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"In Ordnung, dann fangt doch schon einmal an", bestimmt Frau Bieneck. "Ich spreche einmal mit Sven, wie weit er mit der Technik ist."

Unsere Lehrerin verschwindet hinter der Bühne, wo sich die Schüler befinden, die sich mit der Technik für das Stück auseinandersetzen.

"Dann lass mal was hören, Maurice", ruft einer der Jungs, die sich heute schon einmal über mich lustig gemacht haben. "Vielleicht kannst du ja dieses Mal wie ein normaler Mensch sprechen."

Ich senke meinen Blick, doch genau wie schon vor knapp einer Stunde, stellt sich Michael neben mich.

"Lass ihn in Ruhe", beginnt er zu sprechen und wirkt wirklich wütend.

Die Schüler, die vor der Bühne auf den Stühlen sitzen, werden plötzlich ganz still und schauen uns alle an.

"Ich möchte mal sehen, wie du dich hier oben anstellen würdest. Aber nicht einmal dazu hast du den Mut. Du kümmerst dich lieber um das Bühnenbild und machst dich dann über Maurice lustig. Im Gegensatz zu dir traut er sich immerhin. Auch wenn es während den Proben nicht ganz flüssig klappt, ist er ziemlich gut. Und stottern tut er nur, weil Leute wie du ihn verunsichern. Solange du also nicht den Mut hast, dich selber hierhin zu stellen und den Mist zu machen, halt die Klappe und lass ihn in Ruhe."

Kurz ist es still und der Jungs schauen ihn verblüfft an, als wir alle Schritte hören.

"Michael, das", kommt es von der Lehrerin, die hinter einem Vorhang hervor tritt, "ist nicht der richtige Text. Bitte konzentriert euch auf die Probe."

Frau Bieneck setzt sich zu den anderen Schülern, während ich Michael ein dankbares Lächeln schenke. Er erwidert die kleine Geste und nickt bloß einmal, ehe er sich dem Text widmet. Obwohl ich den Text eigentlich schon auswendig kann, tue ich trotzdem so als würde ich ihn ablesen müssen.

"Du sprichts ständig von Vernunft, Maudado. Denkst du nicht, dass du das alles ein Bisschen zu ernst nimmst?"

"Vernunft kann nicht zu ernst genommen werden. Wo kommen wir denn hin, wenn wir die Vernunft ignorieren?", lese ich vor und bin selber erstaunt, dass ich die Wörter ohne zu Stottern vorlesen kann.

Glücklich und ein wenig überrascht grinst Michael mich an. Anscheinend freut er sich ziemlich für mich, dass ich nicht mehr so nervös bin.
Vielleicht auch, weil er sich denken kann, dass seine Ansprache gerade dazu beigetragen hat und er dafür verantwortlich ist. Aber er macht schnell weiter uns trägt die nächsten Wörter vor:

"Wir kommen dahin, wo wir gerade sind."

"Und das ist etwas gutes? Schau uns an, Zombey! Wir müssen uns verstecken, weil wir nicht auf unsere Vernunft gehört haben. Wir fügen uns selbst Schmerzen zu, weil wir leichtsinnig gehandelt haben. Wir erleiden eine Qual, weil wir uns unseren Gefühlen hingegeben haben."

"Unser Handeln mag zwar von Gefühlen geleitet sein und uns Leid bringen, aber ich versichere dir, dass wir es nicht bereuen werden. Vernunft kann nicht immer das wichtigste sein. Wir müssen unser Leben genießen, oder nicht?"

"Ist das ein Genuss für dich? Dieses Versteckspiel? Dieser Schmerz?"

"Für mich ist es eine Freude, wenn wir zusammen sind. Und es ist eben diese Freude die alles Leid, jede Qual, übertrifft. Glaub mir, irgendwann wird die Freude all die Schmerzen vertreiben."

"Sagt das deine Vernunft oder sagen dir das deine Gefühle?"

"Meine Gefühle. Aber ich verspreche dir, es wird so sein."

Die Szene endet und unsere Lehrerin gibt uns kurz eine Rückmeldung, ehe wir uns gemeinsam um ein paar Probleme der Technik kümmern.

"In Ordnung, dann beenden wir die Stunde für heute. Maurice, könntest du noch kurz hier bleiben?"

Ich nicke und warte darauf, dass alle anderen Schüler die Aula verlessen, bevor ich zu Frau Bieneck gehe.

"Sie wollten mich sprechen?", mache ich sie auf mich aufmerksam und meine Lehrerin lächelt.

"Ja, richtig. Ich mache mir nämlich Sorgen um dich", beginnt sie zu sprechen und schaut mich besorgt an. "Nicht aufgrund deiner Leistung. Du machst das großartig und ich erkenne eine deutliche Entwicklung, vor allem heute warst du sehr gut. Aber natürlich bemerke ich auch, was unter euch Schülern passiert und auch die Auseinandersetzung vor der Probe. Wenn dir diese Rolle Probleme bereitet und es dir lieber wäre, dass deine Zweitbestzung diese übernimmt, dann können wir das machen."

Hätte meine Lehrerin mir das vor ein paar Wochen angeboten, dann hätte ich wahrscheinlich unter Tränen der Freude zugesagt. Und auch jetzt ziehe ich es kurz in Erwägung, um den blöden Sprüchen ein Ende zu setzen. Doch dann kommt mir Michael in den Sinn. Wie wir zusammen in der Cafeteria sitzen und unseren Text üben. Wie er neben mir steht, um mich vor genau diesen Sprüchen zu beschützen. Und wie er mir gegenüber steht, mich angrinst und sich für mich freut.

Das werde ich jetzt ganz sicher nicht aufgeben.

"Nein, ich würde die Rolle gerne weiterhin spielen. Ich denke, dass es keine weiteren Auseinandersetzungen geben wird."

Meine Lehrerin schenkt mir ein Lächeln und dann verabschieden wir uns voneinander. Schnell verlasse ich die Aula und laufe in Richtung des Schulhofs, wo Manuel und Patrick bestimmt schon auf den Bus und mich warten.

Jedoch werde ich von Michael aufgehalten, der meinen Namen ruft und sobald ich stehen bleibe, mit zügigen Schritten auf mich zukommt. Gemeinsam laufen wir dann weiter durch die inzwischen fast leeren Gänge der Schule.

"Was wollte Frau Bieneck von dir?", möchte er wissen.

"Ach, sie hat mitbekommen was vor der Probe passiert ist und hat mir gesagt, dass, wenn ich die Rolle nicht spielen will, ich sie abgeben kann. An Fabian, die Zweitbesetzung. Kennst du doch oder?"

"Ja, kenne ich. Und was hast du ihr gesagt?"

"Ich habe gesagt, dass ich die Rolle ungern abgeben würde", erzähle ich und schaue Michael neugierig an.

Er beginnt zu lächeln und hält die Tür, welche nach draußen führt, für mich offen.

"Super. Ich hätte es schade gefunden, wenn du nicht mehr Maudado spielen würdest und ich mit jemand anderem üben müsste."

Wir laufen über den Schulhof und ich sehe in der Ferne bereits meine Freunde, die an der Bushaltestelle stehen und nach mir Ausschau halten.

"Apropos, üben", kommt es von Michael, der bei den Fahrradständern stehen bleibt. "Am Freitag fällt Geschichte aus. Wollen wir in unserer Freistunde vielleicht zu dem Café in der Nähe gehen und dort üben?"

Geschichte ist eines der Fächer, welche ich mit Michael habe und es findet am Freitag nach unserer Freistunde statt. Wir könnten also eigentlich früher nach Hause, wenn wir nicht unseren Text üben wollen würden.

"Gerne, können wir machen."

"Klasse, dann treffen wir uns Freitag hier?"

Ich nicke, verabschiede mich und mache mich dann auf den Weg zu meinen Freunden, die schon panisch auf die Kreuzung in der Nähe zeigen, an welcher der Bus bereits steht, weshalb ich anfange zu rennen.

"Ich freue mich auf Freitag", ruft Michael mir noch hinterher, doch antworte ich nicht und renne einfach zu der Haltestelle, während die Ampel nun auf Grün umspringt.

Schauspiel - ZomdadoWo Geschichten leben. Entdecke jetzt