Egal wo, egal wann, egal wie

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„Ausgeschlafen?", nuschelte Noora mit einer angebissenen Zimtschnecke in der Hand, als ich völlig übermüdet aus dem Gästezimmer torkelte.
Die Sonne schien durch die langen weißen Vorhänge und blendete mich, als ich mich zu ihr an den runden Esszimmertisch setzte und den Kopf in den Händen vergrub.
„Tee?"
Ich nickte nur stumm und hörte, wie der Stuhl über das helle Parkett rutschte, Wasser in eine Tasse gegossen und in unmittelbarer Nähe meines Kopfes platziert wurde.
„Wie lange warst du arbeiten?", fragte Noora und biss erneut in die Zimtschnecke.
Ich hob die Hand, zeigte vier Finger und musste mich dazu durchringen, mich vernünftig hinzusetzen und nicht wie ein Sack Kartoffeln auf dem Stuhl zu hängen.
„Ich hab noch mit Pekka getrunken", müde griff ich nach dem Tee und umklammerte ihn mit beiden Händen, den Kopf immer noch etwas gesenkt.
„Warum machst du das denn?" Noora lachte, langte hinter sich und schob die Bäckertüte in mein durchaus beschränktes Sichtfeld, „du weißt doch, dass man da nur verlieren kann."
„Ich weiß", quengelte ich und grabschte motorisch vollkommen unkoordiniert in die Papiertüte, zog eine Zimtschnecke heraus und biss etwas unbeholfen ab.
„War noch jemand dabei?"
„Aada. Die kam später noch privat vorbei", antwortete ich mehr nuschelnd als alles andere.
„Aso. Mit der hab ich heute zusammen die Schicht. War es voll?"
„Nee, gar nicht", ich trank einen Schluck Tee, „war ruhig und entspannt. Ist halt einfach zu warm."
„Hoffentlich bleibt das heute so. Wenn ich mir so das Wetter angucke, würde ich eher auf Löyly als Lady Moon tippen."
„Wette nicht darauf", ich schmunzelte, kämmte mir die Haare mit den Fingern aus dem Gesicht und sah in Nooras große Augen, „da kannst du nur verlieren. Bei Einheimischen aber auch bei Touristen."
„Waren Mike und Harvey da?", Noora riss ein Stück von der Zimtschnecke ab und steckte sie sich in den Mund.
„Den ganzen Abend, ja. Und Samu übrigens auch", meinte ich beiläufig und lehnte mich an die Rückenlehne des Stuhls.
„Bitte?", Noora klopfte sich die Hände über dem Teller ab, „und das sagst du mir so nebenbei? In einem Nebensatz?"
Ich zuckte gleichgültig mit den Schultern.
„Was stimmt denn nicht mit dir?", sie lehnte sich aufgeregt zu mir herüber und tippte mit einem Finger auf den Tisch, „erzähl doch!"
„Na nichts. Er war halt da. Mit Osmo."
„Ja und weiter? Habt ihr gesprochen? Hat er dich angesprochen?"
„Er hat bei mir bestellt", ich nahm einen weiteren Schluck Tee und schlurfte dann zum Kühlschrank, um mir Marmelade herauszuholen.
„Weiter?", Noora drehte sich zu mir um und zog die Beine an, „lass dir nicht alles aus der Nase ziehen!"
„Nichts", sagte ich in den Kühlschrank, bevor ich wieder zu meinem Platz ging, „er war da, ich war da, er wollte was trinken, ich hab es ihm gebracht. Ende der Geschichte."
„Und zwischendurch?"
„Was zwischendurch?"
„Wie hast du dich gefühlt, als du ihn gesehen hast? Als er bei dir bestellt hat? War das nicht komisch?"
„Doch, schon."
„Ja und? War er nett?"
Ich grübelte einige Sekunden.
Keine Ahnung, ob Samu nett gewesen war. Ich war in erster Linie perplex und sauer, weil ich nicht damit gerechnet hatte, ihn nochmal zu treffen.
Rückblickend war das ein ziemlich blauäugiger Gedanke.
„Ich war überrascht ihn zu sehen", fing ich an, „und auch sauer."
„Und dann?"
„Nix und dann. Ich hab ihm sein Scheißbier gebracht und abkassiert."
„Ok", Noora zog die Augenbrauen hoch, „das Bier kann überhaupt nichts dafür? Hat er dir das Geld an den Kopf geschmissen und ist dann gegangen oder was?"
„Nein", ich biss mir nachdenklich auf die Unterlippe.
„Du bist richtig sauer", Noora grinste und wischte die Krümel vom Mund weg.
„Ich war mit der Situation überfordert", gab ich zurück, „ich hab nicht damit gerechnet, ihm hier so schnell über den Weg zu laufen."
„Macht ja auch Sinn", meine Freundin verdrehte die Augen, „er wohnt ja auch nicht hier, nein, nein."
„Natürlich weiß ich das", ich streckte ihr die Zunge raus, „trotzdem dachte ich nicht, dass das Lady Moon sein persönlicher Place-to-be ist. Letztlich kann er hingehen, wo er will."
Noora stand auf, tätschelte meine Schulter und legte den Kopf schief.
„Wäre es mir auch. Nach dem ganzen Drama. Auch, wenn schon einige Zeit dazwischen vergangen ist."
„Ja. Das war doof."
Ich schaute verlegen auf den Küchentisch.
Das alles, was in der Vergangenheit zwischen uns passiert gewesen war, war nicht nur doof, sondern auch extrem belastend gewesen. Und die Tatsache, dass Samu jetzt auch noch in der Bar, in der ich arbeitete, aufgeschlagen war, machte die Sache nicht unbedingt besser. Das Aufeinandertreffen war alles andere als schön.
Aber: Jedes Aufeinandertreffen wäre unangenehm gewesen.
Egal wo, egal wann, egal wie.
Hätten wir uns damals unter normalen Umständen getrennt, wäre mir vielleicht sogar ein freundliches „hi" über die Lippen gerutscht.
Aber nicht danach.
Hätte ich nicht arbeiten müssen und schiefe Blicke von Pekka geerntet, wäre ich sicher einfach gegangen.
Ganz weit weg.
Vielleicht wäre ich in Berlin nicht auf ihn getroffen. Zumindest nicht irgendwo in einem hippen Café in irgendeinem Randbezirk. Aber ich hatte mich bewusst für Helsinki entschieden. Ich liebte diese Stadt. Die Menschen waren nett und freundlich und die Sommer endlos. Und ich mochte das Zusammenleben mit Noora. Genau wie meine Arbeit und den Mann, den ich an meiner Seite hatte.
Das alles waren Dinge, die eindeutig auf der Pro-Seite der Liste standen.
Auf der Contra-Seite standen nur Samu Haber und Winter.
Mit einem der beiden Dinge konnte ich definitiv besser leben.
„Emma?"
„Hm?", ich kratzte mir müde den Kopf.
„Dein Handy? Es klingelt?"
„Oh, ja. Natürlich!", die Zimtschnecke landete etwas neben dem Teller und ich hastete zurück in Nooras Gästezimmer.
Dort angekommen schlug ich die Decke zurück, wühlte mich durch die 100 Kopfkissen und angelte das Smartphone schließlich aus der Ritze zwischen Wand und Bett hervor.
Und sofort wich die Wut, die ich gerade noch verspürte, meinem Gesicht und ein Lächeln breitete sich aus.

Als ich 20 Minuten später aus dem Zimmer kam, hatte Noora ihren Teller bereits abgeräumt, stand mit der verschränkten Armen an der Küchenzeile und starrte mich erwartungsvoll an.
„Was sagt der Fußballgott? Gehts ihm gut?"
„Woher willst du wissen, dass er das war?"
„Ich kenne dich und sehe dein Gesicht. Also?", Noora schwang ihren blonden Zopf cool über die Schulter, „dir scheint gerade die Sonne aus dem Arsch und du lächelst wie der Joker. Wer soll es sonst gewesen sein? Deine irre Mutter? Ganz bestimmt nicht."
„Du bist doof."
„Aber ich habe recht!", Noora klopfte sich mit der Faust dreimal auf die Brust und grinste mich an.
„Na, so toll bist du jetzt auch nicht?", sagte ich lachend und biss nochmal in meine Zimtschnecke.

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