Stumm schiebe ich meinem besten Freund den Zettel über den Tisch und neugierig nimmt dieser das Papier sofort an sich.
Sein Blick fliegt über die Liste, doch als er meinen Namen entdeckt, stoppt er kurz und schaut mich dann mit großen Augen an."Was ist passiert?", fragt mein anderer bester Freund, der gerade erst den Klassenraum betreten hat und sich nun neben Manuel stellt, der immer noch den Zettel in der Hand hält und mich sprachlos anschaut. Obwohl wir im gleichen Gebäude wohnen, kommt Patrick oft später als wir. Heute morgen hat er uns geschrieben, dass wir den Bus nehmen und nicht auf ihn warten sollen, weil er wohl verschlafen hatte.
Ich deute auf das Blatt und genauso wie Manuel vorher, überfliegt auch Patrick den Text bis er bei meinem Namen ankommt.
"Warum hast du uns nicht erzählt, dass du für die Rolle vorgesprochen hast?", möchte Patrick dann wissen.
"Ich habe nicht vorgesprochen! Dieses Jahr gab es kein Vorsprechen. Unsere Lehrerin hat die Rollen einfach zugeteilt."
"Und sie gibt dir die Hauptrolle?"
Aus lauter Ratlosigkeit zucke ich bloß mit den Schultern.
Gestern in der siebten Stunde hatte ich Literatur, während Manuel und Patrick Musik hatten. Ohne Vorwarnung hat unsere Lehrerin am Ende der Stunde die Zettel für die Besetzung der Rollen verteilt. Eigentlich hatte ich nie vor tatsächlich bei einem Theaterstück eine Rolle zu spielen. Als ich Literatur gewählt habe, habe ich gehofft, dass ich mich um die Technik, das Bühnenbild oder die Kostüme kümmern kann.
Und dann bekomme ich eine der Hauptrollen."Ach du scheiße! Hast du gesehen wer die andere Hauptrolle spielt?", ruft Manuel entsetzt, weshalb er kurz darauf den Ellenbogen von Patrick in seiner Seite spürt und dieser ihm sagt, dass er ein bisschen leiser sprechen solle.
"Ja, habe ich. Und es macht mir das alles nicht einfacher."
Die Tatsache, dass Michael derjenige sein wird, der mit mir gemeinsam ein homosexuelles Paar spielen soll, hat mich ebenfalls ziemlich erschrocken.
Michael ist zwar nicht der typisch beliebte Schüler, sondern hat meistens seine bestimmten Freunde um sich, er wird jedoch irgendwie von allen gemocht.
Auch ich mag ihn. Und vielleicht sogar ein bisschen mehr als alle anderen. Ich habe nie wirklich mit ihm gesprochen, aber er sieht ziemlich gut aus. Es reicht schon, dass sich unsere Blicke nur für eine Millisekunde zufällig treffen um mein Herz höher schlagen zu lassen. Nur leider hat er sich nie sonderlich für mich interessiert oder mir Beachtung geschenkt, was mich in der Vergangenheit auch ziemlich kaputt gemacht hat. Aber Patrick und Manuel haben mir geholfen und ich habe diese Phase hinter mir. Natürlich tut es mir immer noch weh, wenn er seinen Blick sofort wieder abwendet, aber es ist nicht so schlimm wie früher.
Von meiner Schwärmerei für Michael weiß niemand außer meinen beiden besten Freunden. Ich rede nicht viel mit anderen Leuten und wenn ich es tue, dann ist es mir unangenehm oder peinlich. Und vor mehreren Leuten zu sprechen fällt mir noch schwerer.
Das sind nicht gerade die besten Voraussetzungen um die Hauptrolle eines Theaterstückes zu spielen.
"Weißt du, Maurice, wenn du das wirklich nicht machen willst, dann solltest du vielleicht einmal mit Frau Bieneck sprechen", schlägt Manu vor.
Mit Frau Bieneck über die Verteilung der Rollen zu diskutieren ist normalerweise sinnlos. Sie ist zwar noch recht jung und eigentlich super nett, aber wenn es darum geht ist sie ziemlich stur.
Unser Lehrer betritt den Klassenraum und beginnt direkt mit dem Deutschunterricht, weshalb ich mich neben Manuel setze und bloß zuhöre. Im Kopf überlege ich mir schon, wie ich Frau Bieneck überreden kann.
Als die Klingel das Ende der Stunde verkündet, packen wir unser Zeug in unsere Rucksäcke und verlassen den Klassenraum.
"Ich denke ich gehe schon einmal zu Frau Bieneck, dann habe ich das hinter mir."
