44. Austin: Halb lebendig

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Ich öffnete vorsichtig ein Auge. „Ist er weg?"

Jay schreckte hoch und sah mich überrascht an.

„Austin!", hauchte er überrascht.

Ich öffnete auch das zweite Auge und stellte fest, dass ich mit Jay allein war.

„Ich dachte schon, der geht nie mehr", meinte ich schwach lächelnd und gespielt genervt.

„Wie lange bist du schon wach?", fragte Jay mich, ließ meine Hand nicht los.

„Seit ihr über Strapsen geredet habt." Ich sah ihn mit einem missbilligenden Blick an. „Ich meine, jetzt mal ernsthaft: Ich liege hier halb tot und ihr unterhaltet euch über Strapsen und wie sie wohl bei Männern aussehen würden. Ein bisschen mehr Aufmerksamkeit für mich, Tränen und Drama hätte ich schon erwartet"

Ich bekam, was ich verlangt hatte, denn Jays Augen füllten sich mit Tränen, aber nicht vor Trauer, sondern vor Freude.
„Ich hab deine dämlichen Kommentare so vermisst", hauchte er und küsste meine Hand fest.

„Ich hab dich auch vermisst", meinte ich.

Jay lächelte mich an.

Ich wollte mich aufrichten, doch es funktionierte nicht. Ich war noch zu schwach.

Jay bemerkte das und er tat etwas, das ich niemals erwartet hätte. Er ließ meine Hand los, um sein Handgelenk meinem Mund zu führen. „Nimm dir so viel du brauchst, um wieder auf die Beine zu kommen"

Ich drehte den Kopf weg. „Nein, das will ich nicht"

Jay sah mich an, verletzt und auch verwirrt.

Ich seufzte. „Von Lebenden zu trinken ist ganz anders als ein Shake, Jay. Man weiß nie, wann es zu viel ist."

„Wir haben aber kein Blut mehr da. Du hast schon alles bekommen, was noch auf Lager war. Aber ich werde Boris rufen, er soll dir neues besorgen."

Er ließ mich los, um sein Handy zu holen. „Scheiße, Akku leer", fluchte er sofort im Anschluss, suchte hektisch nach einem Ladekabel.

„Jetzt mach mal keinen Stress, Jayjay.", meinte ich und streckte meine Hand leicht nach ihm aus, so weit ich konnte.

Er sah mich an und ergriff meine Hand. „Ich will nur, dass es dir gut geht, Austin"
Das brachte mich zum Lächeln und obwohl ich mich echt halb tot fühlte, fühlte ich mich durch dieses simple Halten seiner Hand auch halb lebendig.

„Was machst du denn überhaupt hier?", wollte ich von ihm wissen.
Er erklärte mir, dass er hier war, seit Boris und die anderen mich stabilisiert hatten und seitdem kaum mehr von meiner Seite gewichen war.

„Hasst du mich etwa nicht mehr?", fragte ich ihn verwirrt.

Er schüttelte schnell den Kopf, drückte meine Hand. „Ich hatte fast einen Nervenzusammenbruch, als Boris mir erzählt hat, dass du im Sterben lagst. Scheiße, Austin, ich liebe dich, okay? Ich war einfach nur so unglaublich sauer, weil du mit meinem Dad... Ich war enttäuscht und wütend. Und ich dachte, dass du mich niemals lieben kannst... ich weiß, dass es nicht richtig war, was ich alles abgezogen habe und es tut mir wahnsinnig leid. Das hier hat mir die Augen geöffnet. Ich kann dich nicht verlieren, Austin."

Er sah mich total verzweifelt an, während mir die Tränen kamen.
„Du liebst mich?"

Er nickte schnell, legte die Hand auf meine Brust, genau da, wo mein Herz für ihn schlug.
„Ich liebe dich mehr als alles andere"

