"Was redest du da für einen Müll, Cillian?" Bellamy liess seine Stimme bewusst gelangweilt klingen.
"Es war nicht zu übersehen, dass Clarke gerade ohne Sie abgezogen ist. Sie dürfte wohl nicht allzu gut auf Sie zu sprechen sein." Cillian lächelte schmallippig. "Ich lag richtig damit, ihr und den anderen Ratsmitgliedern von dem Vorfall mit Lonny zu berichten. Was denken Sie, wie begeistert sie waren, als sie gestern davon erfahren haben. Ein Wächter, der seine Aufsichtspflicht verletzt und seine Kompetenzen überschreitet, kann hier niemand gebrauchen."
Sprachlos sah Bellamy den jungen Arzt an. In seinem Kopf ratterte es. Clarke wusste von dem Unfall mit Lonny? Aber warum hatte sie dann den ganzen Tag kein Sterbenswörtchen darüber gesagt?
"Ah, jetzt dämmert es Ihnen, was?"
Cillians selbstzufriedene Miene reizte Bellamy bis aufs Blut. Er hätte dem Doktor das arrogante Grinsen gern aus dem Gesicht geschlagen, aber er sagte sich, dass er das auch anders als mit roher Gewalt hinkriegen würde. Und zwar ganz einfach mit der Erwähnung nackter Tatsachen.
"Clarke hat mich weder stehenlassen, noch hat sie irgendetwas über den Unfall gesagt. Glaub mir, wenn sie wütend auf mich wäre, wüsste ich das." Er verschränkte die Arme vor der Brust und legte den Kopf schief, während er seinen Rivalen überlegen musterte. "Dein Plan, mich bei ihr anzuschwärzen, hat nicht funktioniert, Doc. Du wirst es niemals schaffen, einen Keil zwischen Clarke und mich zu treiben, dafür ist unsere Beziehung viel zu gefestigt. Wir haben weit Schlimmeres durchgemacht als so eine kindische kleine Intrige."
Mit einem milden Kopfschütteln wandte Bellamy sich ab, doch Cillian packte ihn am Arm.
"Wen nennst du hier kindisch, Blake?!"
Der Kerl drückte ziemlich hart zu, was erneut heisse Wut in Bellamy aufwallen liess. "Finger weg oder ich breche sie dir!", knurrte er.
Einige Leute in unmittelbarer Nähe drehten verwundert den Kopf in seine Richtung.
Lästigerweise verstärkte sich der Druck um seinen Arm sogar noch, weshalb er kurz mit dem Gedanken spielte, seine Drohung wahrzumachen. Schliesslich riss er sich kurzerhand los.
Cillian wirkte fast ein wenig ... enttäuscht.
Bellamy wartete, bis die Leute nicht mehr offenkundig glotzten, ehe er ihm zuzischte: "Gib's endlich auf und such dir jemand anderen, dem du auf die Pelle rücken kannst!"
Er wollte schon davon marschieren und Cillian seinem Schicksal überlassen, als ihm auffiel, dass dieser plötzlich völlig verändert wirkte. Die coole Maske war endgültig verschwunden. Was zum Vorschein kam, war eine Mischung aus Frustration, Wut und Eifersucht.
"Du hast Recht, ich sollte mir jemand anderes suchen", meinte er scheinheilig. "Deine Schwester Octavia finde ich ganz interessant, vielleicht versuche ich es mal bei ihr. Was meinst du? Scharf ist sie ja. Mit meinem Charme werde ich sie locker rumkriegen. Bin gespannt wie sie in der Kiste ist - sicher ist sie 'ne Granate. Aber keine Sorge, ich weiss, wie man mit heissblütigen Frauen umgeht." Cillian leckte sich die Lippen. "Na, was sagst du dazu, Blake? Würde dir das gefallen? Oder macht dich der Gedanke, wie ich es deiner Schwester besorge, etwa wütend?"
Falsch. Der Gedanke machte ihn nicht wütend. Er machte ihn rasend!
Bellamy hatte gar nicht gemerkt, dass er die Fäuste ballte, bis sein Gegenüber mit einem erwartungsvollen Schmunzeln nach unten sah.
Okay, ganz ruhig. Er durfte nicht austicken. Das war genau das, was dieser Arsch wollte. Er provozierte ihn aufs Übelste, damit Bellamy auf ihn losging. Bestimmt wollte er erreichen, dass Bellamy das Bild des traumatisierten und unberechenbaren Grounders erfüllte. Dass er nicht vertrauenswürdig war, sondern eine Gefahr für andere darstellte.
Scheiss drauf, der Sack hat es nicht anders verdient! Niemand hat das Recht, so über deine kleine Schwester zu reden - also hau ihm eine rein und zwar so richtig!
Seine innere Stimme randalierte, brüllte vor Rage, was es für Bellamy ganz und gar nicht einfacher machte. Seine Hände zitterten bereits vor Anstrengung, sie im Zaum zu halten.
Wenn er sich jetzt nicht beherrschte, würde es böse enden. Er konnte sich nicht mitten auf dem Markt - in all den Leuten - auf einen angesehenen Arzt stürzen. Das würde seinen Ruf enorm in Mitleidenschaft ziehen, geschweige denn seine Karriere als Wächter (mal davon abgesehen, dass es ganz einfach falsch wäre, sich Cillian auf diese Weise vorzuknöpfen). Bellamy wusste das. Es würde alles zerstören, was er sich hier in Sanctum aufgebaut hatte. Folglich schluckte er seinen Zorn krampfhaft hinunter, während er langsam bis fünf zählte. Erst dann konnte er dem anderen wieder ins Gesicht sehen.
"Versuch dein Glück ruhig. Ich kann dir versichern, Octavia ist ein grösserer Badass als sämtliche Wächter zusammengenommen. Sie kann hervorragend auf sich alleine aufpassen." Noch während er die Worte sprach, wurde ihm bewusst, dass sie absolut wahr waren. Er entspannte sich ein wenig. Ja, es stimme; Octavia war kein wehrloses kleines Mädchen mehr. Seine Schwester war längst zu einer verantwortungsvollen, taffen Frau herangewachsen und brauchte seinen Schutz nicht mehr.
Er taxierte Cillian von oben bis unten mit dem verächtlichsten Blick, zu dem er im Stande war. "Sobald meine Schwester merkt, dass du sie nur benutzen willst, bist du erledigt. Dann solltest du dringend zusehen, dass du Land gewinnst. Weil sie dich nämlich kastrieren wird."
Cillians Miene war nun völlig verzerrt. Er schien zu spüren, dass er die Oberhand verlor. Doch nach einigen Sekunden sah es so aus, als hätte er eine Eingebung.
"Na gut, Octavia wird meinen Avancen vielleicht widerstehen können", räumte er ein. "Aber was ist mit Madi?"
Der Rhythmus von Bellamys Herzschlag geriet jäh aus dem Takt. Nein, er würde doch nicht ...
"Sie ist ein Teenager. Unschuldig. Neugierig. Viele Mädchen in dem Alter wünschen sich einen erfahrenen Partner. Einer, der sie in die Freuden der Liebe einführt. Der ihnen zeigt, wie sie sich ausleben können, wie sie erwachsen werden. Jemand, der weiss was er tut, wenn er sie zur Frau macht." In seinen Augen tauchte ein siegessicheres Glänzen auf. "Und wenn es auf die nette Art nicht klappen sollte, dann auf die andere. Ich werde das süsse Blümchen pflücken - ob es will oder nicht."
In Bellamy detonierte etwas. Von einem Moment auf den nächsten zerbarst seine Selbstbeherrschung in Millionen kleiner Stücke. Und mit ihr jegliche Logik, Urteilsfähigkeit und Menschlichkeit. Er wusste nicht, wie ihm geschah. Es passierte einfach, ohne dass er darauf noch bewussten Einfluss nehmen konnte.
Er blendete alles aus; das knirschende Geräusch, mit dem seine Faust auf Cillians Nase auftraf, die erschrockenen Schreie der Marktbesucher, das Blut, das auf seine Wange spritzte ... Ausser dem tosenden Rauschen in seinen Ohren hörte er nichts mehr. Die Zeit schien sich auszudehnen, während die Welt um ihn herum geisterhaft verblasste.
Bellamy hatte Cillian zu Boden gerissen und ihn mit seinen Knien am Boden festgenagelt. Seine Fäuste trafen mit tödlicher Präzision ihr Ziel. Wieder. Und wieder.
