Boom

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Noch bevor ich einen unserer angemieteten Büroräume im M.O.W betrat, hörte ich Mikko und Niila schon unüberhörbar lachen.
Darauf hatte ich überhaupt keine Lust.
Nachdem ich am gestrigen Abend auf Emma getroffen war, hatte sich meine Laune schlagartig gewandelt. Na ja. Eigentlich erst, nachdem ich gemerkt hatte, dass bei ihr überhaupt nichts zu holen war. Sie hatte keinen Bock auf ein Gespräch und zeigte mir die kalte Schulter. Die erste Runde Bier war auf mich gegangen – Danach schickte ich Osmo an die Bar. Ich wollte mich nicht nochmal in so eine blöde Situation bringen.
Osmo hatte sich – selbstverständlich – auch das ein oder andere Mal länger mit Emma unterhalten hatte, so dass ich auf dem Trockenen saß. Ich war relativ pissig und hatte nicht wirklich einen guten Abend.
Weil Emma sich unfassbar kindisch verhalten hatte und nicht mit mir reden wollte.
Mimimi.
„Ausgeschlafen?", fragte Mikko, als ich in den Raum ging, in dem er sich mit Niila aufhielt.
Er saß am Schreibtisch, sah mich an und schob Niila gerade eine Tasse Kaffee rüber. „Sicher", grinste ich gekünstelt und zog die Mundwinkel extrem weit nach oben.
„Du lügst", Niilas Augenbrauen wippten ungläubig, während er eine Kaffeetasse in meine Richtung hielt.
„Sicher nicht", ich ließ mich auf einen der Stühle am Fenster fallen und wippte mit der Lehne auf und ab, „bei euch alles gut?"
Beide nickten.
„Dann ist ja gut", wieder lächelte ich besonders breit, „was steht an?"
„Du hast doch irgendwas", Mikko nahm seine Cap vom Kopf und legte die Stirn in Falten, „du hattest so Bock auf das Meeting, als wir dir davon erzählt haben. Was ist denn jetzt los?"
„Gleich hab ich irgendwas", sagte ich genervt und rollte mit den Augen.
Niila winkte ab und starrte auf den Bildschirm, der vor Mikko stand.
Ich hingegen saß immer noch auf meinem Stuhl und starrte aus dem Fenster. Es hatte angefangen zu regnen und irgendwie drückte das zusätzlich auf meine ohnehin schon schlechte Stimmung.
„Samu?", hörte ich Mikko laut sagen, „was hältst du davon?"
„Hm?", meine Hände lagen gefaltet auf meinem Bauch und ich musste sehr desinteressiert ausgesehen haben; Mikkos Blick nach zu urteilen.
„Alter", Niila blies die Wangen auf, „hör doch zu. Das betrifft dich auch?"
„Achja?", schmetterte ich ihm entgegen, stand auf und steckte die Hände in die Hosentaschen.
„Ja. Du musst jetzt nicht den Platzhirsch machen. Nimm dir 'n Stuhl, komm her und hör zu."
„Soll ich rausgehen?", Mikko grinste und deutete mit dem Kopf auf den Monitor, „guck wenigstens kurz. Denkst du, das geht so?"
„Jo", antwortete ich – ohne auch nur einen Blick auf den Bildschirm geworfen zu haben.
„Du hast gar nicht geguckt?", Mikko deutete mit dem Kopf auf den Monitor.
„Ich hab gerade andere Probleme", meinte ich nur und ging wieder zurück zu dem Stuhl am Fenster. Ich rieb mir die Augen und fuhr mir durch die Haare, woraufhin Mikko seinen Stuhl in meine Richtung drehte.
„Also doch", seine Stimme klang triumphierend – wie immer, wenn er glaubte, recht zu haben, „was ist los?"
„Will ich nicht drüber reden. Ich bin mit allem zufrieden, was ihr da fabriziert, fertig. Das wird gut sein. Ich hau jetzt ab. Mein Kopf dröhnt."
