19) Entscheidungen und Konsequenzen

186 9 0
                                    

Bellamy wurde kurzerhand in eine Arrestzelle verfrachtet. Ausser ihm gab es keinen weiteren Gefangenen und auch die Wächter zogen sich zurück.
Es dauerte allerdings nicht lange und Octavia war bei ihm, um ihm heimlich eine Flasche mit Wasser zu bringen. Irgendwie war sie an den Schlüssel gekommen und stahl sich zu ihm in die Zelle.  "Oh Mann, da hast du was angerichtet", seufzte sie, als sie sich bedächtig neben ihn auf die Holzbank sinken liess.

Er hatte ein Bein angezogen und lehnte mit dem Rücken kraftlos gegen die Wand. Aus dem Augenwinkel schielte er kurz zu seiner Schwester hinüber, fragte sich, warum es ihm so schwer fiel, ihr offen ins Gesicht zu blicken.
Du schämst dich. Deswegen.
Bellamy nahm einen Schluck Wasser, doch das vermochte den bitteren Geschmack in seinem Mund nicht zu vertreiben.
Er hatte es verbockt. Hatte alles ruiniert. Und was am Schlimmsten an ihm nagte, war die Ungewissheit, was Clarke betraf. Hatte sie nun endgültig genug von ihm? Würde sie sich von ihm abwenden? Oder reichte ihre Liebe und ihr Vertrauen zu ihm auch dieses Mal  aus, um ihm seinen Gewaltausbruch zu verzeihen?

"Weil du als Wächter einen hohen Stellenwert hast und vorher nie negativ aufgefallen bist, behalten sie dich bloss über Nacht hier drin", informierte ihn Octavia und unterbrach damit seine Grübeleien. "Du weisst; normalerweise bleiben diejenigen, die eine Tätlichkeit verübt haben, so lange in der Zelle, bis die gerichtliche Strafe verhängt wurde. Du kannst also von Glück reden."

Bellamy nickte bloss. Er hatte selbst auch schon den ein oder anderen Schläger in diese Arrestzellen gesperrt. Er wusste, wie das Prozedere in solchen Fällen ablief. Und nun war er es, der hier sass. Ein weiterer brutaler Schläger.

"Ist Cillian ... Ist er okay?", fragte Bellamy leise, den Blick auf seine Hände gerichtet. Das Blut auf seiner Haut war mittlerweile getrocknet.

Octavia schnaubte. "Er hat ein paar gebrochene Knochen, Platzwunden und Prellungen - und das alles konzentriert im Bereich oberhalb seines Halses. Tut sicher höllisch weh, aber er wird es überleben. Er konnte sogar selbstständig gehen - Clarke hat ihn ins Krankenhaus begleitet; sie werden sich dort um ihn kümmern."

Erleichtert atmete Bellamy durch. Als er sich kurz den steifen Nacken massierte, zitterte seine Hand. Denn es war ihm nochmals mit voller Wucht bewusst geworden: Er hätte Cillian beinahe umgebracht! Er hätte ihn vielleicht zu Tode geprügelt, wenn niemand dazwischen gegangen wäre. Bellamy war von sich selbst angewidert. Wie hatte er nur so die Nerven verlieren können?!

Octavia legte ihm bestärkend die Hand auf die Schulter.
"Bell, es geht ihm gut, okay? Das wird schon wieder. Mach dich nicht fertig deswegen." Sie beugte sich näher zu ihm. "Komm schon, sieh mich an."

Bellamy kam ihrer Bitte nach, auch wenn er spürte, dass seine Augen verräterisch brannten. "Ich hab's vermasselt, O", stiess er gequält hervor. "Ich hab alles vermasselt."

Octavia legte den Kopf schief und musterte ihn aus schmalen Augen.
"Ich kann nicht fassen, dass ich dir das sagen muss. Aber offenbar musst du es hören: Wir machen alle mal Fehler! Das liegt in der menschlichen Natur. Du magst manchmal ein Hitzkopf sein, aber ich kenne dich, grosser Bruder. Du hättest den Typen nicht so verdroschen, wenn es keinen triftigen Grund dazu gegeben hätte. Du bist ..."

"Das ist es ja gerade", unterbrach Bellamy sie. "Das Einzige, was Cillian getan hat, war mich zu provozieren. Er hat Sachen gesagt ... über dich und Madi und ich ... Ich habe rot gesehen. Ich wollte ihm weh tun, ihn leiden lassen; bloss wegen ein paar leeren Drohungen! Was macht das aus mir, Octavia?"

