug. Das Schaufenster einer Boutique direkt an der Kreuzung ist zerschlagen, der Teil einer Autotür liegt zwischen umgefallenen Schaufensterpuppen. Es sieht aus wie ein modernes, irgendwie groteskes Kunstwerk. Ich hole tief Luft, um mich zu beruhigen, dann entdecke ich links von mir einen Officer, der dafür sorgt, dass niemand die Absperrung durchbricht. „Entschuldigen Sie, Sir!", rufe ich und versuche mich, zu ihm durchzukämpfen. Es ist mir egal, dass die Presse uns entdecken könnte. Alles ist im Moment unwichtig. Schließlich kommen Tony und ich zu ihm durch. „Sir, meine – meine Tochter war vielleicht am Unfall beteiligt." Es bleibt keine Zeit für komplizierte Beschreibungen unseres Verwandtschaftsverhältnisses. „Sie muss irgendwo hier sein, wir können sie nicht finden, sie-" Ich breche ab, als etwas Rotes, metallisch glänzendes seinen Blick auf mich zieht. „Ma'am?", erkundigt sich der Polizist. „Das - da vorne liegt ihr Roller!" Er folgt meinem Blick und seine Miene wird mitleidig. Tonys Hand schiebt sich in meine, während wir gemeinsam auf das verbeulte, gequetschte rote Blech starren, das wir Caitlin vor nicht einmal einem Monat geschenkt haben. Caitlin war in diesem Unfall von allen Beteiligten am wenigsten geschützt. Kein Gurt, keine Airbags, offenbar blieb ihr auch nicht die Zeit, Tonys Notfallknopf zu betätigen. Mein Kinn beginnt zu zittern und ich beiße auf meine Unterlippe. „Alle Beteiligten wurden ins nächste Krankenhaus gebracht", sagt der Officer sanft. „Ich hoffe, Sie finden dort Ihre Tochter." Ich nicke und lasse mich von Tony zurück zum Auto ziehen.
Während der Fahrt kämpfen wir mit den Tränen. Der Gedanke, dass wir vielleicht nur ins Krankenhaus fahren, um ihre Leiche zu identifizieren, entringt mir ein unterdrücktes Schluchzen. Tony legt seine rechte Hand auf mein Knie. „Wir wissen noch nichts", sagt er mit betont ruhiger Stimme, doch auch von ihm hat diese eisige Angst Besitz ergriffen.

Wir stürmen in den Eingangsbereich des Krankenhauses. Über all vor dem Eingang stehen Reporter, die über den Unfall berichten. Denen sind wir natürlich sofort aufgefallen, doch das Personal des Krankenhauses sorgt dafür, dass die Presse draußen bleibt. Eine junge, brünette Frau in Spitalkleidung kommt lächelnd auf uns zu. „Guten Tag, Mr Stark, Miss Potts, mein Name ist Caroline Walters, was kann ich für Sie tun?" Doch bevor ich den Mund aufbringe, ergreift Tony das Wort. „Meine Tochter, sie- sie war am Unfall an der Park Street beteiligt. Wir-" Seine Stimme bricht weg. Die Krankenschwester zuckt überrascht mit den Augenbrauen, dann führt sie uns zu einer Sitzgruppe an der Wand. „Setzen Sie sich!", bittet Caroline Walters uns. „Möchten Sie etwas zu trinken?" Tony atmet laut ein. „Ich will wissen, wo meine Tochter ist!" „Natürlich, Mr Stark", beruhigt ihn die Schwester. Sie setzt sich uns gegenüber. Ich nehme Tonys Hand und drücke sie fest. „Sind Sie sich sicher, dass Ihre Tochter in die Karambolage verwickelt war?" „Ja", antworte ich diesmal. „Wir waren am Unfallort und haben ihre Vespa dort gesehen." Meine sonst so sichere Stimme zittert. Mrs Walters sieht uns überrascht an. „Ihre Tochter fuhr den Roller?" „Ja!" Tony springt auf. „Bitte- was, wie- ist sie noch-" Wieder fehlen ihm die Worte. „Ihre Tochter lebt, Mr Stark", spricht die junge Frau beruhigend lächelnd auf ihn ein. Das schwerelose Gefühl von unglaublicher Erleichterung macht sich in mir breit und ich blinzele eine Träne aus meinen Augen. Tony lässt sich wieder auf die Sitzgelegenheit fallen und vergräbt sein Gesicht in den Händen. „Wie schwer ist sie verletzt?", wage ich nach einigen Minuten zu fragen. Das Gesicht der Schwester wird ernst. „Das Ausmaß der Verletzungen wurde noch nicht genau festgestellt. Ihre Tochter wird meines Wissens gerade operiert. Nach der Operation können wir mehr sagen. Allerdings weiß ich, dass sie keine schweren Kopfverletzungen erlitten hat. Es ist ein Wunder, dass dieser Helm sie so gut geschützt hat." Tony atmet geräuschvoll aus und lehnt seinen Kopf an die weiße Wand hinter ihm. Er hat den Helm verbessert. Hätte er alles so gelassen, wie wir ihn gekauft haben, wäre Caitlin vielleicht schon tot. Dieser Gedanke lässt mich erschaudern.