„Was?", Niila schüttelte den Kopf, „erst kommst du zu spät und willst jetzt bei der Tourplanung nicht dabei sein?"
„Das ist doch sowieso jedes Jahr gleich. Warum also immer planen?", wollte ich wissen und näherte mich dem Schreibtisch, an dem die Beiden saßen, „nimm das vom vergangenen Jahr und gut ist."
„Ob du es glaubst oder nicht: Aber es ist wichtig für mich, dass du das vernünftig absegnest", Niila war wütend, „stattdessen kommst du hier rein wie der Obermacker und interessierst dich überhaupt nicht für das, was hier abläuft."
Ich rollte die Augen und plusterte die Wangen auf.
„Vergiss es", Niila schüttelte den Kopf, „du holst mich her und lässt mich dann hier liegen. Von wegen Mentor."
„Überleg mal, wo du dank mir bist", entfuhr es mir etwas böser als ursprünglich geplant.
„Du schreibst meine Songs nicht, Haber. Und du bringst sie auch nicht auf die Bühne. Das mache ic..."
„Jetzt ist Schluss!", schnitt Mikko Niila das Wort ab, „wie alt seid ihr? Fünf oder was? Ich könnte mit meinen Kindern 'ne erwachsenere Unterhaltung führen."
„Dann mach das doch, viel Spaß", schnauzte ich zurück und ging in Richtung Tür, „ich hatte einen beschissenen Abend, hab schlecht gepennt und dann pisst ihr mir hier ans Bein. Was soll ich mit der Tourplanung machen? Ausdrucken und aufhängen?"
„Was ist passiert?", Mikko stand auf und hielt mich am Arm fest.
„Fang nicht so an, Alter", ich riss mich los, „ich bin ein Ex-Junkie, kein Schwerverbrecher."
„Und deshalb solltest du mit uns reden", Niila war aufgestanden und verschränkte die Arme vor der Brust.
„Ey bitte", wieder rollte ich die Augen – zum gefühlt 100x an diesem Tag, „Therapiesitzung oder was?"
„Was war gestern los?", Mikko ließ mich los und trat einen Schritt hinter mich, so dass er die Tür blockierte.
Ich kam mir vor wie im Kindergarten.
Immer wieder dieses blöde Gerede. Ich hatte keine Lust mich auszutauschen. Ich wollte nach Hause, mich noch ein bisschen hinlegen und das gestrige Aufeinandertreffen für mich sortieren. Ohne, dass jemand daneben stand, meinen Arm tätschelte und mit Therapiefragen um sich warf.
„Also?", Mikko legte den Kopf zur Seite, „was war gestern Abend?"
„Mikko, lass das", ich ballte die Fäuste in meinen Hosentaschen, „lass gut sein, wirklich."
„Du weißt, dass du reden sollst."
„Und du kennst mich lange genug und weißt, dass ich komme, wenn was ist."
„Das haben wir ja gemerkt", Mikko ließ eindeutige Ironie mitschwingen.
„Keiner hat Bock, dich wieder vom Boden aufzukratzen", warf Niila ein.
„Und ich will nicht reden. Ganz einfach. Ich will nach Hause. Ich brauche keine Gesprächstherapie. Und auch niemanden, der mich von Boden aufkratzt. Ich werd nicht rückfällig."
Einige Sekunden war es still.
Ich war mir nicht sicher, ob sie jetzt locker gelassen hatten oder nur einen Moment brauchten, um mich anschließend wieder mit Fragen zu bombardieren, auf die ich ihnen keine Antwort geben wollte.
Mikko ging an mir vorbei, setzte sich wieder auf den Drehstuhl und starrte auf den Bildschirm, während Niila immer noch stand und mich ansah.
„Hast du Mirja wiedergesehen?", fragte er plötzlich, „hat dich das aufgewühlt?"
Mirja.
