Julien [1]

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Willkommen in New York

Meine Welt drehte sich erst wieder weiter, als Max mir auf dem schäbigen Balkon des Treffpunktes mitteilte, dass mein Flug bereits gebucht und für meine Ankunft in Manhattan alles vorbereitet war. In meinen Gedanken hatte ich schon meinen Koffer gepackt und mich von meinem Leben in Chicago getrennt, doch so einfach lief das anscheinend nicht. Generell lief in meinem Leben nie etwas einfach.

Vor zwei Jahren wurde ich gezwungen, mich mit diesem mittelmäßigen Viertel der Innenstadt anzufreunden und mich noch dazu bei meiner Aufseherin zu melden, mindestens zwei Mal pro Woche. Manchmal wurde mir bei dem Gedanken an ihre weißen Haare und fahlen Gesichtszügen übel, wobei ihre Kleidungswahl das allerschlimmste war. Ich erinnerte mich noch zu gut daran. Während mein Kopf an einem Samstag Abend bis oben hin mit Koks zugedröhnt war, fingen die grünen Punkte auf ihrem blauen Kleid an zu tanzen. Übergeben hatte ich mich letztendlich wirklich davon, wenn auch ohne ihr Wissen darüber.

Es wäre untertrieben zu behaupten, ich fühlte mich zu der Zeit eingesperrt und unterdrückt, denn jeder Atemzug der letzten Monate fühlte sich wie eine verrußte Qual in meinen Lungen an. Max meinte, dass läge nur an der Schachtel Zigaretten, die ich durchschnittlich am Tag versengte und dem ihr nicht bekannten Konsum illegaler Drogen, womit sie im Endeffekt sogar Recht haben könnte. Ich erklärte ihr oft, wie schwer es ist am Leben zu bleiben, wenn man sich an einem Ort nicht zugehörig fühlt. Ein paar Tage nach meiner Ankunft in Chicago, habe ich mir schon einen ausgefeilten Plan zur Flucht aus dieser grauenhaften Stadt erträumt, wobei das LSD mir einige Türen geöffnet hatte, die mir in der realen Welt wohl eher verschlossen blieben. Mir wurden nicht einmal genügend Freiheiten gelassen, um mein ganzes Geld, innerhalb von mehreren Monaten, für Drogen, Tattoos und Alkohol auszugeben, nur um mich davon abzulenken, dass ich mein Zuhause vielleicht nie wieder sehen würde. Deswegen ging ich so ziemlich jeden Tag zum Boxtraining und vergaß für ganze zwei Stunden mein Leid und die Angst, die mich plagte.

Viele Menschen versuchten mir immer wieder zu erzählen, dass es einfacher werden würde. Ich müsse mich nur daran gewöhnen und es wirklich wollen, sagten sie. Aber egal wie sehr ich es auch versuchte, die herzlosen Fassaden und die dem Trott verfallenen Leute, konnte ich niemals akzeptieren, denn mein Herz war an das immer währende Leben einer normalen Großstadt gewöhnt. Alles, was hier völlig drunter und drüber ging, ist das Wetter und der Wind. Wenn ich wenigstens in einem Harlem-ähnlichen Viertel untergebracht worden wäre, könnte man mich sicherlich nicht mehr vor Action retten, denn Chicago ist so ziemlich die gefährlichste Stadt in den ganzen Staaten, während ich als unschuldiger, gutherziger Bürger eine Droge nach der nächsten rauchte oder schluckte. Abgeschottet von dem Rest der Menschheit und von jedem, den ich je gekannt habe. Eine neue Identität überdeckte mein neues Leben wie ein Dach, während Max darauf achtete, dass es nicht einstürzte.

Nun saß ich in einem riesigen Flugzeug, welches auf dem Weg von Chicago zum JFK-Airport war. Es war alles dunkel, da wir mitten in der Nacht den Osten überquerten und in einer Stunde den seeligen Boden meiner Kindheit erreichen sollten. Während alle schliefen und von einem kurzen Ausflug in die größte Stadt Amerikas träumten, konnte ich meinen Körper und meinen Geist einfach nicht zur Ruhe bringen. Die Stewardess kam zwei Mal vorbei um mich mit Kaffee zu versorgen, bis ich noch ein Croissant mit dazu bestellte. Sie fragte sich wahrscheinlich, warum ich um vier Uhr nachts gerne etwas essen und nicht schlafen möchte, doch sicherlich würde sie nicht verstehen, dass ich gerade ein Szenario durchlebte, auf welches ich Monate lang gewartet hatte. Nicht eine einzige Sache vermisste ich an der eintönigen Stadt der Kälte und Folter, während mein Baby, mein Zuhause direkt vor mir lag.

Trouble | [Escape 2] SunDiegoXJuliensblogWo Geschichten leben. Entdecke jetzt