Dima [6.2]

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Seit der Ansprache redeten Felix und ich kein Wort miteinander, was mir so weh tat, dass ich viel weniger trank als gewohnt. Nur ein Glas Jacky Cola hier und da, ungewohnt fromm gemischt, über viele Stunden verteilt. Nach diesen paar Stunden ging ich auf den Balkon um zu rauchen, doch Tabak ohne Dope schmeckte einfach nur Scheiße. Alles war Scheiße. Selbst der Alkohol schmeckte Scheiße. Es war kühl, ich musste die Sweatjacke näher an mich drücken. In der Nacht hörte ich viele Geräusche, von fern zum Beispiel einen Krankenwagen oder Polizeisirenen, von nahem einen bellenden Hund. So friedlich und doch gefährlich. Die Stadt, die niemals schläft.

Ich hörte, wie sich die Tür hinter mir öffnete und Alim mich darüber informierte, dass Julien auf der Suche nach mir sei.
»Dann soll er herkommen.« entschied ich und bließ den Rauch in die Luft, der kurz vor mir herum schwirrte und dann langsam verblasste.
»Du solltest wirklich zu ihm gehen, Bruder. Es geht bestimmt um was wichtiges.«
»Nein, geht es nicht. Sonst hätte ich davon gewusst.«
Julien wollte Salz in die Wunde streuen, die Felix mir verpasst hatte, seinen Triumph auskosten oder irgendwas fieses tun, was er immer tat. Alim schwieg, lehnte sich neben mich gegen das eiskalte Geländer und seufzte. Mittlerweile sollte er wohl schwierige Menschen gewohnt sein, als Polizist. Trotzdem wusste auch er manchmal nicht weiter. Manchmal war ich ein wenig wütend auf ihn gewesen, weil er die außerordentliche Gabe hatte Menschen zu lesen uns ihnen direkt anzusehen, was ihnen auf dem Herzen liegt. Das machte er ständig, jede Sekunde. Er wusste eher was mit mir los war, als ich es tat. Seine grünen Augen musterten mich kurz, bevor er sagte:
»Es ist kalt hier draußen. Wollen wir nicht reingehen?«
»Nein. Wollen wir nicht.«
Er lachte leise. Ich benahm mich wie ein kleines Kind, lief vor meinen Problemen davon wie ein Feigling. Aber es war mir egal.

»Was hat er dir eigentlich so schlimmes getan? Ich weiß, du redest nicht gerne darüber, aber ich kann dir nicht helfen, wenn du mir nichts erzählst. Schon oft habe ich dich danach gefragt, Dima. Sehr oft.« erklärte er und sah mich wieder von der Seite an, als hätte ich ein Verbrechen begangen, für das er mich verhaften sollte. Ich brummte:
»Tu nicht so, als hättest du meine Akte noch nie gesehen. Ich kenne dich, man.«
»Ja, die Fakten kenne ich. Wie du dich dabei fühlst oder welche Beziehung du zu Julien hast, kann ich nur erraten. Ihr seid zusammen aufgewachsen, habt zusammen schreckliche Dinge erlebt, aber eine Trennung ist keine Polizeiangelegenheit.«
»Wir hatten eine Beziehung und er ist abgehauen, okay? Nichts dramatisches.«
»Nichts dramatisches? Was zum Teufel ist los mit dir? Du drehst völlig durch, man! Das kann nur an Julien liegen!« fauchte er zwar ruhig, aber dennoch aggressiv, wofür einen äußerst tötlichen Blick kassierte. Nur mit Mühe konnte ich mich davor bewahren diese grünen Augen zu beleidigen, bis eine leise Stimme in meinem Hinterkopf mir sagte, dass er eigentlich Recht hatte. Natürlich war ich nicht so launisch bevor Julien zurück gekommen war, aber ich konnte einfach nichts dagegen machen. Wahrheitsgemäß antwortete ich:
»Die ganze Sache stresst mich. Ich will Julien nicht hier haben, verstehst du? Und Felix labert mich auch nurnoch voll. Ich will nur meine Ruhe, ist das zu viel verlangt?«

»Nein,« antwortete Alim, »aber du solltest mit den Menschen darüber reden. Ich kenne Julien nicht, aber wenn du ihm ehrlich sagst, dass du keinen Kontakt mehr willst, würde er sicherlich gehen. Schließlich respektiert er dich doch, oder nicht?«
»Vermutlich eher nicht.« murmelte ich nur nachdenklich. Alim lehnte sich weiter nach vorne und fragte:
»Oder willst du ihn doch hier haben?«
Was sollte ich darauf antworten?
»Alim, dieser Mensch hat mich extrem verletzt. Und er will mir nichtmal sagen, wieso er das getan hat. Ich glaube nicht, dass ich ihn wirklich in meiner Nähe will.« erklärte ich so offen wie möglich, obwohl mir das schon ein wenig komisch vor kam. Hatte ich wohl doch so viel getrunken, dass ich sentimental wurde? Alim wurde auf jeden Fall unruhig und verflucht ehrlich, wenn er trank.
»Was bist du für eine Muschi geworden? Dieser Mensch hat mich extrem verletzt, mimimi... Wo ist der Dima, den ich kenne? Hat diese Lusche ihn verschluckt?« fragte er entrüstet und tippte mir auf die Brust. Er hatte Recht. Dennoch sagte ich:
»Das ist nicht witzig, alter. Ich hab ihn geliebt wie sonst was und hätte jeden scheiß für ihn gemacht. Und er lässt mich sitzen! Dann wärst du auch sauer, glaub mir.«
»Ja, aber nach zwei Jahren, zu viel Selbstmitleid und einer Menge rumgeheule wäre ich schon darüber hinweg. Und du?« fragte er rhetorisch.
»Ach, fick dich doch einfach.«
»Siehst du? So bist du nicht. Wenn du Felix nicht mehr liebst, mach Schluss. Wenn du ihn nicht mehr willst, mach Schluss. Wenn du Julien willst, nimm ihn dir. Wenn du Julien nicht willst, schieb ihn ab.«
»Aber ich kann ihm nicht vertrauen! Woher soll ich wissen -«
»Und was ist, wenn er es dir nicht erklären darf? Was würdest du dann tun?«
Ich sagte leise:
»Ich hatte ihm mal so stark vertraut, dass ich ihm wohl verziehen hätte. Aber das geht nicht mehr. Ich kenne ihn nicht mehr.«
»Aber ist das nicht auch gut für einen Neuanfang auf freundschaftlicher Ebene? Wenn er sich so stark verändert hat, kannst du ihn ja neu kennenlernen.«
Verwundert sah ich ihn an. So hatte ich das ganze noch garnicht betrachtet. Und dennoch äußerte ich meine Bedenken:
»Ich schätze, dass eine Freundschaft nicht lange halten würde. Ich weiß ja, dass er noch was für mich empfindet.«
»Woher?«
»Keine Ahnung. Sein Blick vielleicht. Ich weiß es einfach. Aber ich kann mich auch täuschen, vielleicht guckt er seit neuestem immer so.«

Trouble | [Escape 2] SunDiegoXJuliensblogWo Geschichten leben. Entdecke jetzt