Die alte Cracknutte hatte ich schon lange nicht mehr gesehen. Ich war mir nicht mal sicher, ob sie überhaupt noch lebte. Als meine Gelegenheits-Dealerin war sie nach meiner erfolgreichen Therapie vollkommen von der Bildfläche verschwunden. Nichtsdestotrotz schienen sich die Synapsen in meinem Kopf einen kurzen Moment daran zu erinnern, wie es war, mit Mirja Zeit verbracht zu haben.
Und das waren rückblickend keine schönen Zeiten gewesen. Ich war ständig drauf gewesen und hatte mich das ein oder andere Mal völlig aus dem Leben gekokst.
„Emma", sagte ich nur.
Mikko begann plötzlich laut zu husten, weil er sich offenbar an seinem Kaffee verschluckt hatte. Niila ging zu ihm und schlug Mikko ein paar Mal hintereinander auf den Rücken, während ich immer noch an der Tür stand.
„Im Carusel?", röchelte Mikko nach einigen Sekunden.
Woraufhin Niila ihm ganz eindeutig auf die Schulter boxte.
„Das Carusel schließt um fünf", sagte ich, „ich war mit Osmo unterwegs."
„Oh", Mikko streichelte sich über die Brust, „achso. Dann also im Lady Moon."
„Guckst du bitte drüber?", Niila lenkte an und zeigte auf den Monitor, „nur kurz."
Ich nickte kurz, ging die wenigen Schritte an den Tisch, trat hinter Mikko und schaute mir Niilas geplante Tourdaten sowie eventuelle Locationvorschläge an.
Als es plötzlich in meinem Gehirn zu rattern begann, als ich die Wörter „Bochum > Zeche?" in der Liste las.
„Sag mal, Mikko", ich lehnte mich etwas zurück und stand gerade hinter seinem Stuhl, „wie kommst du auf das Lady Moon?"
„Wieso?", er hustete erneut, drehte sich aber nicht um.
„Ich erzähle euch gerade, dass ich Emma getroffen habe. Und das einzige, was du sagst, ist „war das im Carusel?" und schiebst dann das Lady Moon hinterher? Wie kommst du darauf?"
„Wo sollte sie sonst sein?"
„Was?"
„Findest du es unpassend", Niila mischte sich ein, „wenn wir wieder eine der größeren Shows zusammen spielen würde? Ich vielleicht als Vorband und du mit den Jun...?"
„Moment mal", unterbrach ich Niila und setzte mich gereizt auf den freien Platz neben Mikko, „Was „wo soll sie sonst sein?" heißen? Zu Hause? Im Urlaub? Was will sie hier?"
„Stimmt", antwortete Mikko knapp und schob die Computermaus nervös über den Tisch.
„Was läuft hier gerade?", ich sah zu Niila, „wie kommt ihr darauf? Wieso seid ihr null überrascht, dass ich sie getroffen habe? Woher wisst ihr vom Lady Moon?"
„Das hast du gesagt", Niila grinste.
„Das habe ich nicht. Mit keinem Wort habe ich das erwähnt. Was ist das hier gerade?"
Keine Antwort.
Aber die Luft brannte.
Was hatte ich nicht mitbekommen?
Was hatte ich verpasst?
Mikko zog sich erneut die Cap vom Kopf, wuschelte durch die Haare und setzte sie falschherum wieder auf.
„Mikko?", sagte ich eindringlich und musste mich beherrschen, nicht ausfallend zu werden, „Niila? Was ist das gerade? Was läuft hier?"
Niila sog tief Luft ein und wischte sich mit den Händen durch das Gesicht.
„Alter", fing er an.
„Was Alter?"
Ich hatte eine winzige Vorahnung, die mir das Blut in den Adern gefrieren ließ.
Und ich hoffte, dass sich diese unter keinen Umständen bewahrheiten würde.
„Wir wissen, dass Emma hier ist."
Boom.

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