Dieser verdammte Hurensohn würde Madi kein Haar krümmen! Er würde sie nicht einmal mehr schief ansehen können. Dafür würde Bellamy sorgen.
Langsam und zähflüssig drang eine Stimme zu ihm durch. "Hör auf, Bellamy! Du bringst ihn noch um!" Jemand zerrte an seiner Schulter, drückte ihn nach hinten. Wieder ein Ruf, dieses Mal von einer anderen, tieferen Stimme: "Verfluchte Scheisse, du sollst aufhören!" Ein Arm legte sich wie ein Schraubstock um seinen Hals und zog ihn ebenfalls nach hinten. Und zwar so kräftig, das er von Cillian weggerissen wurde und auf seinem Allerwertesten landete. Der kurze Schmerz, der ihm vom Steissbein in den Rücken hinaufschoss, hatte den gleichen Effekt wie eine kalte Dusche. Auf einmal konnte er eine vertraute Person erkennen, die neben ihm auf dem Boden hockte - und ihn immer noch umklammerte.
"Murphy! Was machst du da, lass mich verdammt nochmal los!"
"Was zum Teufel machst du da, Bellamy?! Bist du denn völlig irre geworden?", brüllte Murphy ihn an.
Keuchend rappelte Bellamy sich auf, doch schon packten ihn erneut ein paar Hände und hielten ihn in eisernem Griff fest. Dieses Mal waren sie dunkelhäutig und gehörten Indra.
"Rühr dich nicht von der Stelle!", befahl die Wächterin mit harter Miene.
Stück für Stück schaltete sich Bellamys Verstand wieder ein. Heftig keuchend starrte er hinunter auf seine bebenden Hände, da sie sich seltsam nass und glitschig anfühlten. Jetzt sah er warum. So viel Blut ... Er hob den Blick und erfasste die Situation auf einmal mit beängstigender Klarheit: Cillian hockte nun zwar aufrecht am Boden, doch sein Gesicht sah aus wie das reinste Schlachtfeld. Aus seiner Nase strömte unablässich Blut. Mit ziemlicher Sicherheit dürfte sie gebrochen sein. Seine Lippe war aufgeplatzt, genauso wie die Stelle an seiner linken Augenbraue. Direkt darunter schwoll das Auge zu und verfärbte sich bereits dunkel.
Eine kleinere Gestalt mit blonden Haaren drückte ihm ein Stofftuch unter die Nase und verlangte ausserdem nach einer Schüssel mit frischem Wasser.
Irgendwo in der Nähe stand Raven, denn man konnte die Mechanikerin murmeln hören: "Ich schätze, das Verbandszeug wird jetzt hier gebraucht."
Die blonde Gestalt drehte sich nun Bellamy zu. Blaue Augen, so eisig wie ein Gebirgssee, nagelten ihn fest. Wie konntest du nur, schienen sie ihn förmlich anzuschreien. Mit ihrer Wut hätte Bellamy einigermassen umgehen können, aber der Anblick der bitteren Enttäuschung in ihrer Miene frass sich bis in seine Eingeweide. Clarke sagte kein einziges Wort zu ihm, presste nur ihre Lippen zu einem Strich zusammen und kümmerte sich dann von Neuem um Cillian.
Bellamy wagte einen Blick in das zerstörte Gesicht des Arztes. Dessen heil gebliebenes Auge haftete bereits auf ihm. Was er dann sah, hätte ihn beinahe zum Schreien gebracht. Der Dreckskerl ... lächelte. Er lächelte, als hätte er soeben einen Krieg gewonnen.
Da wurden Bellamy einige folgenschwere Dinge bewusst: Cillian hatte gelogen. Er hätte Madi nicht angefasst. Nur wusste er genau, wo Bellamys Schwachstelle lag und hatte sich diese erbarmungslos zunutze gemacht. Er hatte das alles bloss inszeniert, ihm eine Falle gestellt.
Und Bellamy war ihm voll auf den Leim gegangen.
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Eine zweite Chance (Bellarke FF)
FanfictionDa die Erde unbewohnbar geworden ist, sind Bellamy, Clarke und die anderen Überlebenden gezwungen, 125 Jahre an Bord eines Raumschiffs im Kälteschlaf zu verbringen. Doch endlich erreichen sie einen geeigneten Planeten, auf dem sie Zuflucht finden. I...