11. Kapitel: Far away

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„Ist sie bei dir?" Niall's Stimme reißt mich so abrupt aus dem Schlaf, dass ich erst glaube, die Stimme kommt aus meinem Traum.

„Das werde ich dir nicht sagen". Liam. Niall muss hier sein. Ich liege in einem der Gästezimmer, starre die hellblaue angemalte Decke an. Gut geschlafen hab ich nicht, einfach weil ich mich schon so dran gewohnt habe, dass jemand neben mir liegt, wenn ich einschlafe, dass jemand neben mir atmet, dass ich anders gar nicht schlafen kann.„Leyum bitte...". Leyum?! Er klingt verzweifelt. Ängstlich.

„Nein". Vorsichtig stehe ich auf, öffne meine Tür einen Spalt breit, so dass ich auf den Gang und Niall sehen kann. Er steht mit dem Rücken zu mir, gestikuliert wild mit den Händen. Kann er nicht einfach gehen? Kann er nicht einfach mal meine Entscheidung akzeptieren? Nein. Eben nicht. Weil er stur ist. Er ist ein verdammt sturer Mensch und das nervt mich wie nochmal was.

Wie konnte ich nur mit so jemandem zusammen sein?! Ich habe ihn geliebt. Vielleicht war ich blind vor Liebe, vielleicht war er auch nicht so.

„Ich sage dir, wenn sie das will und sie will nicht". Liam wirft einen Blick in meine Richtung, deutet mir die Tür wieder zu zu machen, aber das tue ich nicht. Ich will das jetzt hören. Ich will wissen, was Niall zu seiner Verteidigung zu sagen hat.

„Liam.. Du kannst mir doch nicht verbieten, meine Freundin zu sehen". Und da ist es wieder. Ich bin immer noch seine Freundin, aber er ist nicht mehr mein Freund. Ich liebe ihn nicht mehr, ich will und brauche den Abstand. Ich komme mit mir selber nicht mehr klar, wenn er die ganze Zeit um mich herumschleicht und versucht, mir alles recht zu machen, aber das nicht kann, weil er immer nur das alte Ich vor Augen hat. Er sollte einfach so tun, als wäre ich ein neuer Mensch. Er sollte von neu anfangen, so wie ich es tue, aber das macht er nicht. Das kapiert er nicht.

„Sie ist nicht mehr deine Freundin. Sie lebt bei dir, aber mehr ist sie nicht. Lass ihr doch endlich die Zeit, die sie braucht, dass du das nicht kapierst. Du bist dumm, Niall". Liam tippt ihn auf die Brust und ich höre ihn erschrocken einatmen. „Und wenn du willst, dass alles wie früher wird, dann du hast Pech! Du kannst höchstens neu anfangen, sie auf ein erstes Date einladen, ihr die Stadt zeigen, ihr ihr altes Leben." Und mit diesen Worten schiebt Liam ihn an mir vorbei Richtung Haustür.

*

Ja. Er hat recht. Er - wir - müssen von Neu anfangen. Aber davor werde ich erstmal nach Brighton zu meiner Familie fahren. Mich selbst und sie wieder kennenlernen. Das sollte der erste Schritt sein. Und in Brighton bin ich ja anscheinend groß geworden, vielleicht kommen da mehr Erinnerungen wieder. Weil ich mich dort auskennen sollte. Die Haustür schlägt hinter ihm zu und endlich wage ich mich aus meinem Versteck. Es tut weh, ihn so niedergeschlagen zu sehen, so hilflos. Aber anders kapiert er es nicht.

„Danke", murmele ich und werde sofort von Liam in den Arm genommen.

„Ich verstehe, wie schwer es ist für dich ist...Weißt du, was du jetzt machen wirst?". Vorsichtig nicke ich. Ja. Ich habe einen Plan. Aber dafür muss ich nochmal bei ihm vorbei schauen... Müsste ich sowieso, ich muss es ihm erklären. Ihm sagen, dass ich das nicht kann. Dieses Zusammenleben. Ich ertrage seine Blicke nicht, seine Berührungen. Nicht, weil ich ihn nicht liebe. Sondern weil er mit mir niemals jemand anderen kennenlernen kann. Jemanden, der besser zu ihm passt als ich es tue. Jemanden, der ihn liebt.

„Okay... Was für ein Plan?" Liam bugsiert mich ins Esszimmer, das genauso hell eingerichtet ist wie mein Gästezimmer und drückt mich auf einen Stuhl.

