4) Wanhedas Geständnis

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Na klasse. Er hatte sich getäuscht. Sie war bloss aus Mitleid hier. Nicht weil sie so gern Zeit mit ihm verbringen wollte, sondern weil ihr Pflichtbewusstsein sie dazu drängte, ihm als gute Freundin Gesellschaft zu leisten, damit er nicht alleine war.

Bellamy spürte, wie eine altbekannte Wut in ihm aufstieg. Er war früher so oft wütend gewesen – und hatte diesem Gefühl viel zu oft nachgegeben. Auch jetzt musste er feststellen, dass das Bedürfnis, etwas zu zerdeppern oder seine Faust gegen eine Wand krachen zu lassen, wieder einmal an die Oberfläche stieg. Doch im Gegensatz zu früher wusste er nun damit umzugehen. Er hatte sich verändert, war nicht mehr cholerisch. So durfte er nicht mehr sein. Er trug seinen Leuten, seiner Familie gegenüber eine grosse Verantwortung. Er war das Herz. Das durfte er nie vergessen. Besser er kanalisierte seinen Frust und tat damit etwas Sinnvolles. Oder zumindest etwas, das ihm irgendwann vielleicht zugutekommen würde.
Räuspernd nahm er wieder ein Messer zur Hand, zielte und schleuderte es – um ein vielfaches kräftiger als die vorherigen Male – von sich.
„Mir geht's gut, Clarke. Du musst nicht meinetwegen hier sein", entgegnete er gefasst, aber doch recht kühl. „Ich komme auch ohne dich klar."

Für einige Sekunden blieb alles still und Bellamy mied jeglichen Blickkontakt. Er erwartete, dass Clarke ins Gemeinschaftszentrum zurückging und ihn sich selbst überliess – wie sie es in der Vergangenheit meistens getan hatte. Doch zu seinem Erstaunen rührte sie sich nicht vom Fleck. Stattdessen hob sie plötzlich eine Hand und legte sie an seine Wange, um sachte sein Gesicht zu ihr zu drehen, so dass sie ihm in die Augen schauen konnte.
„Aber ich ... ich komme nicht ohne dich klar", flüsterte sie.
Bellamys Verstand machte eine Vollbremsung. Er hätte Clarke gern gebeten, den Satz nochmals zu wiederholen, nur um sicher zu sein, dass er sich nicht verhört hatte.

„Du glaubst nicht, wie oft ich dir das schon sagen wollte", gestand sie und wirkte nun nervös. Als wären ihr die Worte unangenehm. Ein wenig verkrampft biss sie sich auf die Unterlippe, musste sich augenscheinlich sammeln, ehe sie fortfuhr. „In den sechs Jahren nach Praimfaya war ich so dankbar und froh, Madi bei mir zu haben. Ich weiss nicht, was ohne sie aus mir geworden wäre. Trotzdem war es eine verdammt schwere Zeit." Ihre Stimme zitterte kaum merklich. „Ihr wart alle weg und ich wusste nicht, ob ich euch jemals wiedersehe. Ich wusste nicht einmal, ob es euch gut ging. Diese Ungewissheit war das Schlimmste. Ein Tag nach dem anderen verging und es gab nicht einen einzigen, an dem ich mir nicht gewünscht hätte, mit jemandem von euch sprechen zu können. Ich hab mich andauernd ... verloren und hilflos gefühlt. Wie du ja schon weisst, habe ich jeden Abend versucht, dich über Funk zu erreichen. Ich wollte die Hoffnung nicht aufgeben, irgendwann ein Zeichen von euch zu bekommen."

Bei ihrem traurigen Gesichtsausdruck zog sich Bellamys Herz schmerzhaft zusammen. Er wollte nicht, dass sie litt. Er hasste es, wenn es ihr schlecht ging und sofort hatte er wieder das Gefühl, sie beschützen zu müssen – egal vor welchem Leid.
„Clarke, du weisst, wenn ich gekonnt hätte ...", begann er, doch sie schüttelte vehement den Kopf. „Das erzähle ich dir jetzt nicht, um dein Mitleid zu erregen und schon gar nicht, damit du dich deswegen schlecht fühlst, hörst du!" Beschwörend nahm sie seine Hände. „Ich erzähle dir das, weil ich will, dass du weisst, wie unendlich wichtig du mir bist! Wie sehr du mir gefehlt hast. Es ging mir vor allem so mies, weil du nicht mehr bei mir warst!" Clarke schluckte hart, in ihren Augen schimmerten Tränen. „Jedes Mal, wenn ich etwas Spezielles erlebt habe, wenn Madi etwas Tolles geleistet hat oder wir beide etwas Neues entdeckt haben ... Einfach alle Erkenntnisse, Veränderungen oder auch stinknormale Angelegenheiten, Alltagsprobleme und Sorgen – ganz egal was es war ... Ich wollte es immer zuerst dir erzählen. Immer wieder ertappte ich mich, wie ich dich um Rat fragen oder deine Meinung zu einem Thema hören wollte. Es war, als wäre plötzlich die Hälfte meiner Seele verschwunden. Du glaubst nicht, wie oft ich in bestimmten Momenten dachte; was würde Bellamy jetzt tun?"
Befangen trat Clarke von einem Fuss auf den anderen. „Ich habe erst gemerkt, was ich an dir hatte, als du nicht mehr da warst. Und es tut mir aufrichtig leid, dass ich so lange gebraucht habe, um zu verstehen, was du mir bedeutest."
Ihre wunderschönen blauen Augen blickten eingehend in seine.

Bellamy öffnete den Mund, doch seine Stimmbänder versagten den Dienst. Er konnte Clarke nur blinzelnd anstarren, unfähig die Flut an Gefühlen zu verarbeiten, die wie gewaltige Meereswellen über ihm zusammenbrachen.
Wie sehr hatte er sich gewünscht, eines Tages solche Dinge von ihr zu hören. Er hatte sich eine derartige Situation bereits mehrfach in seinen Tagträumen vorgestellt und sich genau zurechtgelegt, was er Clarke dann antworten würde. Doch nun, da es soweit war, war er masslos überfordert und konnte nur sprachlos dastehen wie ein gehirnamputierter Zombie.

Eine zweite Chance (Bellarke FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt