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Noch am gleichen Nachmittag klopft es an meiner Tür und als ich diese öffne steht Manuel grinsend davor.

"Und bist du bereit deinen Text zu lernen?", fragt er.

"Jetzt schon?"

"Ja, jetzt. Morgen ist Freitag, schon vergessen? Und da willst du doch direkt mit Michael deinen Text lernen."

"Also wirklich wollen tu ich das nicht", entgegne ich. "Aber ich dachte wir könnten damit noch bis zum Wochenende warten."

"Nein, Maurice. Ich weiß, du schiebst gerne Dinge auf, aber wir lernen jetzt deinen Text. Ich habe Patrick geschrieben, der müsste auch gleich kommen. Also dann, hol das Drehbuch, wir fangen an."

"Das ist kein Drehbuch, Manu. Das ist..."

"Ja, ist egal. Hol dein Folterinstrument, damit wir loslegen können."

Lachend und die Augen verdrehend verschwinde ich kurz in meinem Zimmer, hole das Skript aus meinem Rucksack und gehe dann wieder auf den Flur. Manuel schließt gerade die Tür zu der Wohnung gegenüber auf, als wir hören, wie in dem Geschoss über uns eine Tür geschlossen wird und kurz darauf Jemand die Treppe hinunter kommt. Wir müssen nicht schauen um zu wissen, dass das Patrick ist.

Seit wir klein sind wohnen wir gemeinsam in diesem Mehrfamilienhaus. Manuel und ich wohnen uns gegenüber im dritten Stock und unsere Familien sind hierher gezogen, als wir noch klein und das Gebäude ganz neu war. Patrick kam kurz später aus Hamburg hierher und wohnt mit seiner Mutter in der Wohnung unmittelbar über der von mir und meiner Familie. Schnell wurden wir drei ziemlich gute Freunde, worüber sich die anderen Bewohner desHauses eher weniger gefreut haben.

Patrick, Manuel und ich haben nämlich nicht in unseren Zimmer gespielt, sondern in dem Treppenhaus. Wir haben unser Spielzeug genommen und haben uns zu dritt vor Manuels und meiner Wohnung getroffen. Die Möglichkeiten waren grenzenlos. Einmal waren Patrick und Manuel zwei Piraten und haben so getan als seien sie auf einem Schiff, während ich als Monster in der Etage unter ihnen war und versucht habe beide irgendwie mit meiner Pistole aus Plastik und Geschossen aus Schaumstoff zu treffen.

An einem anderen Tag haben wir die Schienen einer Holzeisenbahn aus meinem Zimmer zu Manus gelegt. Dafür haben wir sowohl Schienen von Patrick, Manuel und mir benötigt, aber im Endeffekt haben wir es geschafft und die Bahn fuhr von meinem Zimmer, über den Flur, durch einen Tunnel aus Pappe in das Zimmer meines Nachbarn.

Und manchmal haben wir unsere Puppen, Soldaten und andere Figuren aus Plastik genommen und ihnen Fallschirme gebaut. Meist liefen wir das ganze Gebäude hinauf, um die Fallschirme zu testen. Oben angekommen ließen wir die Figuren zwischen den Treppen fallen und haben dann mitgefiebert, wer es wohl am weitesten schaffen könnte. Oft sind die Spielzeuge einfach herunter geklatscht oder irgendwo hängen geblieben und wir hatten Glück, dass sie niemanden getroffen haben. Natürlich gingen dabei die ein oder andere Puppe kaputt, wir waren Kinder und konnten keine gescheiten Fallschirme bauen. Diese Wettrennen haben wir eine Zeit lang öfter gemacht, wir haben die Figuren auch ab und zu vom Balkon fallen lassen, aber als unsere Eltern es satt waren, uns die kaputten Spielzeuge zu ersetzen, mussten wir damit aufhören.

Es gab nicht selten Beschwerden über unser Verhalten. Die anderen Bewohner haben unsere Spielzeuge, welche im ganzen Treppenhaus verteilt lagen, gestört und einmal ist eine ältere Dame auf ein Auto von Patrick getreten. Während Patrick lautstark um sein nun kaputtes Auto getrauert hat, hat die Frau mit Patricks Mutter geschimpft. Manuel und ich haben es gehört und das Gespräch von unten belauscht. Auch wenn Patricks Gejammer uns die Sache ziemlich erschwert hat.
Aber die Leute haben sich nicht nur über unser Spielzeug beschwert, sondern auch über unsere Lautstärke. Immerhin haben wir nicht viel Rücksicht genommen und laut geschrien. Im Endeffekt tun mir die Bewohner leid, aber zu dieser Zeit hatten wir noch keine Ahnung, dass wir andere Leute stören könnten. Das einzige, was meine Mutter zu den Beschwerden sagte, war, dass wir doch noch Kinder seien. Dafür hat sie viele böse Blicke bekommen, aber als wir drei uns dann entschuldigt haben, waren unsere Nachbarn wieder besänftigt und gaben uns Schokolade.

Inzwischen wohnen schon viele der früheren Nachbarn nicht mehr hier und die, die uns schon kannten als wir noch Windeln getragen haben, haben uns unser damaliges Verhalten verziehen.

"Also gut, dann lasst uns anfangen", meint Patrick, als er die letzten Treppenstufen hinunter geht.

Inzwischen hat er eine bequemere Hose an und es scheint so als hätte er geschlafen. Lachend ziehe ich die Haustür hinter mir zu und wir alle begeben uns in Manus Zimmer, wo Patrick sich direkt auf das Bett von Manu fallen lässt. Ich setze mich auf das Sofa, auf welchem wir schon oft gesessen haben und gegeneinander Videospiele gespielt haben oder entweder Patrick oder ich geschlafen haben.

"Du fauler Sack", kommt es von Manu, als er Patrick auf dem Bett sieht, der schon wieder kurz vor dem Einschlafen ist.

"Ich bin müde", jammert Patrick. "Ich bin schon seit halb sieben wach."

Manu verdreht seine Augen, schiebt unseren Freund ein Stück zur Seite und setzt sich neben ihn auf sein Bett.

"Gib uns mal das Ding."

Patrick setzt sich auf und streckt seine Hand nach dem Skript aus, welches ich ihm reiche.

"Worum geht es überhaupt?", erkundigt sich Manu, während er sich gemeinsam mit Patrick den Text anschaut.

"Es geht um zwei Jungs. Sie lernen sich kennen, als Maudado mit seinem kleinen Bruder unterwegs ist. Es ist wirklich das pure Klischee. Der kleine Bruder baut Mist, Maudado muss Einkäufe tragen und als er seinen Bruder aufhalten will einfach auf die Straße zu rennen, lässt er die Einkäufe fallen. Wirklich, als ich das gelesen habe, habe ich beinahe gekotzt. Aber gut, ein Fremder hilft ihm und sie tragen die Einkäufe nach Hause. Daraufhin treffen sie sich, halten das aber geheim, weil die Gesellschaft homosexuelle Menschen nicht toleriert. Maudado interessiert das zwar nicht und er lebt seine Sexualität aus, aber für Zombey ist das nicht so einfach. Dann führen die beiden eine geheime Beziehung und es muss halt irgendwann dazu kommen, dass Zombey sich entscheiden muss."

"Und wie endet das Ganze?"

"Nein, nicht verraten!", ruft Manu und schaut mich und Patrick mahnend an. "Ich will nicht gespoilert werden. Den Text für das Ende musst du dann leider ohne uns lernen, aber ich will nicht wissen was passiert bevor ich das Stück gesehen habe."

"Du willst es dir anschauen?", entgegnen Patrick und ich gleichzeitig.

"Natürlich! Mein bester Freund spielt mit, das muss ich sehen. Und Patrick kommt mit."

"In Ordnung, darüber sprechen wir später. Womit willst du denn anfangen?"

"Wir können vorne anfangen. Das haben wir heute schon ein bisschen geprobt", schlage ich vor und Manu und Patrick suchen die ersten makierten Stellen in dem Haufen von Blättern. Als sie diese gefunden haben, beginnt Manu den Text von Zombey vorzulesen.

Das ganze geht so eine Weile und ich versuche mich an meinen Text zu erinnern, was bloß mäßig klappt, als Patrick uns unterbricht.

"Was ist das denn für ein Mist? Wer hat das geschrieben? Schlechte Ideen bleiben schlechte Ideen. Das ist doch Schwachsinn", meckert er und Manuel seufzt genervt.

"Jetzt weiß ich, warum du in Deutsch so schlechte Noten hast. Du musst das interpretieren, Patrick", erklärt Manu. "Zombey hält es für eine schlechte Idee, dass er sich mit Maudado trifft und sich in ihn verliebt. Ist es auch und das wissen beide, weil, wie Maurice gerade erklärt hat, sind Zombeys Freunde nicht begeistert davon, dass Jungen andere Jungen lieben. Aber die beiden haben eine gute Zeit miteinander, weshalb sie sich weiterhin treffen. Und als Maudado den Spaziergang machen will, hat Zombey Angst, dass er gesehen wird. Deshalb sagt Maurice sie seien im Schutz der Bäume. Weil niemand sie sehen kann."

Man sieht Patrick an, dass er skeptisch ist. Verständlich, denn irgendwie klingen solche Erklärungen an den Haaren herbei gezogen und kein normaler Mensch kommt auf so etwas, aber Manu scheint eine Gabe dafür zu haben.

Aber auch ich habe mich noch lange nicht mit dem Stück und der Handlung angefreundet. Ich verstehe nicht, was meine Lehrerin meint, wenn sie sagt, dass Michael und ich perfekt für die Rollen seien. Und erst Recht gefällt mir der Gedanke nicht, dass ich das vor so vielen Menschen vorstellen muss. Mit Michael an meiner Seite. Derjenige, der einen homosexuellen Jungen gemeinsam mit einem schwulen Jungen spielen muss, obwohl er Menschen mit dieser Sexualität gar nicht leiden kann.

Schauspiel - ZomdadoWo Geschichten leben. Entdecke jetzt