Bist du taub oder was?

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Noch am selben Abend hatte ich Rina wieder nach Hause gebracht und mich dazu entschieden, die Nacht mit mir allein zu verbringen. Ich schlief nicht gut, wenn mein Bettnachbar schnarchte, im Schlaf redete oder jemand war, zu dem ich keine tiefere Beziehung jeglicher Art pflegte. Den darauffolgenden Tag nutzte ich, um Besorgungen zu machen und mich mal wieder einer ausgiebigen Sportsession zu widmen. Erst am Freitagnachmittag ging ich wieder ins Büro.
Als ich aus dem Aufzug stieg, hörte ich Alina und Toni bereits lachen und Mikko am Ende des Ganges fluchen.
„Nimm es doch endlich an!", Mikko war nach vorne gebeugt und brüllte den Monitor auf unserer Muttersprache an, während er mit der rechten Hand fest auf die Computermaus drückte.
„Das geht nicht schneller, wenn du fester drückst", ich ging an ihm vorbei und hängte meine Jeansjacke an die Garderobe hinter ihm.
„Denkst du, das wüsste ich nicht?", pöbelte er mich an, „Dieses scheiß System funktioniert einfach nicht!"
„Soll ich mal gucken?", bot ich freundlich an und schaute ihm von hinten über die Schulter.
„Vor einer halben Stunde wäre das ein geiles Angebot gewesen. Jetzt ist es zu spät", Mikko schnaubte wie ein Bulle und war sichtlich pissig, „aber danke. Nein. Es geht schon."
„Ich wollte nur helfen", entschuldigend hob ich die Arme in die Luft und ging zu meinem Schreibtisch.
„Jaja", hörte ich Mikko leise meckern und entschied mich dazu, ihn erst einmal links liegen zu lassen.
Ich fuhr den PC hoch, las meine Mails und bestellte mir neue Laufschuhe, als ich hörte, wie Mikko wieder zu schnaufen begann.
„Was ist es jetzt?", neugierig reckte ich den Kopf über meinen Monitor.
„Gar nichts", nuschelte er durch die zusammengebissenen Zähne, „alles bestens."
„Kann ich irgendwas tun?"
„Warum bist du denn so freundlich?", jetzt sah auch Mikko zu mir herüber und zog die Augenbrauen hoch, „Was machst du eigentlich hier? Hab ich was verpasst?"
„Was ist los?"
„Du warst die letzten zwei Tage nicht hier. Was willst du also heute hier?"
Ich lachte.
„Entschuldigung, aber das hier ist meine Firma?"
„Du kannst hier nicht kommen und gehen, wann du willst, Hapa."
„Doch?", ich runzelte die Stirn, „So wie du auch? Und Alina? Und Toni? Es muss nur abgesprochen sein."
„Aber das hast du nicht", sagte Mikko hochnäsig.
„Spinnst du jetzt? Was ist dein Problem gerade?"
„Dass du hier rein und rausgehst, wie du lustig bist!", schrie er.
„Ok", sofort stand ich von meinem Stuhl auf und ging zur Tür, „das wars. Du kannst gerne mit irgendwelchen Asozialen draußen im Park so reden, aber nicht mit mir. Ich weiß nicht, was für ein Problem du gerade hast, aber ich bin sicherlich nicht dein Sündenbock, weil du irgendwas verkackt hast und deine Computermaus vergewaltigst."
Ich ließ Mikko keine Gelegenheit zu antworten und ging schnurstracks in die Küche, um mir einen Kaffee zu zapfen. Ich konnte nichts für seine schlechte Laune und ließ mir sicherlich nicht von ihm ans Bein pissen, nur weil er gerade kein anderes Ventil dafür hatte. Vielleicht sollte er sich einfach mal einen freien Tag gönnen, um auszuschlafen. Liisa war noch bis Sonntag weg und die Kinder waren bei seinen Schwiegereltern. Sowieso mussten wir nicht zu viert an einem Freitagnachmittag im Büro sitzen. Nach einem Briefing von ein paar Minuten hätte jeder von uns seine Sachen ins System eingegeben. Und falls das nicht ging, gab es immer irgendjemanden, der uns itmäßig helfen konnte.
Gerade als ich einen Schuss Milch zu meinem Kaffee hinzugeben wollte, räusperte sich jemand hinter mir.
„Ey", Mikkos Mundwinkel hingen noch weiter unten als sowieso schon, „tut mir leid."
