Julien [9.3]

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Einsam wie ein Grashalm im Winter stand ich nun in der ebenso verlassenen Wohnung und wusste auf einen Schlag nicht mehr wohin mit mir. Mein Schädel dröhnte wie verrückt. Ganz leise konnte ich nur das Brummen des Aufzugs und meinen eigenen Atem hören. Das war alles wirklich zu viel für mich. Ich konnte diese vielen verschiedenen Gefühle in mir nicht mehr ordnen.

Unzufrieden ließ ich meinen pochenden Kopf in meine Hände sinken und sog für einen Moment nur den Geruch von Desinfektionsmittel und metallischem Blut ein, bevor ich meine Schultern raffte um die eiserne Last von ihnen zu lösen. Auf dem Boden sah ich noch das Kissen, worauf ich gelegen hatte. Meine Schulter tat nicht weh. Es hatte seinen Zweck erfüllt.
›Er muss es mir untergeschoben haben‹  dachte ich und hob es vom Boden auf, fürchterlich langsam, wie ein Zombie. Mit einer Dusche würde das Gefühl vielleicht verschwinden, nur bewegen wollte ich mich nicht mehr als nötig. Irgendwas stimmte nicht. Ich musste dringend ins Krankenhaus.

Eine Stimme in meinem Kopf rief: »Geh hoch, sag ihm, dass er dich fahren soll und lass ihn so seine Schuld begleichen.«
Es war jedoch keine gute Idee auch nur ein Wort mit Dima zu wechseln. Er lag sicherlich oben, schrie rum oder weinte sich die braunen Rehaugen aus dem Kopf, während ich hier stand und absolut nichts tat. War ich traurig? Gute Frage. Ich bereute mit ihm gestritten zu haben und hoffte, dass sich das irgendwie wieder klären würde. Außerdem hasste ich das Gefühl ihn verletzt zu haben, auch wenn er es bei mir ebenso tat. Seine Trennung von Felix tat mir leid für beide, obwohl mich das schleichende Gefühl überkam, dass ich weder unschuldig daran noch unglücklich darüber war.

Aber Dima war stark genug um dem nicht Ewig nach zu trauern. Er hatte es auch geschafft über mich hinweg zu kommen, so wird es auch bei Felix sein. Ein paar Tage würde ich mir noch anhören dürfen, was für ein Arschloch ich bin, dann reden die beiden wieder normal miteinander und alles sollte vergessen sein. Zumindest stellte ich mir das so vor. Aber ich verstand, dass Dima sich vielleicht eine Zukunft mit ihm aufbauen wollte und ihm diese Beziehung sehr ernst gewesen war. Deshalb war er wohl so wütend auf mich, weil ich ihm ein zweites Mal die Chance genommen hatte, mit jemandem glücklich zu werden. Nach dem Gedanken war ich wirklich traurig und fühlte mich zudem noch unendlich schuldig.

Wenn ich mich damals geweigert hätte Brasilien zu verlassen, könnte ich ihm das vielleicht schon geboten haben. Eine Zukunft. So, wie es alle Menschen verdient haben. Resigniert ließ ich mich in den großen Sessel fallen, auf dem Dima vorhin noch saß. Plötzlich konnte ich es klar und deutlich riechen: Sein Parfum. Wurde ich verrückt? Ich lehnte mich vor, schloss die Augen und sog den Duft noch einmal ein. Ich hatte mich nicht getäuscht. Die kleine Diva hatte sich wohl so eingenebelt, dass ich es immernoch riechen konnte. ›Oder‹, dachte ich, ›ich habe ein Gespür für sowas.‹
Es roch nach ihm. Nach Zuhause. Als wäre ich vor zwei Jahren ins Bad gegangen, nachdem er geduscht hatte.
»Das ist Irre.« ermahnte ich mich selbst, gut hörbar, sodass ich es auch selbst verstand.

Auf dem Tisch konnte ich mein Handy sehen und griff danach, als die Kopfschmerzen unerträglich wurden, ebenso wie das Parfüm, was mir den Verstand raubte. Ich rief Belcalis an, in der Hoffnung, sie müsse nicht arbeiten. Das musste sie auch tatsächlich nicht und bot sofort an mich zu fahren, was mir natürlich ziemlich passte. Wenn ich in dem Zustand selbst fahren würde, wäre der öffentliche Verkehr nicht mehr sicher. Eine gute Stunde später saß ich also bei meiner besten Freundin im Auto und durfte mir anhören, wie verantwortungslos es war, sie nicht direkt angerufen zu haben.
»Kopfverletzungen sind gefährlich, Julien! Was hast du dir nur dabei gedacht?«
»Ich bin kein Kleinkind, Belcalis.« murrte ich und lehnte meinen Kopf vorsichtig an die harte Stütze.

»Wie ist das überhaupt passiert?« fragte sie nach einiger Zeit irritiert und wirkte noch misstrauischer, als ich darüber schwieg.
Belustigt hörte ich sie sagen:
»Du bist doch nicht rückwärts gegen eine Wand gelaufen?«
»Nein,« brummte ich, »bin ich nicht.«
»Hast du angefangen deinen Schädel als Vorschlaghammer zu benutzen?«
Ich schüttelte kaum merklich den Kopf.
»Ist Dima runter gekommen und hat die eine Glasflasche über den Kopf gezogen?«
Ich seufzte nur genervt, da ich nicht wirklich angetan von ihrem anstrengenden Humor war. Dann meinte ich leise:
»Ich bin ausgerutscht und gegen die Tür geknallt. Verstanden?«
»Du lügst.« stellte sie fest. Wie konnte ich auch davon ausgehen, dass sie mir das glaubte?

Trouble | [Escape 2] SunDiegoXJuliensblogWo Geschichten leben. Entdecke jetzt