15) Befehlsgewalt

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Sie blieben noch ein Weilchen bei ihren Freunden, plauderten und scherzten gemeinsam, bis sich die Gruppe irgendwann auflöste und sich alle auf den Heimweg machten.

Bellamy begleitete Clarke und Madi bis zu ihrer Unterkunft, wo sie vor dem Eingang des langgezogenen, zweistöckigen Gebäudes stehenblieben.

Mit unschuldiger Miene wandte sich Madi an Clarke.
"Nur um das festzuhalten: Ich bin alt und selbstständig genug, alleine zu Hause zu bleiben, falls du ...  na ja, noch irgendwo hinwillst." Sie zuckte lässig mit den Schultern. "Zu einem echt coolen und echt netten Typen mit dunklen Locken und einem Traumbody zum Beispiel."

Clarkes Augen weiteten sich warnend, bevor sie mit einem Räuspern antwortete: "Danke. Madi. Das ist sehr solidarisch von dir. Aber es war ein langer Tag und ich denke, es wäre das Beste, wenn du und ich jetzt schlafen gehen." So sarkastisch ihre Worte am Anfang geklungen hatten, so war am Schluss ein deutlicher Befehl herauszuhören.

Madi nahm ihr Schicksal augenrollend hin und sie verabschiedete sich mit einer Umarmung bei Bellamy, wobei sie ihre drahtigen Arme um seine Mitte schlang und kurz und heftig zudrückte, was ein bisschen seine Nieren quetschte, ihm aber ein Schmunzeln entlockte.

"Nacht, Bell!"

"Schlaf gut, Commander."
Nachdenklich beobachtete er, wie das Mädchen die schwere Holztür aufstemmte und im Gebäude verschwand. Er wusste nicht, was ihn mehr beunruhigte; dass Madi sich als eine geborene Verkupplerin entpuppte oder dass sie - eine 13-Jährige -  ihn offenbar abgecheckt und befunden hatte, er hätte einen "Traumbody".  Und überhaupt war er der klaren Meinung, Madi sollte sich gar keine Gedanken über solche Dinge machen! In einigen Jahren vielleicht, aber doch nicht schon jetzt! Sie sollte weder Männer noch Frauen auf die Art ansehen. Sie war doch noch ein ...
Nein, sie ist eben kein Kind mehr. Dafür hat sie schon zu viel durchgemacht, erinnerte ihn seine innere Stimme. Aber deine Vatergefühle für sie sind wirklich ausgesprochen rührend.
Vatergefühle? War es das, was ihn in diesem Moment so aufwühlte?
Er konnte sich nicht entscheiden, ob er diese Empfindung gut oder schlecht fand. Verwirrend auf jeden Fall.

"Ist alles in Ordnung?" Clarke sah ihn mit abwartender Miene an.

Er beeilte sich zu nicken.
"Ja. Ich war in Gedanken. Tut mir leid - hast du was gesagt?"

Sie kippte den Kopf zur Seite.
"Nur, dass ich nicht mehr weiss, wann ich das letzte Mal einen so schönen Tag hatte." Lächelnd trat sie an ihn heran und legte die Arme um seine Taille. "Es war einfach perfekt. Danke Bell", sagte sie. Dann druckste sie plötzlich herum. "Aber jetzt ... bin ich ziemlich erledigt und ich hoffe, du verstehst, weshalb ich nicht ..."

"Ist schon okay", fiel Bellamy ihr sanft ins Wort und umarmte sie ebenfalls. "Wie du gesagt hast; es war ein langer Tag."

Natürlich hätte er sie liebend gern bei sich zu Hause - in seinem Bett - gehabt, doch er glaubte zu verstehen, was in ihr vorging. Es war noch zu früh, die Nacht zusammen zu verbringen. Sie hatten sich gerade erst auf eine neue Ebene in ihrer Beziehung begeben und diesen Zustand sollten sie besser erst einmal auf sich wirken lassen. Bestimmt wollte Clarke nichts überstürzen und auch Bellamy wollte auf keinen Fall riskieren, dass zwischen ihnen beiden etwas kaputt ging, nur weil er seine Hormone nicht im Griff hatte.

Zu schade aber auch. Stell dir nur mal vor, wie sie nackt unter dir liegt, ihre Wahnsinnsschenkel um dich schlingt und deinen Namen stöhnt ...

Stopp, stopp! Ermattet schloss Bellamy die Augen. Er sollte sich ernsthaft in psychiatrische Behandlung begeben. Vielleicht könnte Abby ihm etwas verschreiben, das dieses verfluchte Teufelchen in seinem Kopf endgültig zum Schweigen brachte. Ansonsten konnte er sich bald mit Lonny zusammentun. Dann konnte seine innere Stimme mit Socken-Arabella zusammen ein Kaffeekränzchen abhalten.

"Leider wird die nächste Woche ziemlich übel werden, was meine Arbeit anbelangt", erklärte Clarke mit einem Seufzen. "Ich bin zwei Tage mit den Rat unterwegs, um nach den Bewohnern an den äusseren Grenzgebieten zu sehen, ausserdem übernehme ich zweimal die Nachtschicht im Krankenhaus und schlafe dafür den halben Tag über. Ich hoffe aber sehr, dass wir uns irgendwann dazwischen sehen können."

"Hey - was sind schon ein paar läppische Tage gegen 6 Jahre? Das kriegen wir hin. Wie wir alles andere auch immer hinkriegen", antwortete Bellamy mit einem Zwinkern.

Liebevoll strich Clarke ihm eine widerspenstige Locke aus dem Augenwinkel.
"Falls du am Freitagabend noch nichts vor hast, könnten wir ja zusammen ausgehen? Meine Mom würde sicher ein Auge auf Madi haben, damit wir beide alleine sein können. Wäre das für dich okay?"

"Du meinst ausgehen wie ... ein Date?", entfuhr es Bellamy und sein Herzschlag beschleunigte sich.

Wann hatte er zum letzten Mal ein richtiges Date gehabt? Himmel, das musste mit ungefähr 16 Jahren gewesen sein, als er und alle anderen noch auf der Ark mitten im Weltraum schwebend gelebt und nie zuvor auch nur einen Fuss auf die Erde gesetzt hatten.
Es kam ihm vor, wie wenn das schon Jahrhunderte zurückläge. Ein Kapitel aus einem anderen Leben.
Auch wenn Bellamy nicht wirklich spirituell veranlagt war - sein Glaube in und an höhere Mächte war äusserst bescheiden, bis gar nicht vorhanden - so hatte er doch bereits mehrere tiefschürfende Erlebnisse gehabt, die einer Wiedergeburt beängstigend nahe kamen. Oder zumindest der Symbolik einer Wiedergeburt. Denn genau so fühlte sich sein jetziges Leben hier in Sanctum an. Es war ein kompletter Neuanfang. Hier musste er keine Kriege mehr führen, keine Überlebensstrategien mehr austüfteln, musste nicht ständig gegen Hunger, Kälte oder giftigen Säurenebel ankämpfen und auch nicht mehr vor einer nuklearen Katastrophe flüchten. Nein, hier musste er nur noch Sachen wie kaputte Tische und Fensterrahmen reparieren, herumpatroulieren und gelegentlich einen Streit schlichten (und die ein oder andere unfreiwillige Infusion über sich ergehen lassen). Hier konnte er stinknormale Dinge tun wie zum Friseur gehen, schwimmen, Feste feiern und ... daten!
Das alles klang vielleicht ziemlich unspektakulär im Vergleich zu seinem vorherigen Leben, doch er würde sich lieber eine Hand abhacken, als den jetzigen Alltag wieder einzutauschen.

Eine zweite Chance (Bellarke FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt