Dr. med. Dipl.-Psych. Christoph Smith
Das silberne Schildchen glänzt in der Sonne. Auf mich wirkte es so, als würde es böse grinsen. So, als wollte es mich verschlingen. Ich will da nicht rein. Ich will das nicht aufarbeiten, weil es nichts gibt, was man aufarbeiten könnte. Ich hab die Erinnerung an den Unfall zurück. Cool, wollte ich nicht, aber egal. Mich fragt ja niemand. Doktor Teller's: „Ich empfehle dir einen Psychologen aufzusuchen“ klang eher wie ein „Ich befehle dir einen Psychologen aufzusuchen."
Und jetzt stehe ich vor dieser Türe. Meine Mom hat mich hergefahren, mich hier alleine gelassen. Am liebsten würde ich wegrennen, einfach gehen. Mich verkriechen in meinem Loch. Und doch drücke ich die Tür auf, werde gleich zu Doktor Smith geschickt. Ich will nicht. Ich hab keine Chance. Das hysterische Lachen, das sich auf meine Lippen schleicht, lässt sich gerade noch unterdrücken.
„Frau Fenrich?“ Ich nicke, lasse mir die Hand schütteln. Was soll ich hier? Ich bin kein Psycho.
„Ich bin Doktor Smith. Christoph, wenn Sie wollen." Ich nicke einfach, setze mich auf den Stuhl ihm gegenüber. Ich werde das hier boykottieren. Ich will hier nicht sein, also wehre ich mich. Gegen den Dok, gegen die Angst. Welche Angst? Keine Ahnung. Die Angst, die mich verfolgt, die mich in meinen Träumen heimsucht, in Form von zwei auf mich zuhaltenden Lichtern auf einer menschenleeren Straße. Die Angst, die mich jede Nacht schweißnass und schreiend hochfahren lässt. Die dafür sorgt, dass ich nicht mehr richtig schlafen kann.
„Warum sind Sie hier?“ Ich sehe auf. Der Dok sieht mich ernst an. Über den Rand seiner Brille.
„Weil ich gezwungen werde." Meine Stimme klingt emotionslos. Und in mir... in mir kocht alles. Nicht vor Wut, aber die Angst... sie ist allgegenwärtig. Die Angst vor Autos, vor glatten Straßen, die Angst unaufmerksam zu sein. Sie ist da. Sie war nie da. Und jetzt. Wie ein Parasit.
„Falsch. Weil sie Hilfe brauchen." Er schenkt mir ein halbes Lächeln.
„Glauben Sie das?“ Meine kalte, egoistische, arrogante Seite ist in den letzten Tagen enorm gewachsen.
„Nicht nur ich. Wie wär's? Fangen wir mit etwas einfachen an. Ich werde Ihnen Namen aufzählen und sie werden mir den ersten Begriff – ob emotional verankert oder ein einfach Nomen – zu dem nennen, der Ihnen einfällt. Einverstanden?“ Ich nicke. Mir bleibt eh nichts anderes übrig. „Gut gut... Also, es geht los. Ines."
„Mama." Er nickt, macht sich eine Notiz.
„Maria."
„Zwerg." Es geht weiter und weiter und er nennt immer mehr Namen, auch welche, die ich überhaupt nicht kenne. Wer ist Resa? Oder Mirco? Bis:
„Niall." Ich denke nicht nach, ich sage einfach, was mir auf der Zunge liegt:
„Schatz." Reiße die Augen auf und schüttele den Kopf. Der Stift auf dem Blatt ist stehen geblieben.
„Das müssen Sie mir jetzt genauer erklären." Seine Augenbrauen sind zusammengeschoben und er mustert mich ernst.
„Ich... Also... Keine Ahnung." Ich zucke mit den Schultern, ärgere mich ein wenig über meine einfallsreiche Antwort. Warum sag ich auch sowas? Das stimmt nicht mehr, das ist nicht mehr so.
„Okay... Gut, dann bitte ich Sie, mir von Ihrem Unfall zu berichten." Er beugt sich vor, hat das Klemmbrett weggelegt.
„Also... ich saß im Auto...“, fange ich an, werde aber sofort wieder unterbrochen.
„Was für ein Auto? Wissen Sie die Marke noch?“ Bitte was? Warum will er denn das jetzt wissen?
„Ist das relevant?“ Er nickt.
„Ich möchte herausfinden, ob das wirklich eine Erinnerung war oder eine Art Déjà-Vu, eine schlimme Vorahnung, die aber nicht detailliert war." Ich seufze. Welches Modell? Welche Marke? Ich schließe die Augen, versuche mir die wesentlichen Merkmale ins Gedächtnis zu rufen.
„Blau. Metallic-Blau. Weil Niall fand, die Farbe würde zum Auto passen. Es war... Wir wollten keine Bonzenkarre." Ich stoppe. Das Kritzeln des Stiftes ebenfalls.
„Niall war der Meinung...“, fängt er an und erst jetzt wird mir bewusst, was ich da überhaupt von mir gegeben hab.
„Woher wussten Sie das?“ Unter seinem Blick werde ich immer kleiner.
„Ich... Ich weiß es nicht. Ich wusste es einfach. So wie ich weiß, dass Minus mal Minus Plus ergibtch zucke mit den Schultern, atme tief durch. Und bemerke den Unterschied: Früher waren Erinnerungen wie ein Schub Glücksgefühle... und jetzt... nichts. Es ist nichts besonderes. Vielleicht will ich meine Erinnerungen auch gar nicht mehr zurück, aus Angst. Ich hab Niall verloren, ich hab ihn weggeschickt. Ich hab Angst vor den Erinnerungen an Niall's und meine Beziehung. Ich hab Angst, dass ich ihn dann zurückwill und er mich nicht mehr will. Oder? Oder? Ich weiß es nicht.„
Okay. Erzählen Sie weiter."
„Okay... Also ich saß im Auto, hab Musik gehört -“
„Welches Lied?“ Wozu hat der eigentlich seinen Notizblock? Da kann man sich Fragen aufschreiben und im Nachhinein stellen... aber nein.
„On top of the World von Imagine Dragons." Ich hab die Melodie im Kopf, höre mich selbst mitsummen. Ich muss mir eingestehen, dass die Sitzung beim Psychodoktor gar nicht so schlimm ist wie angenommen. „Auf jeden Fall hab ich Musik gehört und hatte das Navi laufe und hab dann beschlossen, ich mach es jetzt aus, weil ich den Weg doch eh weiß. Und da irgendwie... Ist mir ein blöder Konzentrationsfehler unterlaufen und die Straße war glatt und irgendwie ist mir das Auto ausgekommen und das letzte, was ich weiß, ist eigentlich nur ein stechender Schmerz, der sich durch meinen ganzen Körper zieht." Ich zucke mit den Schultern, sehe von meinen Händen auf zu Doktor Braun, der eifrig auf seinem Notizblock kritzelt.
„Okay... Und das nächste, was Sie wissen, ist wie Sie im Krankenhaus zu sich gekommen sind?“ Ich nicke. „Das ist gut, sehr gut. Ich entlasse Sie mit einer kleinen Aufgabe: Besuchen Sie Orte, von denen man Ihnen gesagt hat, dass Sie dort früher gerne waren, konzentrieren Sie sich auf die Geräusche und versuchen Sie, irgendetwas zu finden, ob Erinnerungen oder Déjà-Vus, egal. Probieren Sie es und geben Sie nicht sofort auf. Das wird. Bis zum nächsten Mal." Ich schüttele ihm die Hand, verlasse den Behandlungsraum.
An der Rezeption mache ich einen neuen Termin aus, werde freundlich verabschiedet und steige vor der Praxis in das Auto meiner Mom. Selbst fahren werde ich wohl nie wieder. Ich kann das einfach nicht mehr, nicht nachdem, was alles passieren ist. Aber selbst der Gedanke kann mir meine – seltsamerweise – vorhandene gute Laune jetzt nicht zerstören. Der nächste Satz meiner Mom allerdings schon.
„Niall kommt zu Marias Geburtstag."
Und der ist in nicht mal zwei Wochen.
*****
Danke für's Lesen :) Schaffen wir die 1k Reads?! O.o Das wäre unglaublich :D
Dad Kapitel wird an @5__Direction gewidmet :)
Bis zum nächsten Mal, ihr Süßen :*

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Frozen
Fiksi PenggemarAls Jocelyn aufwacht, weiß sie nicht mal mehr ihren Namen. Sie weiß nicht, wo sie ist. Sie weiß nicht, wie ihr Leben abgelaufen ist. Das Einzige, an das sie sich erinnert, ist ein lauter Knall und dann Schwärze. Nichts als Schwärze. Sie weiß nicht...