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Matteo POV

Einige Tage waren vergangen. Ich habe angefangen, meine Sachen zu packen, denn schon bald würde ich zu den Valentes ziehen und mich um ihre Tochter kümmern. Es ist mir ehrlich gesagt immer noch ein Rätsel, wie sie mich einstellen konnten, ohne das ich jegliche Erfahrungen in diesem Bereich habe. Anscheinend brauch man nicht wirklich Erfahrungen als Pfleger, um ein blindes Mädchen rund um die Uhr zu betreuen. Ihre Tochter... Heute würde ich sie kennenlernen und nach Jahren wiedersehen. Ich hatte mir geschworen, ihr niemals zu verzeihen, was damals war. Kann ich ihr jetzt einfach so in die Augen sehen? 

Vorschichtig klopfe ich an die Tür ihres Krankenzimmers an. "Ja!", ertönt eine Stimme. Es ist die von Monica. Monica und Miguel haben mir doch schon tatsächlich das Du angeboten. Ich war erst wirklich erstaunt darüber, so ist aber alles viel lockerer. "Hallo." Ich schüttele Monica kurz die Hand, bis ich das Mädchen in dem Krankenbett betrachte. Sie ist immer noch so schön wie früher...

Luna POV

"Luna, ich möchte dir jemand vorstellen.", sagt meine Mutter. "Das ist dein neuer Pfleger Matteo." "Hallo.", begrüße ich ihn schüchtern. Schüchtern war ich sonst nie, nein, Schüchternheit war für mich ein Fremdwort. Aber jetzt, seit dem Unfall, ist alles anders. Ich traue mich nicht, neue Leute kennenzulernen, weil ich sie nicht sehen kann. Ich kann nicht einschätzen, wie sie drauf sind, ich konnte das früher immer an ihrer Mimik erkennen. Jetzt sehe ich aber ihr Gesicht nicht und weiß nicht, ob die Person vor mir lächelt, weint oder einfach genervt von mir ist. "Hallo, Luna.", sagt er. "Matteo wird in ein paar Tagen zu uns ziehen, damit er dich rund um die Uhr betreuen kann, da Papá und ich so viel arbeiten müssen.", erklärt meine Mutter. "Ihr könnt euch ja ein bisschen kennenlernen, ich hole mir derweil einen Kaffee aus der Kantine." Ein letzter Kuss auf die Wange und dann war sie fort. Jetzt bin ich alleine mit einem, mir völlig fremden, Mann, der mein Pfleger werden soll, beziehungsweise es schon ist, meine Eltern haben dies, wie immer, völlig alleine entschieden. "Erzähl' mir was von dir, bitte.", fordere ich ihn auf, flüstere dabei schon fast. "Okay... Also, ich bin Matteo Balsano, 19 Jahre alt und ja... Es gibt nichts, was ich so über mich erzählen könnte." "Es gibt immer etwas, was wir über uns erzählen können, zum Beispiel deine Hobbys. Du hast doch bestimmt welche." "Ich skate gerne und komponiere Songs.", sagt er. "Du skatest? Ich auch! Naja, bin geskatet, jetzt geht's ja schlecht." Meine Schüchternheit scheint für einen Moment verflogen zu sein. "Ja, ich skate. Es gibt in Buenos Aires eine Rollschuhbahn, die heißt Jam&Roller. Dort skate ich im Rollerteam und wir bereiten uns gerade auf den interkontinentalen Wettbewerb vor.", erzählt Matteo. Jam&Roller... Rollschuhbahn... Es ist mir so, als würde ich diesen Ort kennen. "Ist irgendetwas? Du schaust nachdenklich." "Ich habe gerade nur an etwas gedacht, ist nicht wichtig..." Dann herrscht Stille. "Kannst du mir erzählen, wie du aussiehst? Dann kann ich mir dich vielleicht in Gedanken vorstellen.", frage ich leise. "Ehm... Natürlich. Ich habe braune Locken, braune Augen und bin relativ groß... Reicht das?" "Ja, ich denke schon.", antworte ich und probiere, mir meinen Gegenüber vorzustellen. Es kommt ein ziemlich schöner Junge dabei heraus, der mir ziemlich bekannt vor kommt. Warum kommt mir so vieles bekannt vor? Habe ich bei dem Unfall ein Teil meines Gedächtnisses verloren? Nein, das kann nicht sein... Ich bilde mir wahrscheinlich nur etwas ein.

"Magst du mir auch etwas von dir erzählen?", fragt Matteo. "Wenn du denn etwas über mich wissen möchtest, natürlich. Also, ich bin Luna Valente, 18 Jahre alt und bin immer gerne geskatet, sonst bin ich ein stink normales Mädchen." "Okay.", quittiert Matteo meine Erzählung. Okay... War es ein normales oder ein gelangweiltes Okay? War es ein enttäuschtes Okay? Dachte er, ich bin aufregender oder was? Oder ist es ein fröhliches Okay? Wenn man blind ist, wiegen die Worte, die man hört, doppelt so schwer. Man muss genau hinhören, um die Emotionen der Person, die spricht, zu erkennen. Findet er mich nun langweilig oder interessant? Ist er fröhlich oder traurig? Diese Fragen werde ich mir noch oft in meinem neuen Leben stellen.      

Nach einer ziemlich langen Zeit, von der ich nicht weiß, wie lang sie war, in der wir beide schweigen, bricht Matteo die Stille. "Weißt du schon, wann du aus dem Krankenhaus raus darfst?", fragt er. "Nein. Ich bin nun seit einer Woche wieder wach und seit bald zwei Wochen hier gefangen. Kein Arzt sagt mir, wann ich hier raus darf.", antworte ich. Vielleicht denken sie alle jetzt, durch meinen Unfall habe ich jetzt eine psychische Störung, weil ich doch tatsächlich drauf bestanden habe, dass ich nur von Ärztinen behandelt werden möchte. Ich habe wirklich Angst davor, ein Arzt könnte mir was tun. Wenn man blind ist, ist es viel schwieriger, Menschen zu vertrauen. Die alte Luna Valente hätte einfach da drüber gestanden und fertig. Aber die neue Luna Valente hat Angst. Auch Angst war früher ein Fremdwort für mich, aber nun beherrscht sie meinen Tag.

"Darfst du aufstehen?", fragt Matteo mich dann. "Ja, aber ich stehe nie auf, wenn ich alleine bin." "Also bist du schon gelaufen?" "Nein, ins Bad wurde ich immer mit dem Rollstuhl gefahren, weil ich Angst..." Ich verstumme schlagartig. Nur weil er mein Pfleger ist, heißt das nicht, dass er wissen muss, dass ich Angst davor habe, zu laufen. Ich habe Angst, ich könnte irgendwo gegen laufen und mich noch schlimmer verletzten als es jetzt schon ist. "Du hast Angst davor, zu laufen, richtig?" Ich erwiedre nichts darauf. "Du brauchst keine Angst zu haben. Und früher oder später wirst du eh laufen müssen." Ich erwiedere wieder nichts darauf. "Wollen wir es zusammen probieren?" "Nein.", antworte ich. "Ich bin doch da, du wirst nirgendwo gegen laufen." "Na gut, aber nur ein paar Schritte!" Ich richte mich in meinem Bett auf und spüre dann schon Matteos Ahnd an meiner. "Ich darf doch?", fragt er. Ich nicke nur stumm. "Na komm, Luna, trau' dich." Langsam stelle ich meine Füße auf dem Boden ab und stelle mich hin. "Komm, und jetzt lauf ein paar Schritte." Anfangs zögere ich, doch dann mache ich einen kleinen Schritt nahc dem anderen. Irgendwann spüre ich, dass Matteos Hand meine los lässt. "Du brauchst keine Angst zu haben, ich bin hier." Angst? Woher weiß er, dass ich gerade kurz Angst hatte? Ist auch egal... Ich laufe noch ein paar Schritte vorwärts, bis ich mich wieder umdrehe mit den Händen voran zu meinem Bett gehe. Als ich es endlich spüre, setze ich mich wieder. "Siehst du, du brauchst keine Angst zu haben." Ich lächle ihn an. Eher lächle ich irgendwo hin, weil ich nicht weiß, wo Matteo gerade ist. Ich lächle das erste Mal seit dem Unfall wieder... "Danke.", sage ich. "Wofür?", fragt er. "Du hast mich zum Lächeln gebracht, niemand hat das nach dem Unfall geschafft." "Dafür bin ich auch da." Ich glaube, er lächelt jetzt auch. Ich sehe es nicht, aber ich spüre es. 

Ich glaube, das ist der Beginn einer Freundschaft.    

(überarbeitet) 

Blindes VertrauenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt