Die Tage schmolzen dahin wie Eis an der Sonne. Zeit für Langeweile kam praktisch keine auf.
Die über 400 Überlebenden von Praimfaya wurden kontinuierlich und vollständig als Bürger von Sanctum in die Gesellschaft integriert. Nachdem gewährleistet war, dass jeder von ihnen ein Dach über dem Kopf hatte, folgte als nächster Schritt die berufliche Zuteilung. Sie erhielten alle eine Arbeit, der sie fortan an mindestens fünf von sieben Wochentagen nachzugehen hatten. Jeder musste seinen Teil beitragen. Faulheit und Schnorrer wurden in Sanctum nicht geduldet.
Kinder bis 14 Jahre durften (oder mussten, je nach Auffassung) zur Schule gehen, die Jugendlichen bis 18 Jahre erhielten eine höhere Bildung, welche praktische Arbeitsteile und das Erlernen eines Handwerks enthielt. Allen Erwachsenen wurde indes einen für sie passenden Beruf zugeteilt.
Jackson und Abby arbeiteten beispielsweise im einzigen, kleinen aber zweckmässigen Krankenhaus.
Raven und Emory wurden einer Werkstatt zugeteilt, wo jegliche Art Geräte hergestellt und repariert wurden. Jordan durfte ihnen Gesellschaft leisten und absolvierte nun dort seine Ausbildung. Obwohl ihm seine Eltern - vor allem Monty - in diesem Bereich schon sehr viel Know-how mitgegeben hatten, freute der junge Mann sich ungeheuer über diesen Lehrgang.
Clarke half an den meisten Tagen ihrer Mutter im Krankenhaus, durfte sich aber auch an der Politik beteiligen.
Es gab regelmässige Sitzungen des Grossen Rates, welcher seit Neuestem 32 Mitglieder zählte. Clarke und auch Marcus waren beide mit offenen Armen empfangen worden.
Auch hier in dieser Gemeinschaft mussten Entscheidungen getroffen, Beschlüsse gefasst und Gesetze verabschiedet werden. Die Mitglieder des Grossen Rates wurden vom Volk gewählt, zusätzlich wurden sämtliche Gesetzesänderungen immer zuerst den Bürgern vorgelegt und zur Abstimmung gebracht.
Dann gab es da auch noch die ausführende Kraft der Gemeinschaft; eine Organisation, die dafür sorgte, dass die Beschlüsse ausgeführt und die Gesetze eingehalten wurden. Die Mitglieder dieser Organisation waren Soldaten, Wächter und Beschützer in einem. Sie sorgten einerseits für Recht und Ordnung, andererseits waren sie auch für die Sicherheit und den Schutz der Bürger zuständig. Wenn nötig halfen sie bei Notfällen oder allfälligen Naturkatastrophen (wovon es glücklicherweise bisher noch keine gegeben hatte) oder schritten bei Streitereien und Unruhen ein.
Jenen Wächtern gehörten neu Miller, Indra, Octavia und Bellamy an.
Bellamy hatte schon befürchtet, bei den Fleischern eingeteilt zu werden, da er in der Jagd und im Schlachten von Tieren dank der früheren Umstände auf der Erde sehr erfahren war.
Er hatte es sich damals, nachdem er und die anderen 100 jugendlichen Straftäter die Ark verlassen und auf die Erde zurückgekehrt waren, automatisch zur Aufgabe gemacht, die Gruppe am Leben zu erhalten, also hatte er wohl oder übel den unangenehmen Part als Jäger und Metzger übernehmen müssen. Aber vom Töten - und zwar nicht nur auf Tiere bezogen - hatte er ein für alle Mal genug.
So war er ziemlich erleichtert gewesen, als ihm der Wächter-Job zugeteilt worden war. Auf diese Weise konnte er seine Fähigkeiten auf saubere, unblutige Art einsetzen. Die Wächter waren moralisch sehr korrekt und schadeten höchstens denen, die ernsthaft der Gemeinschaft schadeten.
Etwaige Straftäter wurden dann vor ein ausgewähltes Gericht gestellt und je nach dem eine Zeit lang weggesperrt oder bei ganz schlimmen Vergehen verbannt - was in diesem Falle allerdings einem Todesurteil gleich kam. Denn da draussen alleine zu überleben, war mehr oder weniger utopisch.
Manchmal brauchte es im Wächter-Job vollen Körpereinsatz, und Kampffähigkeiten waren immer gefragt. Leider lagen Zorn, Neid, Habgier und Stolz nun einmal in der Natur des Menschen, was von Zeit zu Zeit auch in Sanctum zu Reibereien, Streit und Prügeleien oder anderen Schandtaten führte.
Bellamy hatte sich schon ein bisschen geehrt gefühlt, dass die Wächter ihn in ihrer Truppe haben wollten und er hatte die Aufgabe gern und dankbar angenommen. Er wollte sich in erster Linie um das Wohl der Gemeinschaft kümmern und für die Leute da sein. Das Beschützersyndrom war bei ihm angeboren (seine Schwester hatte es jahrelang mit voller Wucht abgekriegt). Ausserdem war er verdammt gut darin, Rowdys in ihre Schranken zu weisen oder - wie es so schön hiess - dahin zu gehen, wo es wehtat.
Er war sich auch nicht zu schade ab und zu bei Reparaturen oder Bauarbeiten mitzuhelfen, Zäune für das Vieh aufzustellen oder schwere Dinge von A nach B zu schleppen. Er half, wo er gerade gebraucht wurde.
Langsam, aber sicher kehrte so etwas wie Alltag in Bellamys Leben ein. Tagsüber arbeitete er, danach ass er oftmals mit Octavia etwas zu Abend. Es war schön, sich mit seiner Schwester ungezwungen über die täglichen Erlebnisse unterhalten zu können. Auch das war eine neue Erfahrung in seinem Leben. Das Verhältnis zu Octavia war besser denn je.
In seiner Freizeit ging Bellamy joggen oder trainierte zusammen mit seinen Arbeitskollegen, um fit zu bleiben (natürlich war dabei vor allem Kampfsport angesagt).
In Sanctum gab es zudem für beide Geschlechter die Möglichkeit, bei Mannschaftssportarten mitzumachen: Es wurde gelegentlich Fussball gespielt, Lacrosse, Volleyball oder Rugby, und Bellamy beteiligte sich voller Elan mindestens zweimal die Woche daran. Er liebte es, sich zu bewegen. Aber genauso sehr genoss er es, zum Ausgleich hin und wieder in einer Hängematte zu fläzen und ein gutes Buch zu lesen.
Aber eine Sache gab es, die ihn an seinem Alltag störte und manchmal wehmütig werden liess: Er bekam Clarke kaum mehr zu Gesicht. Am liebsten hätte Bellamy sie 24 Stunden am Tag in seiner Nähe, was natürlich völlig unrealistisch war. Clarke hatte jetzt, wie alle anderen Leute, Verpflichtungen, die sie erfüllen musste. Das war ihm bewusst. Dennoch litt er.
Er sehnte sich nach ihrem Lächeln, ihrem Tatendrang und ihrer beinahe schon nervigen Cleverness. Er sehnte sich danach, mit ihr zu scherzen und zu lachen, sich mit ihr zu kabbeln, sie zu ärgern, bis sich ihr verlockender Mund so schön zu einer Linie zusammenpresste. Er wollte sie wieder in den Armen halten können, ihr Gesicht betrachten und ihre weiche Stimme hören.
Zum x-ten Mal bereute er es, dass er sich am Abend der Party von Murphy und Jordan hatte ablenken lassen, statt Clarke zu küssen. Dann wüsste er jetzt, wie es sich anfühlte und er müsste nicht ständig spätabends im Bett darüber nachgrübeln. Diese Gedanken waren gefährlich, denn sie drifteten beinahe jedes Mal in nicht jugendfreie Zonen ab. Und dann begann erst recht die seelische - und leider auch körperliche - Folter, deren häufige Folge es war, dass Bellamy a) aufstehen und sich unter die eiskalte Dusche stellen oder b) sich selbst Erleichterung verschaffen musste, damit er zumindest noch einige Stunden erholsamen Schlaf bekam.
