Die Tage bis zu Paulus' Rückkehr verbrachte ich mit viel Arbeit und dem Aufbau einiger Überstunden, so dass ich diese abfeiern konnte, wenn er endlich wieder da war. Ich hatte so viele Dinge auf der Agenda, die ich mit ihm machen wollte, bevor er wieder nach Schweden zurückfliegen musste, um das Runde in das Eckige zu befördern.
Wir ließen die ersten Tage ruhig angehen, verbrachten viel Zeit auf dem Sofa, schauten Serien und aßen Fastfood; und das alles ohne schlechtes Gewissen.
Das Wetter kam uns dabei sehr entgegen. Es regnete nämlich in Strömen, als ich Paulus am Flughafen abholte. Erst als das Wetter wieder besser wurde, bewegten wir uns in Richtung Tageslicht: Gingen spazieren, schlenderten durch die Stadt und fuhren für zwei Tage in das Mökki seiner Eltern.
Bevor es für Paulus zurück nach Schweden ging, nutzten wir den sommerlichen Abend zuvor für ein letztes Treffen mit seinen Geschwistern und Freunden am Café Carusel an Helsinkis Küste. Niila wollte einen kleinen Einweg-Grill mitbringen, während wir anderen uns um Teller, Becher, Salate und natürlich Grillgut kümmerten.
Paulus und ich waren den ganzen Tag zu Fuß unterwegs, um die letzten Sonnenstrahlen des Sommers zu genießen, bevor es langsam aber sicher Herbst und schlagartig darauf Winter wurde. Das war so sicher wie das Amen in der Kirche.
Wir schlenderten an der Markthalle vorbei – natürlich erst nach einem kurzen Halt im Inneren – gingen die Promenade entlang, schossen Fotos, alberten herum und genossen die Zeit, die uns noch blieb. Es war komisch für mich, Paulus schon wieder gehen lassen zu müssen, aber das war sein Job und ich wollte ihm und seiner Karriere auf keinen Fall im Weg stehen. Zudem wusste ich aus der Zeit bei Universal Music ganz genau, dass das Reisen für den Job nicht nur Stress und Arbeit bedeutete, sondern auch den eigenen Horizont erweiterte. Gut, Paulus spielte Fußball. Aber er tat das mit Leidenschaft und Herzblut. Und – glücklicherweise – war er kein Idiot, mit dem man sich nicht unterhalten konnte.
Langsam zogen wir an der Kunstgalerie sowie dem Café Ursula vorüber, vorbei am Park Kaivopuisto und am Kompassitori. Am Hafen auf der linken Seite lagen kleine und größere Schiffe und Boote, die teilweise schon von ihren Besitzern auf den anstehenden Herbst beziehungsweise Winter vorbereitet wurden. Andere wiederum nutzten die angenehme Luft für eine weitere – oder vielleicht sogar letzte – Fahrt auf dem Meer.
Auf einige Entfernung konnte ich schon die Rauchschwaden von Niilas Einweggrill erkennen und ich musste bei dem Gedanken an verkohlte Steaks und Grillfackeln lachen. Alle hatten sich hinter ihn gestellt, weil Niila den Grill mit Hilfe einer Pappe anfeuerte.
Die Sonne kitzelte meine Nase, als Paulus mich plötzlich an der Hand dicht an sich heranzog, seinen Arm um mich schlang und meinen Scheitel küsste. Die Leute mussten sich jetzt um uns herumschlängeln, um an uns vorbeizugehen; aber das war in diesem Moment vollkommen nebensächlich. Mich durchfuhr eine Gänsehaut, als ich mich nah an ihn schmiegte und die Augen schloss. Paulus war ein toller Mann und ich war froh, dass ich diesen ganzen ersten Dates doch eine Chance gegeben hatte und nicht von vornherein abgeblockt hatte. Es war so schön, dass er endlich wieder da war. Seine Anwesenheit tat mir gut und ich konnte mir keinen Ort vorstellen, an dem ich lieber gewesen wäre.
„Let's take a picture", grinste Paulus, zückte das Handy, stellte die Tasche mit dem Grillgut ab und hielt das Handy schräg über unsere Köpfe.
Ich bemühte mich, die Augen nicht zusammenzukneifen, legte eine Hand auf Paulus' Brust und lächelte breit.
„Now it's my turn", meinte ich zu meinem Freund, nachdem er unzählige Schnappschüsse von uns gemacht hatte. Ich löste mich aus seiner Umarmung und ging einige Schritte rückwärts, dabei kramte ich in meiner Umhängetasche nach dem Smartphone. Ich öffnete die Kamera, hüpfte nochmal zwei Schritte zurück und fasste Paulus in den Fokus, als mir jemand mit Karacho in den Rücken lief.
Mein Oberkörper kippte ruckartig nach vorne und das Handy landete – mit dem Display zuerst – auf dem Asphalt.