Eine andere Schwester kommt zu uns und bringt ein Formular. Mrs Walters reicht uns einen Kugelschreiber. „Könnten Sie bitte dieses Formular ausfüllen? Ich melde mich bei Ihnen, sobald wir etwas genaueres über Ihre Tochter wissen." Zum Abschied reicht sie uns die Hand und verschwindet mit ihrer Kollegin.
Ein Blick auf den Fragebogen zeigt mir, dass wir damit komplett überfordert sind. „Wir sollten Caitlins Mutter anrufen", beschließe ich. Tony schaut mich überrascht an. „Warum das denn?" Ich schüttele den Kopf. „Wir müssen ihr sagen, dass Caitlin einen Unfall hatte. Und sie bitten, uns hiermit zu helfen." Ich deute auf den Fragebogen. „Oder weißt du, was für Lebensmittelallergien Caitlin hat?" Widerstrebend sucht er auf seinem Handy eine Nummer heraus und drückt es mir in die Hand. „Rede du mit ihr", meint er. Ich hebe das Mobiltelefon widerspruchslos an mein Ohr und lausche dem Tuten in der Leitung. Dann nimmt am anderen Ende jemand ab und meldet sich: „Hallo?" Ich atme tief ein. „Spreche ich mit Bethany Riggs?" „Ja", lautet die Antwort. Ich atme tief durch. Das ist also Caitlins Mutter. „Miss Riggs, hier ist Pepper Potts. Ich rufe an wegen Ihrer Tochter." Auf der anderen Seite herrscht Schweigen. „Miss Riggs?" „Ich höre Sie", antwortet die Stimme. Irgendwie klingt sie viel zu dünn und leise, als einer erwachsenen Frau zu gehören. Plötzlich habe ich Bedenken, ihr von dem Unfall zu erzählen. „Wäre es möglich, zu Ihnen zu kommen?", frage ich aus einem Impuls heraus. „Warum?", will Bethany wissen. „Ich möchte Ihnen diese Angelegenheit nicht am Telefon erklären", antworte ich. Auf einmal fällt mir auf, wie geschäftsmäßig ich klinge. Mit sanfterer Stimme füge ich hinzu: „Mir liegt sehr viel am Wohl Ihrer Tochter. Können wir uns bitte von Angesicht zu Angesicht unterhalten?" Für eine gefühlte Ewigkeit herrscht Schweigen. Dann nennt sie mir eine Adresse.
Nachdem sie das Gespräch beendet hat, stehe ich auf. Tony, der sich in der Zwischenzeit einen Kaffee geholt hat, sieht mich fragend an. Missbilligend blicke ich auf das Getränk. „Irgendwie habe ich das Gefühl, dass die hier keinen Alkohol verkaufen, also nehme ich das Nächstbeste um meine Nerven zu beruhigen", verteidigt er sich. Ich strecke die Hand aus. „Autoschlüssel." Verwirrt sieht er mich an. „Was? Wofür?" „Ich fahre jetzt zu Bethany."

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