Ich lächelte breit, wollte mich wieder aufrichten, diesmal, um ihn zu küssen, aber wieder gelang es mir nicht.
Frustriert seufzte ich und legte meine Hand auf seine. „Es tut mir leid, was mit deinem Dad passiert ist. Ich war mir so unsicher, was da zwischen uns ist und ich hab dich mit diesem Typen Lachen hören und wurde voll eifersüchtig. Ich hab deinem Dad erzählt, dass ich verliebt bin, aber es kompliziert ist und er dachte wohl, ich meine ihn. Er hat mich geküsst und ich hab mitgemacht. Ich konnte alles Mal ganz kurz vergessen, weißt du? Aber ich hab mich trotzdem mies gefühlt. Nicht nur für Alina oder dich. Auch dein Dad tut mir leid. Er ist ein guter Kerl. Er liebt dich und deine Mum sehr. Und dann komme ich und reiße seine alten Wunden auf. Klar, dass er verwirrt ist. Und auch irgendwie klar, dass er mir verboten hat, sein Haus jemals wieder zu betreten, nachdem du so nett warst, endlich mal die Wahrheit zu sagen" Okay das klang jetzt etwas ironisch, denn das war es.
Er hatte doch gewusst, wie sein Dad reagieren würde...

„Mir ist egal, was mein Dad gesagt oder getan hat. Ich hab mir über so vieles den Kopf zerbrochen die letzte Zeit, aber seit ich dich hier liegen sehe, ist all das nicht mehr wichtig. Nur noch du zählst, Austin. Nur du und ich"

Ich lächelte, ich war glücklich und, als Jay mir diesmal seine Ader anbot, schlug ich es nicht aus.

„Bist du dir sicher?", fragte ich vorsichtshalber.

Er nickte. „Ich will nur, dass es dir gut geht. Und ich vertraue dir" Beim letzten Satz lächelten wir beide, ehe ich sein Handgelenk sanft küsste, mit der Absicht, es schmerzfrei zu machen.

Jay seufzte entspannt, was bewies, dass es Wirkung zeigte.
Dann ließ ich meine Reißzähne hervorstechen und drückte sie in seine Haut. Er hatte keine Schmerzen dabei, als ich ihm das Blut aus den Adern zog und genüsslich schluckte.

Damals, als ich von Boris getrunken hatte, hatte ich mir eingebildet, es sei das beste gewesen, was ich je getrunken hatte, doch das war ein gewaltiger Irrtum gewesen. Jays Blut war wie nur für mich gemacht. Es war perfekt. Genau wie er.

Ich trank nur so viel, bis mein Herz genügend Kraft hatte, richtig zu schlagen und ich meine Kräfte wieder vollkommen spürte, dann leckte ich das Blut weg und verschloss ihm die Wunde.
Als ich zu ihm sah, erkannte ich sein fasziniertes Gesicht, das Lächeln und die großen Augen.

„Du schmeckst verdammt gut", gab ich zu.

Er lachte leicht. „Na so ein Kompliment bekommt man auch nicht alle Tage"

Ich grinste und küsste sein Handgelenk nochmal.

„Ich fühle mich gerade einfach großartig", Er schien etwas verwirrt darüber zu sein.

„Meine Kraft kann auch Schmerzen nehmen", erklärte ich.

Er nickte. „Das weiß ich. Ich meine nicht deshalb. Einfach wegen allem. Ich finde es schön, wieder in deiner Nähe zu sein."

Ich richtete mich auf und setzte mich hin.
Erstmal ließ ich ein paar meiner Gelenke und meinen Rücken durchknacken, atmete dann erleichtert aus, weil alles am richten Platz zu sein schien und verlagerte mich schließlich auf Jays Schoß.

Ich lächelte sein überraschtes Gesicht an, umarmte seinen Nacken und raunte ihm: „Jetzt sind wir uns nahe" zu.

Er grinste, fuhr mit dem Daumen über meinen Mundwinkel und hatte dann Blut darauf. Nachdenklich schob er sich den Finger in den Mund, leckte den Lebenssaft ab.

Er verzog das Gesicht. „Ekelhaft"

Ich strich ihm kichernd durch die Haare. Es fühlte sich so wahnsinnig gut an, ihn wieder anfassen zu können.
„Du hast keine Ahnung, wie lecker du bist", hauchte ich ihm ins Ohr.

Es stellte sich eine Gänsehaut auf seinem Körper auf.
Seine Hand fuhr meinen Oberschenkel auf und ab, die andere hielt mich um den Rücken.

„Willst du dich nicht für das Blut bedanken?", fragte er mich und zog die Augenbrauen hoch, als sei es eine Aufforderung, der ich besser nachkommen sollte.

„Und wie soll ich das tun?" Ahnungslos sah ich ihn an.

Er tat ebenfalls so als würde er nachdenken und meinte dann: „Ein Kuss wäre doch ein guter Anfang"

Und wie es das war.

Only mortal (Boyxboy)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt