Julien [20.3]

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Seine Augen waren neutral auf die Tür gerichtet, als er sie schloss. Nur langsam drehte er sich zu mir um und fragte:
»Kann ich mich setzten?«
Schwach gab ich ein Nicken von mir. Zu mehr war ich leider nicht in der Lage. Mein Gegenüber setzte sich zu mir ans Bett auf den Stuhl, auf welchem Cardi vorhin noch saß. Seine Augen waren mitfühlend auf mich gerichtet und ich schloss meine eigenen, nur um dann ein paar Sekunden später eine zögerliche Hand auf meiner Stirn und ein paar Sekunden später an meiner Wange zu spüren.
»Du hast Fieber.« stellte er genauso wie Cardi fest. Genervt brummte ich:
»Ja, ich merke es.«
Versöhnlich strichen seine Finger kurz durch mein Haar. Eigentlich war jetzt der Zeitpunkt, an welchem ich ihm von meiner Pflicht erzählen musste. Doch ich wollte diesen Moment nicht zerstören.
»Ich kann verstehen, wenn du nicht reden willst. Du bist krank. Aber du musst wissen, dass ich Angst um dich habe und meine Entscheidung vielleicht ein bisschen zu harsch war.« murmelte er, während er nach meiner Hand griff. Ich öffnete die Augen, sah tief in seine und antwortete:
»Nein, du hattest Recht. Ich habe auf brutalste Weise von dir verlangt, dich für etwas zu entscheiden, was du nicht entscheiden konntest. Ich habe dich so sehr unter Druck gesetzt, dass du viel von deinem Selbstwertgefühl verloren hast. Eine Person wie du sollte sich von einer Person wie mir niemals unterkriegen lassen. Du hast so viel für mich getan. Und ich war undankbar.«
»Du warst ehrlich. Ich habe dich immer wieder für etwas verurteilt, wofür du nichts kannst. Das Vertrauen zwischen uns war weg, du wolltest mir nur zeigen, dass es nicht so schwer ist es wieder aufzubauen.«
»Und dabei habe ich dich gequält. Das ist nicht gerecht. Deine Entscheidung war richtig. Wir sollten nicht zusammen sein. Vielleicht auch nicht als Freunde.«
Dima schwieg erst eine Weile, lachte dann traurig und sagte:
»Toll, und ich war hier um dir zu sagen, dass wir es vielleicht doch versuchen könnten.«

Jetzt hatte ich den Abgrund meiner Laune erreicht. Wenn nicht dieser blöde Vertrag wäre, hätte ich das haben können, wofür ich so lange gekämpft hatte.
»Das geht aber nicht.« antwortete ich ihm mit erzwungener Gleichgültigkeit und traf damit einen sehr Wunden Punkt. Mein Gegenüber schwieg erst eine Weile, schien mit sich selbst darüber zu streiten, ob es sich lohnte seiner Neugier nachzugehen. Letztlich fragte er mich:
»Wieso das auf einmal nicht? Bist du auf dein moralisches Ross aufgestiegen und kommst nicht mehr runter?«
Sein Vergleich war treffend, schoss aber auf das falsche Ziel. Da beschloss ich ihm kurzerhand die Wahrheit zu sagen.
»Ich muss zurück nach Chicago.« sagte ich der weißen Wand. »Deswegen geht es nicht.«
Ich wollte Dimas Reaktion nicht sehen, ich wollte niemanden mehr sehen. Am liebsten wollte ich sterben, wirklich für immer die Leere betreten. Ich hatte keine Kraft mehr um ich selbst zu sein. Die Schmerzen füllten mich aus, das Fieber schwächte mich und die Liebe zu Dima fickte meine Psyche. Eine lange Zeit verging, bis ich mich wieder fangen konnte und mein Gegenüber mit mir sprach.

»Wow. Es gibt Momente in denen ich dich gerne Umarmen und Abstechen möchte, zur gleichen Zeit.«
Er brachte mich kurz zum Grinsen. Wie konnte er es schaffen mich so aus der Fassung zu bringen? Vorsichtig sah ich ihn an. Er wirkte unendlich traurig, aber nicht enttäuscht, obwohl er lächelte und seine Augen glänzten. Dann verstummte sein Lächeln und er stand auf, bewegte sich zum Balkon und öffnete die Tür, um etwas Luft in den Raum zu lassen. Auch wenn es draußen schon kalt war und ebenso dunkel tat es mir unglaublich gut. Die Frische half meinen Gedanken ein wenig mehr auf die Sprünge. Dimitri lehnte sich an den Rahmen und betrachtete nachdenklich den Boden, als ob er die Situation erst wirklich verstehen müsste. Eigentlich hatte ich damit gerechnet, dass er weinte, doch das tat er nicht. Er war wahrscheinlich abgestumpft, was sowas anging.

»Wusstest du, dass du irgendwann Mal zurück musst?«
»Tief im Innern, ja,« gestand ich und schluckte, »aber ich habe es verdrängt weil die Chance so gering war.«
In meinem Hals bildete sich ein Kloß, den ich nicht mehr los wurde. Reiß dich zusammen, dachte ich, du kannst daran nichts ändern. Dima schwieg und ich zischte verbittert über mich selbst:
»Und ich bin trotzdem zurück in dein Leben getreten. Ich wusste genau, dass wir uns wieder verlieben würden und dass das alles hier so endet, ich wusste über die Gefahren bescheid und die Risiken, über jeden erdenklichen Fall, über deine Gefühle und...«
»Halt die Klappe.« unterbrach er mich mahnend. »Glaubst du, ich weiß das alles nicht?«
Verblüfft blieb mir die Sprache weg. Was war los mit ihm? Wo ist der Dima, der einen Heulkrampf kriegen würde? Der, der mich anschreien und psychisch ausweiden würde? Ich verstand ihn, wie so oft in der letzten Zeit, überhaupt nicht mehr. Ein wenig bestürzt richtete ich mich auf und fragte ihn:
»Und du willst mich nicht anschreien oder gegen irgendwelche Wände schubsen? Mich verurteilen, bloßstellen, ignorieren... Aber nicht so sein.«
»Das sollte ich,« murmelte er, »oh ja, das sollte ich alles tun. Ich sollte dir wehtun. Dafür, dass du mich schon wieder sitzen lässt und ich schon wieder ohne dich klar kommen muss.«
Er schloss die Tür.
»Ich muss schon wieder von neu anfangen, muss mir diese scheiß Gefühle abgewöhnen, versuchen dich zu vergessen, Felix Flirtversuche blocken, Cardi trösten, Rebekah davon abhalten mich zu trösten, Mika versorgen und Antidepressiva schlucken, damit ich nicht vom Penthouse springe.«
Seufzend kam er zu mir ans Bett.
»Ich muss mich zwingen, dich nicht zu suchen, muss Alim alles erklären, muss kochen lernen, dein Essen vermissen, muss versuchen jemanden zu finden, der deinen Humor hat und nebenbei noch irgenwie arbeiten. Und das alles macht mir wahnsinnig Angst.«
Ich war überrascht über seine Ehrlichkeit. Er konnte schon immer besser mit Worten umgehen als ich. Seine Augen waren beinahe liebevoll auf mich gerichtet und ich fühlte mich gleichzeitig extrem wohl und unwohl.

Trouble | [Escape 2] SunDiegoXJuliensblogWo Geschichten leben. Entdecke jetzt