"Du wolltest wie immer die beschützen, die du liebst. Daran ist nichts verwerflich", wandte sie bestimmt ein.

"Doch", widersprach er, "die Art und Weise - die ganze Situation! Ich hätte es besser wissen müssen, hätte die Sache richtig einschätzen und mich unter Kontrolle halten müssen."
Er wechselte die Sitzposition, beugte sich nach vorne, stützte seine Ellbogen auf die Knie und starrte geradeaus, auf die Gitterstäbe der Arrestzelle.
"Zum ersten Mal in meinem Leben war ich an einem Ort glücklich. Alles, was ich mir gewüscht habe, wurde mir erfüllt. Ich hatte alles - und jetzt werde ich vielleicht alles wieder verlieren." Er schluckte hart, ehe er fortfuhr. "Und weswegen?! Weil ich dermassen misstrauisch bin, weil ich von jeder Person, die ich nicht mag, gleich annehme, sie wäre ein durch und durch schlechter Mensch." Bellamy ballte erneut die Hände zu Fäuste. "Verstehst du nicht; das war ein Test! Meine persönliche Prüfung. Und ich habe versagt. Ich habe Sanctum, dieses Leben hier, nicht verdient. Ich weiss ja nicht mal mehr, wie man ein normales Leben führt." Er schluckte hart. "Monty und Harper würden sich für mich schämen."

Octavias Stimme klang entschlossen wie nie, als sie sagte: "Monty und Harper würden dir jetzt sagen, dass du dich nicht in Selbstvorwürfen und Selbstmitleid suhlen sollst! Glaub mir, ich war auch schon an dem Punkt und es hat mir nichts gebracht, ausser noch mehr Leid und Schmerz. Ich werde nicht zulassen, dass dir dasselbe passiert!" Sie packte Bellamys Arm, sodass er ihr verwundert in die Augen sah. "Wie gesagt; du hast einen Fehler gemacht. Du hast eine Entscheidung getroffen und wirst jetzt die Konsequenzen tragen müssen. Genauso wie Cillian die Entscheidung getroffen hat, dich zu herauszufordern und jetzt mit seinen Verletzungen klarkommen muss. Meiner Meinung nach ist er selbst dafür verantwortlich, was mit ihm passiert ist. Er ist ein mieses Arschloch, das war mir von Anfang an klar."

Bellamy schnaubte frustriert.
"Aber er war es nicht, der zugeschlagen hat."

"Wir werden mildernde Umstände geltend machen", schlug Octavia vor. "Du hast 'ne ganze Menge Leute, die zu dir stehen. Unsere Freunde werden sich, ohne zu zögern, für dich verbürgen. Und ich werde verflucht nochmal jedem, der dich wegen dieser Sache an den Pranger stellen will, die Hölle heiss machen!" Ihre Miene nahm diesen unheilvollen, finsteren und zugleich entschlossenen Ausdruck an. Es war ihr Wir-ziehen-in-den-Krieg-Gesicht. "Marcus und Clarke sind auch Teil des Grossen Rates, ihre Stimme zählt genauso wie die der anderen", fuhr sie nun sachlich fort. "Das wird dir zusätzlich zugutekommen."

Bellamy schwieg. Er konnte seiner Schwester nicht sagen, dass er befürchtete, Clarke würde sich dieses Mal nicht auf seine Seite schlagen. Er konnte und wollte sich nicht vorstellen, dass sie vielleicht sogar Cillian verteidigte und der Meinung war, er - Bellamy - müsse bestraft werden. Der Gedanke nagte hartnäckig an ihm und liess ihn nicht mehr los. Genauso wenig wie er nicht vergessen konnte, wie Clarke ihn angesehen hatte, als man ihn von Cillian getrennt hatte.
Sein Herz wog bleischwer in seiner Brust, jeder Atemzug kostete Kraft. Er konnte Clarke nicht verlieren. Nicht noch einmal. Wie sollte er ... Er unterdrückte einen Fluch, während er sich mit dem Handrücken einmal grob über die Nase rieb.

"Hey", sagte Octavia und rückte ein wenig näher an ihn ran. "Ich bin bei dir. Ich werde nicht weggehen." Anschliessend flüsterte sie etwas in die triste Atmosphäre der Zelle hinein, doch Bellamy verstand es trotzdem: "Mein Bruder, meine Verantwortung."

Eine zweite Chance (Bellarke FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt