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Es ist der Tag der Aufführung. Ich bin Michael bis jetzt ziemlich erfolgreich aus dem Weg gegangen und der Einlass hat bereits begonnen.

Bestimmt zum hundertsten Mal schaue ich hinter dem Vorhang her und sehe die ganzen Menschen, die sich auf ihre Plätze setzen und nur da sind um uns zuzuschauen.
Meine Knie zittern, genauso wie meine Hände. Mein Herz rast so schnell, dass ich es bereits in meinem Hals spüre.
In meinem Kopf beginne ich bereits meinen ganzen Text durchzugehen, als mir dies jedoch nicht gelingt und ich sogar eine Zeile vergessen, wird mir plötzlich ganz schlecht.
Schnell laufe ich zu den Toiletten, die eigentlich für die Gäste gedacht sind. Wir haben eigene Toilette hinter der Bühne.

Das Gefühl, dass mir gleich mein Mittagessen wieder hoch kommt, werde ich nicht los, jedoch passsiert auch nichts.
Eine ganze Weile lang stehe ich einfach in einer der Kabinen vor der Toilette stehen und versuche einfach nicht zu erbrechen. Wenn ich dann aber an die ganzen Menschen denke, die dort sitzen und sich über mich lustig machen könnten, kommt es mir beinahe hoch.

"Maurice? Bist du hier?", höre ich jemanden rufen und kurz darauf ertönen hektische Schritte. Eine Türklinke nach der anderen wird nach unten gedrückt, bis eine nicht dazu führt, dass die Tür sich öffnet.

Ich wurde gefunden.

"Maurice, bist du da drin?"

Es ist Michael, der vor der Kabinentür steht, und dem ich bloß ein Brummen als Antwort gebe. Erleichtert atmet er aus.

"Maurice, wir wollen gleich anfangen."

"Ich glaube das kann ich nicht", flüstere ich und mir wird erneut schlecht.

"Was soll das heißen?"

"Mir... Mir geht es nicht so gut", erkläre ich und lehne mich mit meinem Rücken an die Tür der Kabine.

"Hast du etwa Lampenfieber?"

Ich antworte nicht, sondern schließe einfach meine Augen um mich zu entspannen und die Übelkeit loszuwerden.

"Machst du die Tür auf?"

Ohne groß darüber nachzudenken klappe ich mit zitternden Händen den Deckel der Toilette runter, setze mich auf diesen und schließe die Tür auf. Dann schließe ich meine Augen wieder und höre nur wie Michael zu mir kommt, die Tür wieder schließt und sich vor mich hockt. Seine Hände legt er dabei auf meine Oberschenkel und streicht mit seinem Daumen behutsam über den Stoff der Hose.

"Komm schon, Maurice. Du schaffst das. Ich bin doch bei dir", flüstert er, was mich dazu führt die Augen zu öffnen.

"Glaub mir, das ist keine gute Idee. Ich sollte einfach hier bleiben."

"Wir haben doch alles hundert Mal geprobt. Du kannst deinen Text in- und auswendig."

"Was ist, wenn sie sich über mich lustig machen, weil ich meinen Text vergessen? Oder wenn ich stolpere?"

"Du wirst deinen Text nicht vergessen. Falls doch, dann helfen dir die Souffleure. Und du wirst auch nicht stolpern."

"Woher willst du das wissen?"

"Ich weiß es einfach. Vertrau mir doch einfach. Oder vertrau dir selbst 'mal ein bisschen mehr."

"Du kannst es doch auch mit Fabian machen. Er kann den Text und die Probe mit ihm lief auch gut."

"Ich will es aber mit dir machen. Mit dir klappt es am besten."

Meine Wangen färben sich leicht rot und ich senke meinen Blick.
Michael legt, wie schon einmal bei einer der Proben, seine Hand unter mein Kinn und sorgt somit dafür, dass ich ihn anschaue.

"Das, was ich gesagt habe, war die Wahrheit. Ich bin schwul und ich habe Gefühle für dich, Maurice. Würdest du also bitte mit mir auf diese Bühne gehen?"

"Ich traue mich nicht, Michael. Ich..."

Ich werde von ihm unterbrochen. Bevor ich reagieren kann, berührt er mit seinen Lippen sanft meine.
Vollkommen überfordert von den Gefühlen, die sich in mir ausbreiten, erwidere ich einfach den vorsichtigen und unschuldigen Kuss, während ich das Gefühl von Michaels Lippen genieße. Das Kribbeln, welches diese hinterlassen, wandert über meinen Rücken und sorgt dafür, dass sich eine Gänsehaut bildet. Mein Herz schlägt rasend schnell und mir wird plötzlich ganz heiß. Die Übelkeit von gerade ist vollkommen verschwunden.
Michael löst sich von mir und grinst mich an.

"Wenn ich mich das traue, dann traust du dich auch mit mir auf die Bühne."

Grinsend schaue ich den Jungen vor mir an und nicke dann, was ihn vor lauter Glück schreien lässt. Gemeinsam laufen wir dann also zurück hinter die Bühne, wo sämtliche Schüler aufgeregt hin und her laufen, sich unterhalten oder genauso blass sind, wie ich noch vor ein paar Minuten.
Dann geht das Licht im ganzen Saal aus, die Stimme unserer Lehrerin, die die Besucher begrüßt, ertönt und aufgeregt greife ich nach Michaels Hand.

"Das wird super", flüstert er und ich nicke.
Neben uns tragen unsere Mitschüler die Requisiten auf die Bühne und sorgen für das passende Bühnenbild.
Dann verschwinden sie alle wieder, die Bühne ist wieder, abgesehen von den Requisiten, leer und die Stimme von Frau Bieneck wird durch das Klatschen der Zuschauer ersetzt.

"Bereit?"

Ich nicke und drücke seine Hand einmal. Er zieht mich mit sich auf die Bühne und wir begeben uns auf unsere Positionen. Dann öffnet sich der Vorhang, Michael schenkt mir ein letztes Grinsen und zwinkert einmal, bevor wir uns beide in unsere Rollen versetzen, der Vorhang langsam geöffnet wird und die Scheinwerfer auf uns gerichtet werden.

Schauspiel - ZomdadoWo Geschichten leben. Entdecke jetzt