"In Ordnung", kommt es von Patrick. "Wenn du uns brauchst, wir sind bei den Musikräumen."
Da ich gleich Literatur habe, ist meine Lehrerin bestimmt schon in der Aula, wo wir ab heute Unterricht haben werden, um für das Stück zu proben. Ich weiß nicht genau warum, aber die Frau ist meistens schon während der Pausen in dem Klassenraum.
Tatsächlich steht die Tür zu der Aula offen und als ich den großen Saal betrete entdecke ich meine Lehrerin vor der Bühne. Jedoch ist jemand bei ihr. Michael redet gerade mit ihr.
"Ah, Maurice", bemerkt mich Frau Bieneck und winkt mich zu sich. "Komm doch einmal her."
Zögerlich gehe ich auf die beiden zu, meide Michaels Blick und stelle mich dann mit einem gewissen Sicherheitsabstand neben ihn.
"Michael hat mir gerade mitgeteilt, dass ihr beide nicht einverstanden mit der Verteilung der Rollen seid. Stimmt das?"
"Nun ja", beginne ich und schäme mich sofort für meine zitternde und unsichere Stimme. "Ich denke, dass es Leute gibt, die sich besser eignen."
"Aber ich habe euch ausgewählt, weil ich denke, dass ihr am besten zu den Rollen passt und sie verkörpern könnt. Meiner Meinung nach gibt es niemanden, der sich besser eignet."
"Aber wir sind nicht homosexuell. Wie sollen wir die Rollen denn authentisch darstellen?", kommt es von Michael.
"Das werden wir bei den Proben sehen. Wir alle werden euch helfen, die Rollen möglichst authentisch zu spielen. Das ist eine Herausforderung. Das ist doch gerade das beste am Theater", meint Frau Bieneck und ich merke, dass Michael neben mir ein bisschen sauer wird.
"Was ist, wenn wir nach dem Stück für schwul gehalten werden und unsere Mitschüler uns deshalb angreifen?", entgegnet er und verschränkt seine Arme vor der Brust.
"Also wenn eure Mitschüler euch für homosexuell halten sollten, dann könnt ihr zum einen stolz auf euch sein, weil ihr anscheinend doch ziemlich authentisch gewirkt habt. Und zum anderen ist das Stück doch dazu da, um zu zeigen, dass Homosexualität kein Verbrechen ist. Sollte jemand euch verbal oder körperlich angreifen, dann wird dieser Schüler ein Gespräch mit dem Schulleiter oder unserer pädagogischen Fachkraft führen müssen."
"Frau Bieneck", beginne ich zu sprechen, "ich fühle mich nicht in der Lage dieses Stück zu spielen. Ich kann nicht vor so vielen Menschen sprechen. Schon vor der ganzen Klasse zu sprechen fällt mir schwer."
"Genau deswegen bist du perfekt für die Rolle, Maurice. Nach den ersten Proben wird es dir leicht fallen auf der Bühne zu stehen. Wie gesagt, deine Mitschüler und ich helfen dir, genug Sicherheit zu gewinnen. Sieh es doch als Überwindung deiner Angst an. Dieses Stück wird dir bestimmt helfen um sicherer vor anderen Menschen sprechen zu können."
Unsere Mitschüler betreten die Aula und setzen sich bereits.
"Gibt es noch etwas, was euch auf dem Herzen liegt?", erkundigt sich unsere Lehrerin. Es scheint nicht so, als hätte sie sich von uns beeinflussen lassen.
Ich schüttele den Kopf, da weiterer Widerstand womöglich eine ziemlich angespannte Stimmung zwischen Frau Bieneck und uns bedeuten würde und die Lehrerin sich so wie so nicht umstimmen lässt. Also warum nicht den Frieden bewahren und einfach nachgeben? Vielleicht kann mir das Stück ja wirklich bei meinem Problem helfen.
"Na gut, wenn er es macht, dann mache ich es auch."
Mein Blick huscht zu Michael, der mich nun ziemlich verzweifelt und immer noch ein wenig skeptisch anschaut und seufzt.
Unsere Lehrerin lächelt und klatscht dann fröhlich in die Hände.
"Super, dann können die Proben jetzt beginnen."
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Schauspiel - Zomdado
FanfictionAufgrund der Aktualität entscheidet sich der Kurs für Literatur dieses Jahr dazu, ein Stück aufzufüren, das von zwei homosexuellen Jungs handelt. Einer der Jungs ist Zombey. Er ist der beliebte Junge, welcher, aus Angst vor der Reaktion seines Umfel...