„Paska!", fluchte ich, als ich die Plastikplane für das Überwintern des Bootes aus der schwarzen Box zog. Sie hatte sich an einem Stück irgendwie mit den Scharnieren der Kiste verheddert, so dass ich Schwierigkeiten hatte, sie – wie sonst – einfach herauszuziehen. Vielleicht hätte ich sie beim letzten Mal falten sollen. Dann hätte ich dieses Problem nicht gehabt. Egal, wie fest und in welche Richtung ich zog, die Plane wollte nicht so wie ich und bewegte sich keinen Millimeter. Ich rollte das, was ich bereits aus der Box hatte ziehen können, vor meinem Bauch zusammen, zog nochmal fest daran und kam dann plötzlich ins Straucheln. Die Abdeckplane riss an der Stelle, an der sie zwischen den Scharnieren feststeckte, in zwei Teile. Wütend schmiss ich den geknüllten Teil zurück, trat stinksauer gegen die Kiste und wischte mir mit den Händen durch das Gesicht.
Als hätte es nicht gereicht, beschissen auszusehen.
Nein.
Kaputte Bootsplane und ein Treffen mit Emma und ihrem Fußballer.
Dazu der Fleck auf meiner Jacke.
Auf alles hätte ich gerne verzichtet.
Nachdem ich gestern mit Osmo und Raul einen feuchtfröhlichen Abend in Osmos Mökki verbracht hatte, wollte ich heute nur schnell das Ding über mein Boot ziehen, Sanna und die Kinder besuchen, ein paar Kleinigkeiten einkaufen, um mich dann wieder zu Hause auf die Couch zu fläzen, weil ich doch etwas zu tief ins Glas geschaut hatte. Zumindest für meine Verhältnisse. Denn seit meiner Therapie hatte ich dem Alkohol so gut wie komplett abgeschworen. Lediglich ein bisschen Wein und Bier gönnte ich mir zwischendurch.
Stattdessen hatte ich heute zu lange geschlafen, wodurch sich mein Tagesablauf verschob. Ich verschob den Besuch bei Sanna auf nachmittags, ging mit Sonnenbrille und Cap in dem kleinen Laden um die Ecke einkaufen und wollte dann – ganz schnell – die Plane über dieses verschissene Boot legen.
Und dabei sah ich aus wie der letzte Höhlenmensch.
Hose und Shirt von gestern, das Shirt zusätzlich verknittert, die Haare nicht gemacht, Speiseeisflecken mit Schokoladenstückchen auf meiner Jacke. Zum Glück hatte ich keine frischen Klamotten angezogen, denn sonst hätte ich mich zusätzlich geärgert.
Hätte ich geahnt, dass Emma hier mit dem Torschützenkönig rumlungerte, wäre ich im Anzug aufgetaucht. Einfach, um Emma zu zeigen, dass ich nicht immer aussah, als sei ich gerade aus dem Bett gekommen. Im Lady Moon war es letztlich nicht anders gewesen.
„Verfickte Scheiße!", brüllte ich auf Deutsch und trat nochmal wütend gegen die Kiste, bevor ich die Abdeckplane zurückstopfte und den Deckel der Kiste laut zuknallen ließ. Die Sonne am Horizont ging langsam unter, während ich mich auf die Sitzfläche im hinteren Teil des Bootes setzte und die Zigaretten aus meiner Jackentasche holte.
Dieser blöde Fußballspieler.
Sein blödes Gelaber konnte er sich sparen.
„Das ist meine neue Freundin, du kennst sie ja", hatte er gesagt, „wieso ist die Stimmung gerade so mies? Habt ihr nicht mal miteinander gearbeitet? Ist alles ok?"
Ich wusste, dass Emma seine neue Freundin war; das musste er mir nicht nochmal sagen. Er hatte sie damals durch Niila – aber eigentlich eher durch uns als Band – kennengelernt. Das war mir nicht neu. Denn – wer hätte es gedacht – ich war dabei gewesen.
Mehr als einmal.
Unverrichteter Dinge und richtig mieser Laune ließ ich mein Boot vorerst im Hafen liegen und hoffte, dass ich in den nächsten Tagen nochmal die Chance bekommen würde, das Ding winterfest zu machen. Noch auf dem Boot hatte ich eine neue Plane bestellt.
Mit den Kopfhörern und einem alten Bon Jovi-Song in den Ohren ging ich die Promenade entlang, um möglichst schnell am Auto und somit auch bei Sanna zu sein.
Mein Smartphone verband sich automatisch mit dem Radio im Auto und spielte den Song, den ich gerade noch auf den Ohren hatte, einfach weiter ab. Ich summte mit, als ich an der Markthalle vorbeifuhr und musste abrupt abbremsen, weil sich der Fahrer des Wagens vor mir doch noch im letzten Moment dazu entschlossen hatte, die nächste Ampelphase zu nutzen. Durch das harte Bremsen nickte ich kurz, pustete genervt Luft in die Wangen und unterdrückte den Impuls, den Fahrer des Wagens aus seiner Blechtonne zu zerren und ihm auf die Fresse zu hauen. Stattdessen wechselte ich das Lied in der Playlist und wartete.