„Aha", abwesend rührte ich meinen Kaffee um.
„Wirklich. Ich bin gerade", er holte tief Luft, „'n bisschen überfordert."
„Ein Bisschen?", ich zog die Augenbrauen zusammen und schob mich an ihm vorbei, „Du hast vor ein paar Minuten 'ne Maus getötet und einen Monitor angeschrien. Ein Bisschen?"
Mikko ging hinter mir her und stellte sich neben meinen Schreitisch, als ich wieder in unser Büro abgebogen war.
„Mir ist das zu viel", sagte er kleinlaut.
„Was genau? Die Bedienung von einem PC? Komm schon."
„Haha. Ich komm mit dem Kram von Niila nicht klar. Tour, Merch, Buchungen der einzelnen Locations. Das fuckt mich ab. Ich hatte vorhin eine Deadline für Köln. Da kann er aber jetzt nicht spielen, weil ich 'n Fehler gemacht hab und eine Buchung durcheinander gehauen hab", überschlug Mikko sich, „ich konnte der Locations jetzt aber nichts schicken, weil ich keine Mail schreiben konnte, weil dieses Mailsystem mal wieder nicht funktioniert."
„Schreib 'ne Mail?"
„Bist du taub oder was?", blaffte Mikko mich an.
„Schreib doch eine Mail an Contra über deine private Adresse", wollte ich ihn beschwichtigten, „die kümmern sich doch sonst auch."
„Da ist jetzt aber keiner mehr und das musste heute noch raus. Sonst ist das weg. Ich hab vorher noch die Sachen von und für Leo gemacht", gab er zu.
„Also hast du einfach nur 'n schlechtes Zeitmanagement", grinste ich und trank einen Schluck Kaffee.
„Das ist jetzt nicht hilfreich, Hapa", Mikko verdrehte die Augen.
„Schreib denen halt, dass es da Probleme gab und fertig."
„Niila ist nicht Michael Jackson. Das ist dir in den letzten Jahren schon aufgefallen, oder?"
„Klar. Michael Jackson ist tot. Was ist so schlimm daran?"
„Wenn er nicht auftritt, dann vergeben die das an wen anders, ist denen doch egal. Und das ist allein meine Schuld."
„Stell halt wen ein, der sich kümmert, wenn du überfordert bist", ich rollte mit meinem Stuhl zum Aktenschrank, „Emma oder so."
Mikko schwieg.
Und ich wollte mit meiner Äußerung so beiläufig wie möglich klingen.
Ich hatte noch lange darüber nachgedacht, in was für einem Schuppen Emma arbeitete und dass das nicht das war, wofür sie jahrelang zur Universität gegangen war. Vielleicht machte es ihr ja sogar Spaß, aber die Tatsache, dass sie hier lebte und sich mit einem Kellnerjob über Wasser hielt, machte mir Bauchschmerzen. In Deutschland hatte sie bei Zeitungen und Radiosender gearbeitet, bei Universal Music und am Theater Praktika absolviert. Sie hatte in meinen Augen was Besseres verdient. Irgendwas, was sie forderte und ausfüllte. Immer noch sah ich sie vor mir, wie sie den Caddy bei strömendem Regen einlud. Es stand mir sicher nicht zu, über ihr Leben zu urteilen, aber dieser Ort, diese zwielichtige Bar, war – in meinen Augen – einfach nichts für sie. Nach dem ganzen Scheiß, den sie mit mir hatte durchmachen müssen, war das alles andere als fair. Ich hatte mich nach meiner Therapie nie mit ihr ausgesprochen und mich offiziell für das entschuldigt, was ich ihr – vor allem emotional – angetan hatte. Wenn ich ihr jetzt helfen konnte, eine eigene Wohnung zu finden und nicht mehr in ranzigen Bars zu jobben, dann tat ich das gerne.
„Sie kann ja auch „nein" sagen", durchbrach ich die Stille, „sie hat das ja schonmal für eine begrenzte Zeit gemacht. Du kannst ja mal unverbindlich fragen."
„Darf ich mal nachfragen, wie du jetzt darauf kommst?", Mikko schnalzte mit der Zunge, „Emma? Hier?"
„Na ja", ich zuckte mit den Schultern und stand auf, „sie hat ihren Job gut gemacht und sie weiß, wie es läuft. Du müsstest sie nicht einarbeiten."
„Ich frag das nochmal: Wie kommst du jetzt darauf? Wieso Emma?"
„Puh", ich plusterte die Wangen auf, „ich war mit Rina im Lady Moon."
„Oh Gott", Mikko zog die Cap tief ins Gesicht, „weiter."
„Wir wissen ja beide, dass Emma da arbeitet", fing ich an.
Mikko nickte.
„Und sie arbeitet prinzipiell gerne da."
„Ja. Der Schuppen ist 'ne totale Ab...", ich stoppte, „warte mal. Sie ist das gerne? Warum?"
„Warum weiß ich nicht. Ich hab sie am Flughafen getroffen, als ich Liisa weggebracht hab. Sie arbeitet gerne im Lady Moon und Carusel. Aber sie will natürlich irgendwann mal wieder das machen, was sie vorher gemacht hat."
Bevor ich mich wieder darüber aufregte, dass er mir nicht gesagt hatte, dass er Emma getroffen hatte, schwieg ich vorerst. Es war auch – reflektiert betrachtet – kindisch von mir, jedes Mal ein Fass aufzumachen und meine Freunde darauf hinzuweisen, dass Emma meine Exfreundin gewesen war. Sie würde hier vermutlich öfter irgendjemandem über den Weg laufen. Das ließ sich nicht vermeiden. Es sei denn, sie würde irgendwann wieder zurück nach Deutschland gehen. Danach sah es aber nicht aus.
„Ah", ich biss mir nachdenklich auf die Lippe, „sie will also zurück in ihr altes Umfeld?"
„Das hat sie nicht gesagt. Das war eher auf den Job bezogen."
„Na guck", ich grinste breit, „dann frag sie doch mal."
„Ob sie hier arbeiten will?"
„Ja."
„Ich weiß nicht so ganz", Mikko verschränkte die Arme vor der Brust, „ihr kommt nicht so gut miteinander aus, oder täusche ich mich da? War da nicht mal was? Hilf mir auf die Sprünge. Ich weiß es nicht mehr."
„Du bist dir auch für nichts zu schade", ich rollte die Augen, „ich hab ein schlechtes Gewissen."
„Wie kommts?"
„Ich hab Emma so schlecht behandelt und jetzt kellnert sie in meiner Heimatstadt in einer Absteige."
„Aber sie will das doch?"
„Ich will irgendwas tun, damit sie sich hier besser fühlt. Ich kann mein Verhalten nicht wieder gut machen, aber ich kann versuchen, ihr einen besseren Start zu ermöglichen, wenn sie vorhat, hier zubleiben. Sie hat was Besseres verdient als diesen Schuppen."
„Aber mit dir hier zu arbeiten ist besser?", sagte Mikko ironisch, „Das ist nichts, was sie will. Ganz sicher nicht."
„Hat sie das gesagt, als ihr geredet habt?"
„Natürlich", Mikko wurde sarkastisch, „sie hat gesagt, dass sie lieber hier arbeiten würde, damit sie dir jeden Tag über den Weg laufen kann."
„Arschloch."
„Natürlich hat sie nichts gesagt."
„Dann weißt du ja gar nicht, ob das doch eine Option wäre."
„Sei mir nicht böse, Bro", Mikko fasste mir an die Schulter, „ihr seid mit einem ganz ganz ganz schlechten Verhältnis auseinander gegangen. Das ist prinzipiell ok und bei verflossenen Lieben manchmal so. Aber Emma soll jetzt hier arbeiten? Und dich jeden Tag sehen? Und du sie?"
Da hatte Mikko nicht ganz unrecht. Früher oder später musste ich mal ins Büro. Aber vielleicht konnte man diese Termine so planen, dass wir uns nicht über den Weg liefen. Vielleicht war das auch eine blöde Idee. Aber es war ein Versuch wert; es war nicht mal klar, ob Emma annehmen würde.
„Das wird sie auf keinen Fall tun", schob er nach.
„Deshalb sollst du ja auch fragen. Wenn sie mitbekommt, dass das meine Idee war, lehnt sie sowieso ab. Das würde ich vermutlich auch tun. Sag ihr, wir brauchen jemanden für Niila. Den mag sie ja auch", erklärte ich, „er ist ja quasi ihr Schwager in spe. Es geht darum mit und für Niila zu arbeiten. Nicht für mich oder die Band."
„Denkst du, dass dein Plan funktioniert?"
„Das wissen wir erst, wenn du sie gefragt hast", grinste ich und boxte Mikko auf den Oberarm.

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