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Zitternd betrete ich die Bühne. Meine Knie sind weich und ich versuche meine unkontrollierten Bewegungen zu verstecken, während ich einfach auf den Text starre.
Die Anweisungen meiner Lehrerin nehme ich gar nicht mehr richtig wahr, sondern höre bloß das Blut rauschen und mein Herz schlagen.

Erst als Michael anfängt den Text aufzusagen, nehme ich die Stimmen wieder wahr und das leise Tuscheln meiner Mitschüler scheint plötzlich lauter als alles andere. Ich spüre ihre abwertenden und amüsierten Blicke, als ich meinen Text mit leiser und schwacher Stimme vorlese. Dabei stottere ich und sofort laufe ich rot an. Nicht lange gibt sich Frau Bieneck damit zufrieden und unterbricht uns:

"Maurice, was ist los mit dir?"

Mit roten Wangen schaue ich meine Lehrerin kurz an, senke meinen Blick dann aber. Die Blicke von Michael, von meiner Lehrerin und meinen Mitschülern scheinen mich zu erdrücken und ich muss sie nicht einmal richtig sehen. Als dann auch noch ein Lachen in der Gruppe der Zuschauer ertönt, drehe ich mich ein wenig weg und starre nur noch auf mein Papier.

Letzte Woche habe ich mich zum ersten Mal mit Michael getroffen, damit wir unseren Text lernen können. Das Lernen am Tag vorher mit Manu und Patrick hat schon ein bisschen geholfen, jedoch bin ich noch immer meilenweit davon entfernt den Text auswendig zu können. Die Freistunde letzte Woche verlief ziemlich gut und die zweite Probe mit Michael heute morgen in der ersten Stunde ist der Grund für mein Verhalten.

Es fing eigentlich ganz gut an. Ich habe mich zu ihm an den Tisch gesetzt, mein Herz raste vor Nervosität, wir haben angefangen ein bisschen zu lernen, waren aber beide nicht sonderlich motiviert. Deshalb haben wir über andere Dinge geredet.

"Ich verstehe nicht, warum Frau Bieneck unbedingt uns für die Rollen haben will", meinte Michael. "Ich meine, wir sind den Protagonisten kein bisschen ähnlich."

Daraufhin blieb ich still. Immerhin wollte ich mich nicht unbeliebt machen und das Gegenteil behaupten. Ich wollte aber auch nicht sagen, dass ich der gleichen Meinung bin. Denn in gewisser Weise ähnele ich Maudado aus dem Stück.

"Ach, ich weiß so wie so nicht was ich von dem Stück halten soll", hat er weiter gesprochen. "Ich bin nicht so begeistert."

Wenn ich mich jetzt so daran zurück erinnere, dann frage ich mich, woher der plötzliche Mut und das Selbstbewusstsein für meine Antwort kam, denn ich sagte:

"Weil es von zwei homosexuellen handelt?"

Als Antwort zog Michael die Augenbraue in die Höhe. Offensichtlich verstand er meine Aussage nicht.

"Ich habe vor kurzem gehört, wie du mit einem deiner Freunde über das Thema gesprochen hast. Ihr habt nicht sehr tolerant gewirkt", erläuterte ich und fing an mit dem Stoff meines Pullovers zu spielen.

Michael seufzte und lehnte sich an die Lehne seines Stuhls.

"Ja, meine Freunde", fing er an, "sind ziemlich engstirnig. Sie verstehen das nicht und denken es sei falsch und nicht normal."

"Und was ist mit dir?"

"Ich denke, dass es normal ist Menschen zu lieben. Dabei spielt es doch keine Rolle, welchem Geschlecht die Person, die wir lieben, angehört. Wir sollten Menschen nicht auf ihre Sexualität begrenzen."

"Warum sagst du ihnen das nicht?"

"Ich habe nicht den Mut dazu."

Es war still. In der ganzen Cafeteria. Und wir beide schwiegen uns an, hingen in unseren Gedanken und meine nächste Aussage ich mir einfach so entflohen.

"Ich bin schwul."

Perplex schaute er mich an und fing an zu lächeln. Mein Herz machte einen Sprung. Sein Lächeln ließ auch mich lächeln und kurz stieg in mir die Hoffnung auf, dass auch er diesen Satz sagen würde, doch das tat er nicht.

"Na dann hat immerhin einer von uns etwas mit seiner Figur gemeinsam."

In mir breitete sich die Enttäuschung aus, welche ich aber mit einem Lachen überspielte und so tat, als würde mein Herz nicht gerade ich zwei Teile gerissen.

Und deshalb stehe ich hier wie ein Fisch, der gerade aus dem Wasser gezogen wurde und sich wieder nach Wasser sehnt. Zitternd und nicht nach Wasser, sondern nach Luft ringend, damit ich mich ein wenig entspanne.

Ich weiß nicht genau warum ich so reagiere. Schon oft habe ich Menschen gesagt, dass ich schwul bin und ich mache auch kein Geheimnis daraus, aber noch nie hat jemand so reagiert wie Michael. Ich bin unsicher. Unsicher, ob das, was er gesagt hat, der Wahrheit entspricht oder ob er es allen erzählt und sich über mich lustig macht. Genauso wie alle anderen, die mich gerade anstarren.

"Gut, wir machen fünf Minuten Pause. Maurice, wir beide sprechen bitte kurz miteinander."

Beschämt laufe ich die kleine Treppe hinunter und höre erneut die Stimmen der anderen Schüler, die über mich reden und wiederholt über mich lachen.

"Was ist los? Letztes Mal hat es doch so gut geklappt."

Überfordert zucke ich mit den Schultern. Ich kann ihr schlecht erzählen, dass ich Michael erzählt habe, dass ich schwul bin, und jetzt Angst habe, dass er und andere sich nun über mich lustig machen oder mich mental und körperlich angreifen.

"Heute ist einfach nicht mein Tag", füge ich dann noch hinzu.

"Eigentlich ist das keine Ausrede, Maurice. Wir sind hier im Theater. Egal wie schlecht dein Tag ist, du musst das überspielen. Das nennt sich schauspielern. Aber wir machen heute eine Ausnahme, du siehst nicht ganz fit aus."

Frau Bieneck kündigt an, dass eine andere Szene geprobt wird, in welcher ich nicht auftrete, und erschöpft setze ich mich auf einen der Stühle. Die restlichen zwanzig Minuten schaue ich dabei zu, wie ein paar meiner Mitschüler auf der Bühne stehen und proben und bin unendlich froh, als ich die Aula verlassen kann.

"Hey, Maurice. Su... Super Pr... Pr... Probe", kommt es von einem Jungen, der mit seinen Freunden lachend an mir vorbeigeht und mich leicht zur Seite schubst.

Seufzend lasse ich das Gelächter über mich ergehen und laufe einfach weiter zu meinen Freunden.
Es scheint so, als müsste ich das jetzt die nächsten Tage oder Wochen über mich ergehen lassen.
Aber ich bin selber schuld daran.

Warum erzähle ich Michael auch, dass ich schwul bin?

Schauspiel - ZomdadoWo Geschichten leben. Entdecke jetzt