Was anderes blieb mir sowieso nicht.
Immerhin konnte ich auf der Schnellstraße Richtung Espoo vernünftig Gas geben. Die Strecke war frei – fast ausgestorben – und ich kam gut durch, so dass für mich bestimmt noch ein Stückchen von Kaisas weltbestem Himbeer-Pistazien-Kuchen übrigblieb.
Kurz vor dem Ortseingangsschild wurde meine selbstkreierte Karaokesession durch einen Anruf schlagartig beendet.
Unbekannter Teilnehmer blinkte auf dem Bildschirm auf.
Ich drückte auf den Hörer am Lenkrad und nahm das Gespräch entgegen.
„Hm", brummte ich.
Nichts.
„Hallo?"
Immer noch stand „unbekannter Teilnehmer" auf dem Display in der Mittelkonsole.
„Hallo?", sagte ich wieder und drückte erneut den Knopf.
Und wieder und wieder und wieder.
„Meine Fresse!", brüllte ich, hämmerte gegen das Lenkrad und drückte den Zeigefinger fest auf den Knopf.
Wieder nichts.
Mit einer Hand steuerte ich den Wagen, mit der anderen fischte ich irgendwie das Handy aus meiner Hosentasche.
Ich hatte selten so einen guten Tag gehabt wie heute.
Als hätte mir der Quatsch am Vormittag nicht gereicht; musste die blöde Karre auch noch in die Werkstatt, weil das Multimedialenkrad nicht mehr funktionierte.
Sarkastisch überlegte ich mir, drei Kreuze mit einem roten Edding im Kalender zu machen.
„Jo", stöhnte ich genervt und klemmte das Telefon zwischen Schulter und Kopf ein.
„Hi", eine weibliche Stimme räusperte sich, „Samu?"
„Hm", gab ich zustimmend von mir rollte die Augen.
Wer sollte sonst hier sein? Wichtig war, wer am anderen Ende der Leitung war.
„Ists gerade ungünstig?"
Ich setzte den Blinker und bog in die Masabyvägen ein.
„Nein. Ich fahr gerade zu Sanna", sagte ich genervt, "was gibts denn?"
„Wir haben uns jetzt schon länger nicht mehr gesehen. Hab gedacht, dass wir das mal ändern könnten. Hast du Bock?"
„Hm", ich bewegte den Mund nachdenklich hin und her.
Keine Ahnung, ob ich nach diesem Scheißtag nochmal in den Genuss eines positiven Stimmungswandel kommen würde.
Ich zuckte mit den Schultern.
„Klar. Warum nicht?", meinte ich dann doch zuversichtlich und tuckerte mit 5 Kilometern pro Stunde über die unbefestigte Straße zu dem Haus meiner Schwester, „warum ist deine Nummer aus?"
„Ach", ich hörte ein Abwinken, „ich musste telefonieren und wollte nicht, dass die Idioten meine Nummer haben."
„Ah ja, verstehe", ich musste lachen, „du hast also jemanden beschimpft."
„Selbstverständlich. Was sonst?"
Wieder lachte ich und musste mein Auto irgendwie parken, ohne mir die Reifen auf diesem unzumutbaren Möchtegern-Parkplatz aufzuschlitzen. Ich kurbelte und kurbelte.
„Also heute Abend, ja?", sagte die Frauenstimme nach einer kurzen Pause.
„Klar! Ich ruf nochmal an, ok?"
„Klar, kein Stress. Bist du jetzt da?"
Ich stieg aus und sah, wie Kaisa im Inneren am Fenster stand und auf die imaginäre Armbanduhr an ihrem Handgelenk tippte. Ich streckte ihr die Zunge raus.
„Ja ja, bin ich", ich schloss das Auto mit einem Piepton und ging auf das Haus zu, „ich melde mich später."
„Alles klar, bis dann!"
„Bis dann!", meinte ich, legte auf und ging die wenigen Stufen zur Tür hinauf.
Noch bevor ich klingeln konnte, öffnete meine Schwester mir die Tür.
„Jetzt telefoniert ihr schon während der Autofahrt. Die muss ja toll sein, wenn du dein Leben für die riskierst", piesackte Sanna mich und verschränkte die Arme vor der Brust.
„Hat Kaisa gepetzt?", ich ließ gespielt den Kopf hängen.
„Sie hat dich gesehen, klar. Und sie will Rina auch mal kennenlernen."
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Handprints
Fanfiction"[...] Und dabei sah ich aus wie der letzte Höhlenmensch. Hose und Shirt von gestern, das Shirt zusätzlich verknittert, die Haare nicht gemacht, Speiseeisflecken mit Schokoladenstückchen auf meiner Jacke. Zum Glück hatte ich keine frischen Klamotten...