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So aufgeregt wie noch nie betrete ich am nächsten Tag die Schule und umso näher die dritte Stunde rückt, desto weicher werden meine Knie.

Die Probe wird der absoluten Horror. Wenn ich Pech habe, dann will Michael vorher oder danach noch mit mir reden und darauf habe ich wirklich keine Lust. Zwar kann ich die Zuneigung und Liebe für ihn nicht einfach ablegen, aber genauso ist es mit der Wut und der Enttäuschung. Jedes Mal, wenn ich an die gestrigen Geschehnisse zurück denke, kommen mir die Tränen und ich möchte schreien.

Auch die Szene, die Michael und ich heute in Literatur proben sollen, ist in dieser Situation ziemlich ungünstig. Es ist die Szene, nachdem die beiden von Zombeys Freunden gesehen wurden und sich streiten.

Als ich dann mit ihm auf der Bühne stehe und jeder bloß darauf wartet, dass ich den ersten Satz sage, drohen meine Beine nachzugeben, doch schaffe ich es trotzdem irgendwie die Sätze vorzulesen

"Ich bin also bloß irgendein Junge für dich? Irgendjemand, dem du gerade über den Weg gelaufen bist?"

"Was hätte ich ihnen sagen sollen, Maudado?"

Er scheint zu merken, wie viel Ähnlichkeit diese Szene mit unserer momentanen Situation hat und senkt seinen Blick.

"Wie wäre es mit der Wahrheit?", antworte ich mit solch einer Ernsthaftigkeit, sodass Michael zu verstehen scheint, dass diese Frage nicht nur von Maudado an Zombey gerichtet ist.

"Das kann ich nicht, Maudado. Bitte versteh das doch."

Verwirrt schaue ich einmal auf den Text. Michael ist vom Text abgewichen und hat somit nicht Maudado geantwortet, sondern mir.
Aus diesem Grund ignoriere auch ich den Text und erwidere:

"Mich beleidigen kannst du dann aber, oder was? Das fällt dir leicht. Weil es dir egal ist."

"Das stimmt nicht. Du bist mir nicht egal. Ich war in diesem Moment einfach überfordert."

"Nein, dich interessiert es nicht wie es anderen geht. Was andere darüber denken."

"Wenn es mir egal wäre, würde ich dann dieses Versteckspiel treiben? Meinen Freunden verheimlichen, dass ich nicht auf Mädchen stehe? Ich muss meine Gefühle verstecken und unterdrücken. Derjenige, der hier leidet, bin ich."

Um etwas zu antworten öffne ich meinen Mund, jedoch fällt mir nichts ein, weshalb ich meinen Mund wieder schließe.

Plötzlich ertönt Applaus und Michael und ich erschrecken leicht bei dem Geräusch. Wir waren beide so vertieft, dass wir unsere Mitschüler vollkommen ausgeblendet haben.

"Klasse ihr zwei", lobt uns Frau Bieneck. "Das war zwar nicht der richtige Text, aber ihr habt super improvisiert. Das hat mich richtig gefesselt. Ich würde als nächstes gerne einmal mit denjenigen üben, die Zombeys Freunde spielen. Könnten diese Schüler bitte einmal auf die Bühne kommen? Und Maurice und Michael? Ihr beide geht einmal nach hinten und probiert eure Kostüme an."

Michael und ich nicken und verlassen dann die Bühne, in die Richtung des kleinen Raumes, in welchem ich mir gestern schon die Kleidung angesehen habe. Doch bevor wir dort überhaupt ankommen, greift Michael nach meinem Handgelenk und sofort durchzieht dieses wieder ein stechender Schmerz. Aus Reflex ziehe ich scharf die Luft aus und schlage Michaels Hand weg, der mich nun erschrocken mustert.
Mein Handgelenk trägt noch immer die Folgen von den Geschehnissen am Montag und ich bin noch etwas empfindlich an den Stellen, an welchen auch der Junge mich festgehalten hat.

"Was willst du?", frage ich Michael leise, damit wir die Gespräche auf der Bühne nicht stören und uns niemand hört.

"Ich wollte das, was gestern passiert ist, erklären", antwortet er genauso leise wie ich und schaut mich bittend, schon fast flehend an.

Schauspiel - ZomdadoWo Geschichten leben. Entdecke jetzt