„Anteeksi!", rief ich laut und drehte mich schnell um, weil ich mich während des Rückwärtsgehens nicht umgedreht hatte und mir zumindest eine Teilschuld an dem Zusammenstoß gab.
„En nähnyt si", begann der blonde Mann, stockte plötzlich und ging einen Schritt nach hinten, „Emma?"
Er steckte das Handy in seine Hosentasche und schob die Sonnenbrille auf den Kopf.
„Samu!", Paulus war hinter mich gekommen, hielt mir das Smartphone, was vorher auf dem Boden gelandet war, hin, wandte sich dann wieder zu mir und legte die Hände auf meine Schultern, „are you ok?"
Samu und ich standen uns gegenüber und die Stille zwischen uns schien sich auf die komplette Stadt zu übertragen. Die Wellen rauschte nicht mehr, wenn sie gegen die Boote schlugen, die Vogel waren – meiner Ansicht nach – völlig verstummt.
„Auge nicht auf die path, mh", sagte Samu süffisant lächelnd, richtete sich auf, zog den Kragen seiner schwarzen Bomberjacke zurecht und schielte auf den weißen Fleck auf seiner Brust.
Sein Handy hatte den Aufprall überlegt, das Eishörnchen nicht.
Es lag auf dem Boden, die Kugel Eis direkt auf einer Brust.
„Das Gleiche gilt für dich", gab ich mit einem falschen Grinsen zurück, griff nach dem Smartphone, das Paulus noch immer in der Hand hielt und drehte mich zu ihm um, „let's go."
„Are you ok?", wiederholte er wieder.
Ich nickte und sah auf das Display meines Mobiltelefons.
Kaputt.
Völlig zerstört.
Spiderapp.
Aber voll funktionstüchtig.
Noch.
Nochmal drehte ich mich zu Samu und hielt ihm das Handy entgegen.
Er hingegen starrte immer noch auf den Fleck auf seiner Jacke und zeigte darauf, als er bemerkte, dass ich ihn ansah.
„Kannst du bezahlen", meinte ich.
„Wenn du bezahlst meine jacket."
„Du hast doch nicht geguckt", fauchte ich, „zahl doch deine scheiß Jacke selbst."
„Vergiss es", Samu sah an mir vorbei und begrüßte jetzt Paulus kopfnickend, bevor er mich wieder ansah, „du musst auch gucken, wo du gehst hin auf deine Weg. Sonst maybe es ist die wrong way und du merkst nicht."
„Das Gleiche gilt für dich", schoss ich scharf zurück, „deine Dealer hätten auch die 30 Sekunden warten können."
„Emma", er schüttelte den Kopf und zog wütend die Augenbrauen hoch, „stop it. Really. Don't do that."
„Guck nach vorne oder kauf dir endlich eine Brille mit Sehstärke", schrie ich schon fast.
„Stop it", wiederholte Samu.
„Guck nach vorne, man!", blaffte ich und merkte in diesem Moment, dass uns diese Unterhaltung nicht vorwärts brachte.
Samu meckerte, ich meckerte zurück.
„Hey", Paulus stand plötzlich zwischen uns, „what's the problem now?"
„Everything is ok", zwang ich mich – mal wieder lächelnd – und nickte.
Paulus nickte ebenfalls und begrüßte Samu dann mit einem Handschlag. Da er Niilas Bruder war, kannten sie sich natürlich. Und Paulus wusste auch, dass ich damals mit der Band unterwegs gewesen war.
Was er nicht wusste war, dass ich schon mehr als einmal mit Samu aneinander geraten war.
Mal angezogen, mal nackt.
Und ich legte keinen Wert darauf, dass Paulus davon erfuhr.
Es spielte keine Rolle mehr, was Samu für mich gewesen war. Das hatte ich hinter mir gelassen. Und dennoch musste ich mir eingestehen, dass solche plötzlichen Aufeinandertreffen durchaus möglich waren und ich mich vielleicht nicht immer wie eine Furie verhalten sollte. Irgendwann würde der Tag kommen, an dem ich Samu neutral gegenüberstehen könnte.
Aber dieser Tag war definitiv nicht heute.
Samu und Paulus tauschten sich noch etwas auf Finnisch aus – was immer noch nicht mein Steckenpferd war – bevor Paulus meine Hand nahm.
Und ohne Samu ein weiteres Wort zu schenken, ließ ich mich von Paulus in die Richtung der Anderen führen.
„What did you talk about?", wollte ich wissen.
„Business", grinste Paulus und verdrehte die Augen, bevor er meinen Scheitel küsste.
„Business", nickte ich anerkennend.
DU LIEST GERADE
Handprints
Fanfiction"[...] Und dabei sah ich aus wie der letzte Höhlenmensch. Hose und Shirt von gestern, das Shirt zusätzlich verknittert, die Haare nicht gemacht, Speiseeisflecken mit Schokoladenstückchen auf meiner Jacke. Zum Glück hatte ich keine frischen Klamotten...