Julien [17]

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Vertrauensfragen

Verwirrt stand ich von der Couch auf, ging in den Aufzug und machte mich auf den Weg in meine Wohnung. Was sollte dieser Kuss? Musste ich den Sinn dahinter verstehen, oder war das nur so nebenbei gewesen? Es erweckte keinesfalls Hoffnungen in mir, im Gegenteil. Dieser ganzen Freundschaft Plus Beziehung traute ich keinen Meter über den Weg, geschweige denn Dimas eigenartigen Stimmungsschwankungen und Launen, die sowieso kein Mensch zu verstehen vermag. Aber je mehr ich versuchte mir einzureden, dass dieser Abschiedskuss nur ein Versehen war, desto schlimmer wurden die Erinnerungen an den letzten Abend und den heutigen Morgen. Dieses verräterische Kuscheln, wie in alten Zeiten und letzte Woche diese komische Situation im Bett... Das konnte doch kein Zufall sein.

Nachdenklich ging ich auf den Balkon und zündete mir eine Zigarette an. Es war angenehm warm in der Sonne, schönes Maiwetter. Der blaue Himmel schien mir jedoch zu grell, die Nachwirkungen des Kokain spürte ich deutlich. Dachte ich deswegen vielleicht so sehr an diese Momente mit Dima? Oder waren diese Überlegungen plausibel? Scheinbar hatte die andere Hälfte dieser Beziehung nicht so viele Probleme. Er nahm sich, was er wollte und wann er es wollte, er bestimmte ganz allein ob er einfach jur Sex oder auch ein wenig mehr als nur F+ wollte. Warum entschied ich das eigentlich nicht einfach mal? Schließlich war ich von Anfang an kein Fan von der Idee. Aber damit ich ihn nicht verliere, musste ich wohl darauf eingehen. Aber schlussendlich wurde 'Freundschaft Plus' zu 'Beziehung Minus', dachte ich verärgert. Dima sollte sich endlich entschieden. Sex und Gefühle, oder  kein Sex und keine Gefühle, dafür eine normale Freundschaft. Als ich in dem Moment auf die glitzernden Gebäude der Stadt sah versprach ich mir, dieser verkorksten zwischenmenschlichen Beziehung ein Ende zu setzten. Natürlich liebte ich ihn immer noch, ganz tief in mir drin auf eine komische Art und Weise, aber die Freundschaft war mir wichtiger. Meine psychische Gesundheit war mir wichtiger.

Ich atmete tief durch, nachdem ich die Zigarette aufgeraucht hatte und ging zurück in die Wohnung. Durch die geöffnete Balkontür ließ ich frische Luft rein während ich schnell duschen ging und genervt seufzend ein paar Tropfen vom Boden wischte, da ich schon wieder Nasenbluten bekam. Meinem Spiegelbild im Flur sagte ich:
»Guck nicht so. Hör lieber auf zu koksen.«
Es antwortete mir nicht, was ein Wunder. Da ich frei hatte und gutes Wetter war, beschloss ich mich endlich Mal wieder meinem Hund zu widmen und zu Cardi zu fahren. Vielleicht würde ich dann auch meinen Kopf frei kriegen, durch die frische Luft und die Sonne, meiner geliebten Mika und ein bisschen Bewegung. Auch wenn ich wieder regelmäßig Sport machte, war ich definitiv zu selten draußen.

In Brooklyn lief ich mit der schneeweißen Hündin ein wenig durch die Straßen bis hin zum Park, in dem wir früher immer spazieren waren. Ich merkte deutlich, dass die Kleine nicht so ausdauernd war wie früher, was wohl traurigerweise an ihrem Alter lag. Sie würde nicht mehr lange durchhalten, ein oder zwei Jahre noch, aber bei ihr zu sein machte mich dennoch unheimlich glücklich. Das Fellknäuel verurteilte mich nicht. Sie freute sich einfach nur mich zu sehen, raffte sich im Park sogar eins-zwei Mal dazu auf, mit mir zu spielen. Später lag ich nur noch unter einem Baum und verwöhnte Mika mit ein paar Streicheleinheiten, bis mein Handy vibrierte.
›Bist du unten?‹ schrieb Dima. Mein Herz begann ein bisschen schneller zu schlagen, nur aus Nervosität. Ich schrieb zurück:
›Bin bei Cardi, komme in einer Stunde zurück. Wir müssen reden.‹
Er war online, schrieb, wieder online. Eine ganze Weile war er einfach nur online. Als dann ein einfaches ›Okay‹ auf dem Bildschirm erschien, lachte ich leise. Vermutlich malte er sich gerade aus, was ich ihm wohl sagen würde.

Schweren Herzens gab ich Mika bei Belcalis ab und versprach ihr, sie bald in meine Wohnung mit zu nehmen, sobald meine hier in Brooklyn wieder frei war. Vielleicht konnte ich Dima ja auch davon überzeugen zurück in seine alte Wohnung zu ziehen. Ich habe in der letzten Zeit vermehrt das Gefühl gehabt, der Prunk und so wäre gar nicht sein Ding. Es interessierte ihn nicht wirklich. Aber seine Haushälterin Bridget war eine gute Entscheidung gewesen. Eine wundervolle Frau, dachte ich. So würde ich mir eine Mutter vorstellen. Fernab von ihren Aufgaben im Haushalt konnte man immer mit ihr sprechen, sie um Rat fragen oder einen Kaffee mit ihr trinken. Oft sind wir schon zusammen einkaufen gegangen. Sie sagte mir einmal, dass sie froh über meine Kochkünste sei, da Dima ziemlich wählerisch und kulinarisch nicht sehr experimentierfreudig war. Aber das, was ich kochte, aß er nahezu ohne Beschwerden. Im Gedanken über das Essen vertieft parkte ich das Auto in der Tiefgarage und fuhr mit dem Aufzug zurück in Dimas Wohnung.

Trouble | [Escape 2] SunDiegoXJuliensblogWo Geschichten leben. Entdecke jetzt