10) Ärztlicher Rat

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Nach mehr als 20 Minuten guten Zuredens war es geschafft: Lonny stimmte endlich einer Infusion zu. Allerdings nur unter der Bedingung, dass auch Bellamy eine kriegen sollte. Wenn ein Wächter diese Prozedur an sich selbst zuliess, so würde auch er - Lonny - seinen Arm hinhalten. Erst dann würde er sicher sein, dass alles mit rechten Dingen zuging. Denn aus irgendeinem Grund hatte er angefangen, Bellamy zu vertrauen - ganz im Gegensatz zur Ärzteschaft und zum Pflegepersonal. Das waren alles "hinterlistige Pissnelken, die mich um die Ecke bringen wollen", so Lonnys Worte. Bellamy jedoch machte auf ihn scheinbar einen vertrauenswürdigen Eindruck.

Da niemand einen gewaltsamen Ausgang der Geschichte riskieren wollte, blieb jedenfalls nichts anderes übrig, als dass Bellamy auf einem Stuhl direkt neben Lonnys Bett Platz nahm und sich von Abby eine Infusion legen liess. Sein Beutel enthielt bloss eine einfache Kochsalzlösung, wogegen derjenige von Lonny zusätzlich mit einem Antibiotikum und einem fiebersenkenden Schmerzmittel versetzt war. Jackson hatte vorher vorsorglich auf beide Beutel dieselbe Etikette aufgeklebt, bevor er sie ins Krankenzimmer gebracht hatte.

Währenddem die Infusionen langsam vor sich hin träufelten, schwadronierte Lonny mit Leidenschaft über alle möglichen Themen, wogegen Bellamy von Zeit zu Zeit bloss ein zustimmendes oder ungläubiges Geräusch von sich gab oder lustlos mit dem Kopf nickte.
Er hatte sich den Abend definitiv anders vorgestellt. Wer wollte schon stundenlang mit einem paranoiden Patienten in einem Krankenzimmer eingesperrt sein und dabei eine Flüssigkeit in seinen Köper einfliessen lassen, die man gar nicht nötig hatte.
Das hatte er jetzt von seinem Helfersyndrom.

Was Clarke wohl gerade machte? War sie zuhause? Bellamy stellte sich vor, wie sie Madi ins Bett brachte, ihr vielleicht sogar ein Gute-Nacht-Lied vorsang. Doch diesen Gedanken revidierte er sofort wieder. Weder Madi noch Clarke waren der Typ für Gute-Nacht-Lieder. Bei ihnen war als Abendritual viel eher Armdrücken oder etwas in der Richtung angesagt. Das nächste Mal, wenn er sie sah, würde er Clarke danach fragen.
Ach komm, in Wahrheit willst du sie doch ganz andere Dinge fragen, flüsterte es im hintersten Teil seines Kopfes. "Und vor allem willst  du ganz andere Dinge mit ihr tun als nur zu reden."
Bellamy hätte schwören können, dass seine innere Stimme gerade unartig kicherte.

Vielleicht bin ich hier doch nicht so falsch
, dachte er mit einem Blick auf Lonny, der erst an seinem Trinkglas nippte und dann versuchte, auch seiner Socke etwas Wasser einzuflössen (was natürlich völlig daneben ging). Schliesslich höre ich auch dauernd eine Stimme. Eine echt nervige Stimme.
Missgelaunt veränderte Bellamy seine Sitzposition, streckte seine langen Beine aus. Zu allem übel war auch noch der Stuhl verflixt unbequem und seine linke Pobacke drohte einzuschlafen. Er überlegte, die Klingel zu drücken, um Abby oder Jackson auf den Plan zu rufen, damit er um ein Kissen bitten konnte.

"Das Trinkwasser hier ist verseucht", gab Lonny gerade zu Protokoll und stellte sein Wasserglas mit Todesverachtung zurück auf den Beistelltisch. "Es schmeckt bitter. Da stimmt was nicht. Hab ich nicht recht, Arabella?" Die - jetzt nasse - Socke war immer noch über seine Hand gestülpt. Mit dieser machte er nun eine nickende Bewegung.
"Heureka!", rief er so laut und explosiv aus, dass Bellamy vor Schreck zusammenzuckte. "Sie lebt noch! Arabella ist wieder da; frohlocket!" Verschwörerisch beugte sich Lonny in Bellamys Richtung. "Sie werden uns nicht kleinkriegen. Niemals!"

Bellamy zwang sich mit grösster Mühe eine Art Lächeln ins Gesicht, obwohl er sich am liebsten den Infusionsschlauch aus dem Arm gerissen hätte, damit er aus dem Fenster springen konnte.


***

"Vielen Dank, Bellamy. Das war sehr lieb, was du für Lonny getan hast. Wir wissen deine Hilfe wirklich zu  schätzen", sagte Abby, als sie Bellamy zum Ausgang des Krankenhauses begleitete.

"Keine Ursache. Lonny ist ... interessant", erwiderte Bellamy. Und das meinte er ernst. Lonny war im Grunde kein böser Mensch, er war nur ... ein wenig exzentrisch, wie es Jackson so treffend ausgedrückt hatte.

Während sie durch die Flure gingen, sah Bellamy sich immer wieder um und spähte flüchtig in die Zimmer, bei denen die Tür offen stand. Einmal, als er eine Frau in einem weissen Kittel entdeckte, die ihre blonden Haare zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden trug, schlug sein Herz sofort ein paar Takte schneller, ehe er merkte, dass es nicht die Person war, die er gehofft hatte hier anzutreffen.

"Clarke ist nicht hier. Sie hatte heute kein Krankenhausdienst, sondern eine Tagung im Gemeindehaus. Du kannst also aufhören, nach ihr Ausschau zu halten", bemerkte Abby mit einem wissenden Lächeln.

Ertappt verzog Bellamy das Gesicht. Vielleicht hätte er besser geschwiegen, doch die Frage rutschte ihm unwillkürlich heraus.
"Ist es so offensichtlich?"

Jetzt rollte Abby mit den Augen und blieb stehen.
"Ach Bellamy, es ist doch schon seit Jahren offensichtlich. Und nicht nur für mich. Aber du und Clarke seid dermassen blind und stur, dass ich euch am liebsten an den Schultern packen und durchrütteln möchte, damit ihr endlich aufwacht!"

Wow. Damit hatte er nicht unbedingt gerechnet. Er strich sich peinlich berührt die Haare aus der Stirn und mied Abbys bohrenden Blick.
"Würdest du sie von mir grüssen, wenn du sie das nächste Mal siehst?", fragte er die Ärztin knapp und wollte sich schon in Bewegung setzen, um das Gebäude zu verlassen, doch Abby hielt ihn am Arm zurück.

"Das könnte ich machen", entgegnete sie trocken. "Aber mein ärztlicher Rat lautet, dass du zu Clarke gehen und selbst mit ihr sprechen solltest!" Als von Bellamy nicht die erhoffte Reaktion kam, drückte sie seinen Arm ein wenig fester. "Das ist es doch, was du willst. Mit ihr zusammen sein. Oder etwa nicht?"

Doch, das war genau das, was er wollte. Er wollte zurzeit nichts anderes.
"Ich ... ich bin mir nur nicht mehr so sicher, ob sie das auch will", sprach er seine Befürchtung aus. "Ich hatte gehofft, sie würde sich bei mir melden, aber ich habe seit Wochen nichts mehr von ihr gehört. Sie hat nie den Versuch unternommen, mich zu kontaktieren." Bellamy hob leicht die Schultern an, als wolle er sich gegen einen Schlag wappnen. "Vielleicht will sie mich ganz einfach nicht sehen. Ich bin ihr wohl doch nicht so wichtig, wie ich dachte."

Abbys Blick wechselte von ungläubig zu streng.
"Bellamy Blake, jetzt hör mir mal genau zu!"
Sie stellte sich direkt vor ihn hin und musste ein wenig das Kinn heben, um ihm in die Augen sehen zu können.
"Genau wie wir alle hatte auch Clarke die letzten Wochen unglaublich viel zu tun und kaum Zeit für sich. Aber ich bin überzeugt, dass das nicht der einzige Grund ist, weshalb sie sich nicht bei dir gemeldet hat." Ihre Miene wurde ein wenig weicher. "Ich weiss, Clarke wirkt immer so, als könnte sie mit ihrem Willen Berge versetzen und dabei sämtliche Probleme der Gesellschaft alleine auf ihren zwei Schultern tragen. Sie wirkt taff und abgebrüht, manchmal fast gefühlskalt. Aber ich kenne meine Tochter. Diese Haltung ist ihr Schutzschild. Und du, Bellamy, bist der einzige, bei dem sie diesen Schutzschild ablegen und sie selbst sein kann."
Abby machte einen tiefen Atemzug, ehe sie weitersprach.
"Leider traut sie sich nicht immer, ihre Gefühle zuzulassen, weil sie Angst hat, wieder verletzt zu werden. Sie hat schon zu viele geliebte Menschen verloren; ihren Vater, ihren besten Freund Wells, dann Finn und Lexa. Später auch noch ihre Freunde Jasper, Harper und Monty ... Eine Zeit lang dachte sie, sie hätte auch dich verloren - und daran ist sie beinahe zerbrochen. Ich weiss, dass sie das nicht noch ein zweites Mal ertragen könnte. Also denk immer daran; Clarke meidet dich nicht, weil sie dich nicht will. Sondern weil sie dich zu sehr will. So ist sie nun mal gestrickt."

Bellamy starrte die Ärztin sprachlos an. Auf diese Weise hatte er Clarkes Fernbleiben noch gar nicht betrachtet. Hatte Abby wirklich recht damit?

"Bellamy", nun war ihre Stimme so eindringlich, wie noch nie an diesem Abend. "Clarke liebt dich. Das weisst du doch oder?"

Er machte ein Geräusch, das irgendwo zwischen einem Schnauben und einem Lachen lag, während er zur Seite sah. Unbeholfen hob er eine Hand und liess sie wieder sinken.
"Ja, ich weiss, dass sie mich auf eine Art und Weise liebt", erwiderte er ein wenig gereizt. "Ihre Familie und Freunde waren ihr schon immer wichtig und sie ..."

"Nein! Du verstehst das falsch", fiel ihm Abby ins Wort. Ihre Augen bohrten sich richtiggehend in seine. "Sie liebt dich!"
Ihre Augenbrauen hoben sich, als sie darauf wartete, dass er endlich einsichtig wurde.

Bellamy musste ein paar mal blinzeln, dann verschränkte er die Arme vor der Brust und trat von einem Fuss auf den anderen. Er wusste nicht, was er sagen sollte, also räusperte er sich.
Schliesslich gelang es ihm, zu nicken. Was er allerdings nicht steuern konnte war, dass sich sein rechter Mundwinkel wie von selbst hob und er dadurch wohl gerade ziemlich schief grinste. Und er konnte auf einmal nicht mehr damit aufhören. Die Vorstellung, dass Clarke ihn wirklich und wahrhaftig liebte - und zwar nicht nur auf die freundschaftliche Art - war einfach überwältigend. Ihm wurde ganz schwummrig vor Glück.

"Na endlich!", rief Abby erleichtert aus, verschränkte beide Hände und hob sie zum Himmel, wie wenn sie beten würde. "Weisst du, Clarke hat in den vergangen Wochen so oft von dir geredet, dass es schon nervig wurde. Ihr habe ich übrigens so ziemlich dasselbe gesagt, wie jetzt dir. Nur ist sie offenbar sturer als du - und wohl auch unsicherer. Also; bitte warte nicht länger und geh zu ihr. Redet endlich Klartext miteinander! Ihr zwei seid füreinander bestimmt. Das wart ihr schon immer. Und jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, eure Gefühle füreinander zuzulassen und vor allem; sie auszuleben - bevor es irgendwann zu spät dafür ist!"

Ergeben senkte Bellamy den Kopf, immer noch ein hartnäckiges Lächeln auf den Lippen.
"Okay, okay. Ich hab's kapiert, Abby."

Sie schüttelte erneut ihren Kopf, als könne sie nicht glauben, wie begriffsstutzig manche Menschen waren.
"Gut. Denn sonst hätte ich als nächstes einen Defibrillator holen und dir ein paar Stromschläge verpassen müssen."

Beim Verlassen des Krankenhauses überlegte Bellamy, direkt zu der Wohnung zu gehen, die Clarke zusammen mit Madi bewohnte. Doch leider war die Zeit mittlerweile ganz schön fortgeschritten, die zwei Sonnen waren längst untergegangen und alles lag still und verlassen da.
Clarke hatte bestimmt einen anstrengenden Tag gehabt und er wollte sie nicht um ihren wohlverdienten Schlaf bringen. Ausserdem war er von der fordernden Begegnung mit Lonny und der Pseudoinfusion irgendwie ganz groggy; seine Knie fühlten sich an, als wären sie durch Wackelpudding ersetzt worden und er spürte ein seltsames Ziehen in der Magengrube.
Bist du sicher, dass das nichts damit zu tun hat, was Abby vorhin gepredigt hat?
Gekonnt ignorierte Bellamy den Kommentar, obwohl er ahnte, dass seine innere Stimme auch dieses Mal mitten ins Schwarze getroffen hatte. Langsam beunruhigte ihn diese Entwicklung. Denn das würde bedeuten, dass er wieder öfters auf seinen Kopf hören sollte, anstatt nur auf sein Bauchgefühl.
Bellamy rieb sich frustriert den Nasenrücken. Wieso musste immer alles so verdammt kompliziert sein?!

Es war wohl besser, wenn er nach Hause ging und sich ebenfalls ins Bett legte, damit er den nächsten Tag frisch gestärkt in Angriff nehmen konnte. Er brauchte erst eine Mütze voll Schlaf, bevor er sich seinen übergeschnappten Empfindungen von Neuem stellen konnte. Nicht zu vergessen einer liebenswert dickköpfigen und (Abby zufolge) dennoch verunsicherten, jungen Frau.

Als Clarke Bellamy bei ihrem ersten Zusammentreffen auf der Erde unverblümt angeschnauzt hatte, er solle die Dropshiptür nicht aufmachen, weil draussen die Luft verseucht sein könnte, da hätte er es sich nicht einmal ansatzweise vorstellen können, dass sich dieser nervige Blondschopf eines Tages als die Liebe seines Lebens entpuppen würde.
Wieder falsch. Du bist schon damals von ihr fasziniert gewesen. Und ich hab dir schon damals gesagt, du sollst dir die mutige Prinzessin schnappen, aber du wolltest ja nicht auf mich hören.

Eine zweite Chance (Bellarke FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt