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"Wow Jungs, das sieht klasse aus!", schwärme ich und betrachte die Kleidung, die neben vielen anderen an einer Stange hängt. "Das passt genau zu Maudado."

Fabian grinst mich an.
Nach der Probe, die nach dem Gespräch mit Michael super lief, hat Fabian mich gebeten mir noch etwas anzuschauen und ich habe zugestimmt. Und dann hat er mich zu dem kleinen Raum hinter der Bühne geführt, in dem Requisiten und die Kostüme gelagert werden. Er und zwei andere Mädchen haben nämlich die Outfits für meine Rolle fertiggestellt und wollten sie mir zeigen.

"Vielleicht kannst du sie ja anprobieren?", schlägt Fabian vor, doch schüttele ich den Kopf, während ich einen Blick auf die Uhr meines Handys werfe.

"Mein Bus kommt gleich. Aber morgen vielleicht."

Fabian grinst, nickt und verabschiedet sich dann von mir. Ich verlassen den kleinen Raum und höre bereits Leute, die sich anscheinend unterhalten.

"Seid ihr jetzt vollkommen verrückt geworden? Wir sind nicht zusammen."

Es ist eindeutig Michael, der da spricht, weshalb ich stehen bleibe. Er würde das Gespräch womöglich beenden oder unterbrechen, wenn er wissen würde, dass ich zuhöre, jedoch möchte ich wissen worüber er spricht. Deshalb bleibe ich einfach stehen und höre weiter zu.

"Du verbringst in letzter Zeit so viel Zeit mit ihm, dann verteidigst du ihn vor der ganzen Klasse und ein paar Tage später sieht man euch zusammen in irgendeinem Café. Außerdem kursiert in letzter Zeit das Gerücht, dass er schwul sei."

Der Junge, der Michael da konfrontiert, ist keiner von denen, die mich schon über meiner Beziehung zu Michael ausgequetscht haben. Es scheint ein anderer Freund zu sein. Vielleicht der, mit dem er schon einmal in der Cafeteria saß und ihm versichert hat, dass er durch dieses Theaterstück nicht schwul wird. Im Grunde konnte er das auch, immerhin war er das schon vorher.

Eigentlich wollte ich nach der Probe auch noch einmal mit ihm darüber sprechen, jedoch hat Fabian mich aufgehalten und jetzt scheint es mir kein geeigneter Zeitpunkt zu sein.

"Meine Güte, wir spielen zusammen die Hauptrollen. Wir haben unseren Text zusammen geübt, das hat doch nichts zu bedeuten. Du kennst die anderen Jungs und du kennst mich. Sie waren gemein zu ihm und Maurice hatte Angst vor ihnen. Hätte ich ihm nicht geholfen, dann würde er bei den Proben wahrscheinlich immer noch stottern und keinen vernünftigen Satz herausbekommen. Du weißt, dass ich es hasse wie die anderen ein paar unserer Mitschüler behandeln. Und in dem Café waren wir doch auch nur, weil wir unseren Text geübt haben. Das hatte genauso wenig zu bedeuten wie alles andere."

Seine Sätze sorgen dafür, dass sich ein unangenehmes Gefühl in mir ausbreitet. Für ihn scheint das alles tatsächlich ziemlich wenig bedeutet zu haben.

"Wirklich? Ihr habt so vertraut gewirkt. Als würdet ihr euch richtig gut verstehen."

"Wäre das ein Problem, wenn ich ihn mögen würde?"

"Er ist schwul, Michael. Du willst dich doch nicht wirklich auf dieses Niveau begeben, oder?"

Ich höre Michael seufzen und weiß nicht, was ich fühlen soll. Vor Wut würde ich beide Jungen am liebsten anschreien, aber irgendwie hält mich die Trauer und Enttäuschung, die mir langsam die Tränen in die Augen treibt, zurück.

"Nein, natürlich nicht", antwortet Michael dann. "Ich wusste nicht, dass er eine Schwuchtel ist. Ab sofort halte ich Abstand zu ihm."

Nun kann ich die Tränen nicht mehr zurück halten. Sie rollen meine Wange herunter, während ich meine Hände wütend zu Fäusten ballen. Mein Magen dreht sich und ich bin mir sicher, dass ich ein Stück meines Herzens brechen höre.

Michael, derjenige, in den ich schon seit so langer Zeit verliebt bin, bezeichnet mich als Schwuchtel.

Ich höre wie die Tür zu dem Raum geöffnet wird, aus welchem ich vor ein paar Minuten kam und kann Fabians Stimme erkennen, die nun lauter wird. Schnell wische ich mir einmal über die Augen und meine Wangen, ehe ich über die Bühne laufe und somit die Aufmerksamkeit von Michael und seinem Freund auf mich ziehe. Ohne ihnen auch nur das kleinste Bisschen Aufmerksamkeit zu schenken und mit der größten Selbstbeherrschung, schnappe ich mir meinen Rucksack und verlasse die Aula.

Meinen Bus habe ich wahrscheinlich verpasst, aber Manu und Patrick werden meiner Mutter dies bereits mitgeteilt haben. Zumindest haben sie das bis jetzt immer gemacht, wenn ich zu spät an der Haltestelle ankam. Das heißt, dass meine Mutter gleich kommen sollte.

Als ich den Schulhof betrete beginnen die Tränen wieder meine Wange herunter zu laufen. Mit schnellen Schritten laufe ich auf den Parkplatz zu, in der Hoffnung, dass meine Mutter dort bereits auf mich wartet, jedoch kann ich schon von weitem sehen, dass unser Auto nicht dort steht.

Trotzdem laufe ich in der gleichen Geschwindigkeit weiter und stelle mich dann an die Bushaltestelle, an welcher mich meine Mutter sonst immer abholt. Sobald ich ankomme, atme ich einmal tief durch und versuche die Tränen ein wenig zu vermindern, was mir auch relativ gut gelingt.

Und es dauert auch nicht lange, da sehe ich schon das Auto meiner Mutter die Kreuzung überqueren und blinken, um zu signalisieren, dass sie zu mir will. In diesem Moment ruft jemand meinen Namen und aus Reflex drehe ich mich um, doch kann ich mir schon denken, wer nach mir ruft.

Meine Vermutung bestätigt sich und ich sehe Michael, wie er auf mich zukommt. Erneut kommen in mir die Gefühle auf, die ich verspürt habe, als er mich gerade beleidigt hat und die Tränen steigen wieder in meine Augen. Ich drehe ihm den Rücken zu und mir fällt ein Stein vom Herz, als meine Mutter noch rechtzeitig vor mir hält und ich einsteigen kann, bevor Michael mich erreicht hat. Glücklicherweise fährt sie auch direkt los und bemerkt erst, als sie erneut vor der Ampel steht, dass ich weine.

"Maurice! Was ist passiert?", fragt sie schockiert und schaut mich an.

"Lange Geschichte", schluchze ich und wische mir erneut über das Gesicht. "Erzähle ich dir ein anderes Mal."

"Hängt das schon wieder mit diesem Michael zusammen?"

Vor einiger Zeit, als es mir wirklich schlecht ging, musste ich meiner Mutter natürlich von ihm erzählen. Immerhin war er der Grund dafür, dass ich nie Appetit hatte, keine Motivation mehr dafür fand mein Zimmer zu verlassen und auch ein kleines Bisschen die Lust am Leben verloren habe. Unerwiderte Liebe ist schrecklich und sie hat mich ein bisschen kaputt gemacht. Aber zum Glück gab es Manuel und Patrick, die mich wieder repariert und in den Originalzustand zurückgebracht haben.

Seitdem fragt sie viel öfter was in der Schule los ist und auch nach meinen Problemen und Gedanken. Sie will vermeiden, dass es wieder so wird und so kommt es ab und zu vor, dass wir einfach gemeinsam in meinem Zimmer sitzen und darüber reden wie es mir geht. Wie beim Psychiater.
Aber ich bin froh, dass es so ist. So weiß ich, dass sie sich um mich sorgt, mich liebt und immer für mich da ist. Und auch meinen Geschwistern schenkt sie mehr Aufmerksamkeit. Sie hört genauer hin, wenn sie etwas erzählen. Es scheint so als hätte sie gemerkt, dass ihre Kinder nicht immer die kleinen sorglosen Sonnenscheine sind, wie ich selbst einmal war.
Nicht, dass sie das auch schon vorher nicht gemacht hat, aber seitdem ich mich an einem Tiefpunkt befand, scheint sie Angst davor zu haben, dass es erneut passiert.

"Ja", murmele ich und schaue aus dem Fenster.

"Jetzt mal ehrlich, Maurice. Denkst du nicht, dass es besser wäre, wenn du dich von ihm fernhälst? Schau, was er dir antut."

"Ich kann es nicht, Mama. Er spielt die andere Hauptrolle in dem Stück, wir sind dazu gezwungen miteinander zu arbeiten und gemeinsam Zeit zu verbringen."

Skeptisch beäugt meine Mutter mich.
"Und?", hakt sie dann nach.
Innerlich verdrehe ich die Augen. Natürlich musste sie merken, dass das noch nicht alles war.

"Und ich habe noch immer Gefühle für ihn. Auch wenn es dir nicht gefällt. Ich kann ihn einfach nicht vergessen."

"Ist es das denn wert? Schau dich an, Maurice!"

"Weißt du, Zombey hat einmal zu Maudado gesagt, dass die Freude, die er verspüre, wenn er mit Maudado zusammen ist, alles Leid und jede Qual übertrifft. Und, dass irgendwann die Freude den ganzen Schmerz übertrifft. Er hat es ihm versprochen."

Schauspiel - ZomdadoWo Geschichten leben. Entdecke jetzt