Ein wenig beunruhigte es ihn schon, wie heftig er plötzlich auf Clarke reagierte. Es reichte schon ein kurzer erotischer Gedanke an sie! Er konnte das Verlangen nach ihr manchmal fast nicht mehr zügeln. Seit er sich voll und ganz eingestanden hatte, dass er sie liebte und er erfahren hatte, dass sie ebenfalls Gefühle für ihn hegte, war es, wie wenn in seinem Körper auf einmal ein Schalter umgelegt worden wäre. Ein Schalter, der ihn wieder zu einem hormongesteuerten, hypersexuellen 15-Jährigen mutieren liess.
Du bist nichts weiter als ein armseliger Sklave deiner Triebe, ging es ihm durch den Kopf.
Schade. Das Teufelchen (alias innere Stimme) hatte sich leider immer noch nicht verabschiedet. Es würde ihn wohl bis an sein Lebensende nerven.
Worauf du einen lassen kannst. Ausserdem bin ich kein Teufelchen, sondern dein Gewissen, du Blödkopf.
Bellamy fragte sich, ob ein Gewissen wirklich so sarkastisch, schnippisch und angriffslustig sein konnte.
Clarkes Gewissen war bestimmt um Längen besser und höflicher als seins es war.
Da; er war wieder bei der Frau seiner Träume gelandet.
Am schlimmsten war die Ungewissheit, ob es Clarke wohl ähnlich erging wie ihm. Vermisste sie ihn ebenfalls, sehnte sich nach ihm? Hatte sie nachts auch Träume, in denen sie zusammen waren?
Wenn ja, wieso meldete sie sich dann nicht? Sie hätte ihn besuchen können, nach ihm sehen können.
Das hättest du auch tun können. Hast du aber nicht, kam es postwendend von innen.
Und "sein Gewissen" hatte gar nicht so Unrecht. Bellamy hätte jederzeit zu Clarke gehen können. Aber er hatte erwartet - gehofft - sie würde ihn von sich aus kontaktieren und deshalb hatte er zugewartet. Wenn er ehrlich war, war es so etwas wie ein Test.
Er wollte nicht derjenige sein, der ihr dauernd hinterherlief. Er hatte sich gewünscht, dass dieses Mal Clarke die Initiative ergreifen und zu ihm kommen würde.Bellamy klappte das Buch zu, dessen aktuelle Seite er seit geschlagenen 20 Minuten bloss leer angestarrt hatte, und legte den Kopf nach hinten an die Sofalehne. Seufzend rieb er sich die Stirn.
Was sollte er jetzt tun? Seinen Stolz hinunterschlucken und dem Mädchen, das er liebte, doch wieder hinterherrennen? Tat man(n) das? Er wollte auf keinen Fall wie ein verrückter Stalker wirken. Aber wenn er sie nicht sehr bald wieder sehen und mit ihr sprechen konnte, würde er durchdrehen. Er musste etwas gegen diesen verfluchten Entzug tun.
Seine Uhr, die Raven extra für ihn angefertigt hatte, zeigte 20.12 Uhr an. Es war noch früh. Bestimmt war Clarke noch wach.
Bellamy sprang richtiggehend vom Sofa auf, plötzlich kribbelte es in seinen Fingerspitzen und er fühlte sich, als hätte er gerade 10 Tassen Kaffee in sich hineingeschüttet.
Er würde zu ihr gehen. Jetzt gleich!
Bellamy bückte sich und nahm zackig einen seiner Stiefel zur Hand, um ihn anzuziehen. In diesem Moment klopfte es an der Eingangstür.
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Eine zweite Chance (Bellarke FF)
FanfictionDa die Erde unbewohnbar geworden ist, sind Bellamy, Clarke und die anderen Überlebenden gezwungen, 125 Jahre an Bord eines Raumschiffs im Kälteschlaf zu verbringen. Doch endlich erreichen sie einen geeigneten Planeten, auf dem sie Zuflucht finden. I...