Als hätte ich einen Schlag ins Gesicht bekommen taumelte ich langsam rückwärts zurück zu dem Stuhl am Fenster, ließ mich darin fallen und starrte Niila als auch Mikko mit weit aufgerissenen Augen an.
„Was?", ich schüttelte den Kopf.
„Wir wissen, dass Emma hier ist", wiederholte Mikko und drehte sich auf dem Stuhl in meine Richtung.
„Was?"
„Sie arbeitet hier", ergänzte Niila, „im Carusel und im Lady Moon."
„Was?"
„Sie ist bei Noora untergekommen", Mikko wirkte plötzlich noch kleiner als sowieso schon.
Die ganze Situation war ihm offensichtlich unfassbar peinlich und ich hoffte sehr, dass er einen guten Grund hatte, mir davon bisher nichts zu erzählt zu haben.
Ich war fassungslos, wütend und enttäuscht.
„Was?"
„Wir haben das auch durch Zufall erfahren", Niila nahm einen Schluck Kaffee, „sie war plötzlich da, hatte einen Job und ein Dach über dem Kopf."
„Wie lange wisst ihr schon, dass sie hier ist?"
Niila schaute zu Mikko, der nur die Stirn fragend runzelte, bevor er antwortete.
„Wir wissen, dass sie schon hier gewohnt hat, als wir im Juli bei Ed Sheeran waren."
„Was?"
„Aber das haben wir erst vor ungefähr zwei Wochen erfahren. Liisa hat sie im Carusel getroffen."
Ich stemmte das Gesicht in die Hände und rieb mir die ohnehin noch müden Augen.
„Seit zwei Wochen? Und ihr denkt nicht eine Sekunde daran, mir das vielleicht zu erzählen?"
„Wir dachten, das würde dich nur aufregen", Niila zuckte entschuldigend mit den Schultern, „wir sind nicht davon ausgegangen, dass ihr euch so schnell über den Weg lauft."
„Und deshalb dachtet ihr, dass ihr mal die Fresse haltet und nichts sagt? Weil Helsinki Hong Kong ist und hier acht Millionen Menschen leben? Die man sowieso alle nicht kennt? Seid ihr vollkommen bescheuert?"
„Wir wollten dir das noch sagen", entschuldigte sich Niila, „aber der Zeitpunkt war immer unpassend."
Ich lachte.
„Wann wäre der Zeitpunkt denn passend gewesen? Wenn wir zusammen im Lady Moon abgestiegen wären und sie uns bedient hätte?"
„Natürlich nicht."
„Wann denn dann?", spottete ich.
Diese Situation war surreal.
Meine Ex-Freundin lebte in meiner Heimatstadt, hatte zwei Jobs, schlief bei einer Freundin auf der Couch und meine Freunde wollten auf den passenden Zeitpunkt warten.
Das musste mir auch erstmal jemand nachmachen.
„Wir wussten nicht", Mikko stand auf, „wie du das nach Gelsenkirchen verkraftest. Das war ja schon alles nicht ohne?"
„Und deshalb hüllt ihr mich in Watte?", ich stand auf, „ihr seid meine Freunde! Ihr hättet verdammt noch was sagen müssen! Sofort! Nicht erst, wenn der passende Moment dafür gekommen ist! Lasst mich ruhig im Dunkeln und wartet, bis ich selbst auf die Fresse falle und mich in einem ehemaligen Bordell von ihr bedienen lasse! Wisst ihr, wie scheiße sich das anfühlt?"
„Wir können uns nu...", Mikko kam näher auf mich zu.
„Einen Scheiß könnt ihr! Ihr hättet was sagen müssen! Das ist eure verdammte Scheißpflicht! Wenn Liisa dich irgendwann mal betrügen sollte, warte ich auch auf den passenden Moment, um es dir zu sagen", ich malte bei den Wörtern „passenden Moment" Gänsefüßchen in die Luft, „macht man ja so. Werde ich zukünftig immer so machen!"
„Jetzt beruhig dich mal", Niila hielt die Hände beschwichtigend in die Luft.
„Ich bin ruhig. Ich war nie ruhiger", entgegnete ich und ging weiter durch den Raum in Richtung Tür.
„Was hast du jetzt vor?", Mikko zog seine Schultern fragend hoch, „wo willst du hin?"
„Das geht euch einen Scheiß an!", ich streckte ihnen den Mittelfinger entgegen und knallte die Glastür, als ich den Raum verließ.
Vor der Tür griff ich in meine hintere Hosentasche, zog die mittlerweile zerknautschte Packung Zigaretten heraus und zündete mir eine an.
Mir war nicht klar, dass meine Freunde solche Arschlöcher waren und versuchten, mich zu schützen, indem sie einfach gar nichts sagten. Manchmal war Schweigen Gold, aber in diesem Fall war das eine unfassbar dumme Idee gewesen.
Die Sonne knallte mir ins Gesicht; meine Sonnenbrille hatte ich natürlich zu Hause gelassen. Konnte ja niemand ahnen, dass ich vor Einbruch der Dunkelheit wieder draußen sein würde.
„Was hast du jetzt vor?", hörte ich Mikko hinter mir schreien.
Ich ignorierte ihn.
Es ging ihn überhaupt nichts an, was ich jetzt vorhatte.
„Samu, man!", schrie er wieder, „bleib doch stehen, verdammt nochmal!"
Aber wieder ignorierte ich ihn.
Ich hatte keine Lust auf ein Gespräch jeglicher Art. Er sollte mit Niila seine Scheißtour planen und mich erst wieder anrufen, wenn er sich darüber Gedanken gemacht hatte, warum ich so sauer war.
„Ey", ich spürte eine Hand an meinem Arm, „jetzt warte mal."
„Lass mich los", presste ich durch die Zähne, „sofort."
„Mach jetzt nichts, was dir später leid tut", Mikko ließ mich los.
„Du verarscht mich, oder?", ich konnte einen Lacher nicht unterdrücken, als ich mich zu ihm umdrehte, „was soll ich machen? Koksen oder was?"
„Es geht Emma hier sehr gut."
„Das ist schön für sie. Wirklich."
„Ohne dich", nuschelte Mikko leise.
Aber immer noch laut genug, um es zu verstehen.
„Danke", ich grinste breit, drehte mich wieder um und bog in den Yrjönkatu ab.
„Wo willst du hin?"
„Ins Lady Moon natürlich!", ich drehte mich um, warf die Arme in die Luft und ging rückwärts weiter, „um Emma zu sagen, wie sehr ich mich für sie freue!"
Mikko joggte auf mich zu.
„Kannst du ein einziges Mal ernst sein?"
„Bin ich."
„Das war nicht böse gemeint, tut mir leid", Mikko verschränkte die Arme vor der Brust, „es läuft momentan bei ihr. Sie ist mit Paulus zusammen, hat 'n Dach über dem Kopf und feste Jobs, bei denen sie nicht plötzlich gekündigt wird. Nach dem ganzen Mist ist das wirklich toll für sie."
Vollkommen unwichtig, wie es mir ging.
„Was?", ich riss die Augen auf, „Paulus?"
„Niilas Bruder", Mikko nickte, „ja."
„Alter. Weiß Niila das?"
„Ja, aber Niila weiß nicht, wie sehr du unter der Trennung und gerade nach dem Ed Sheeran-Konzert gelitten hast."
Ich blies Luft aus.
Das war hart.
Jeder wusste hier anscheinend Bescheid und hielt die Fresse, um mich zu beschützen. Vor wem oder was? Mir selbst?
Es schien völlig egal zu sein, wie es mir mit der ganzen Situation gegangen war. Ich hatte heulend vor ihrer Tür gesessen und mich nicht getraut, etwas zu sagen.
Das Ed Sheeran-Konzert war übel für mich gewesen, allerdings hatte ich mich damit abgefunden, dass ich Emma sehr viel zugemutet und damit einen Fehler gemacht hatte. Sie war glücklicher ohne mich – was ich nicht anzweifelte und durch Mikko nochmal bestätigt wurde.
Aber wieso hier?
Und wieso mit einem Typen, der sich auch irgendwie in meinem Dunstkreis aufhielt?
Ich unterstellte Emma keine böse Absicht; dafür war sie nicht der Typ. Dennoch wäre es einfacher gewesen, wenn ihr neuer Freund nicht unbedingt Niilas Bruder gewesen wäre, dem ich zwischendurch auch mal über den Weg lief, wenn er vor Ort war und nicht irgendwo in der Weltgeschichte einen Ball in ein Tor kickte.
„Sollte ich sonst noch was wissen?", sagte ich nach einer kurzen Pause.
„Was meinst du?"
„Ich weiß nicht", ich legte den Kopf schief, „Hochzeit, Kinder, Hund, Hausbau?"
„Ist mir nicht bekannt", Mikko zuckte mit den Schultern, „irgendwann erstickst du an deinem Sarkasmus."
„Hoffentlich bin ich währenddessen allein und muss mir nicht so 'ne Scheiße von meinen Freunden anhören", antwortete ich knapp und ließ Mikko kopfschüttelnd in der prallen Sonne stehen.
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Handprints
Fanfiction"[...] Und dabei sah ich aus wie der letzte Höhlenmensch. Hose und Shirt von gestern, das Shirt zusätzlich verknittert, die Haare nicht gemacht, Speiseeisflecken mit Schokoladenstückchen auf meiner Jacke. Zum Glück hatte ich keine frischen Klamotten...