„Ich... Ich werde nach Hause gehen. Zeit mit meiner Familie verbringen, versuchen, mich selbst zu finden. Vielleicht kommen da meine Erinnerungen zurück. Ich mein, ich bin da aufgewachsen... Und kenn mich da viel besser aus als hier und das mit Niall, das wird mir alles zu viel. Ich kann das einfach nicht, Liam..." Ich spüre, wie mir Tränen in die Augen steigen und ich beiße mir auf die Lippe. Ich will nicht weinen. Ich tue das in letzter Zeit viel zu oft. Weil mich diese ganze Situation kaputt macht.

„Du musst dich nicht rechtfertigen... Ich verstehe...". Vorsichtig legt er mir eine Hand auf die Schulter, lächelt mich leicht an. „Aber jetzt du musst essen". Und mit diesen Worten reicht er mir einen Teller voller Obst und einem Brot. Aber ich muss vor allem eins: Wieder ein strukturiertes Leben bekommen.

*

„Ich warte besser hier", murmelt Liam und wirft mir noch einen aufmunternden Blick zu. Ja. Vielleicht besser. Und für mich geht es jetzt in die Höhle des Löwen. Zu Niall. Zu meinem Freund oder was auch immer er ist. Und genau das werde ich jetzt klar stellen, gleichzeitig meine Sachen packen, mir meine Geheimnummer für mein Konto sagen lassen und dann mit dem Zug nach Brighton fahren. Unterwegs werde ich meine Mutter benachrichtigen, dass sie mich abholen kommt. Maria wird sich bestimmt freuen. Und Niall... Ja... das werde ich sehen.

„Viel Glück", flüstert er noch, bevor ich aussteige und die Tür hinter mir zu schlage. Der Weg bis zur Haustür kommt mir vor wie ein Gang nach Canossa, wie der Weg zur Hinrichtung. Ich weiß nicht, wie Niall reagieren wird. Auf alles. Angefangen bei meiner Rückkehr aufgehört bei meinem Weggang. Vor der Haustüre bleibe ich stehen, versuche einfach mich irgendwie zu beruhigen. Er wird mich schon nicht umbringen. Er wird mich nur nicht wieder gehen lassen. Er muss. Er muss einfach.

Ich drücke die Klingel. Letztendlich bleibt mir eh nichts anderes übrig. Ich kann nicht wieder gehen ohne mein Zeug. Und ein bisschen Mut muss ich schon aufbringen. Fast sofort wird die Tür aufgerissen und ich werde in eine feste Umarmung gezogen. Ich rieche seinen Geruch, sein herbes Parfum und sofort überkommt mich das schlechte Gewissen. Was er wohl ohne mich machen wird?

Nicht drandenken! schimpfe ich. Ich muss kalt bleiben. Sonst kann ich das gar nicht durchziehen.

„Lässt du mich bitte los?", frage ich mit zusammengebissenen Zähnen, sehe zu ihm hoch.

„Natürlich". Sofort verschwindet der Druck um meine Taille, aber seine Hände bleiben liegen.

„Ganz los... Ich muss mit dir was klären". Er nickt, führt mich ins Haus, Richtung Wohnzimmer, aber ich humpele zur Treppe, schleppe mich hoch ins Schlafzimmer und fange an, meine Klamotten in den Rucksack zu packen, den Liam mir geliehen hat.

„Was machst du da?". Nach was sieht's denn bitte aus? Ich rolle leicht mit den Augen, fahre fort, Sachen in den Rucksack zu stopfen.

„Ich gehe. Niall, ich kann das nicht. Such dir jemanden, der dich wirklich liebt, häng mir nicht nach. Ich fahre nach Hause". Ich werfe mir den Rucksack auf den Rücken, gehe wieder an ihm vorbei. Rechne nicht mit der Hand, die mich zurückzieht und gegen seine Brust wirft.

Und auf einmal habe ich seine Lippen auf meinen, so sanft und doch so leidenschaftlich wie nie zuvor. Dieses eine Mal erwidere ich den Kuss. Ich vergrabe meine Hände in seinen Haaren, stelle mich auf die Zehenspitzen. Es ist ein Abschied. Ein auf Nimmerwiedersehen.

Als wir uns wieder voneinander lösen, sehe ich den Schmerz in seinen Augen. Er tut mir leid. Das alles tut mir leid. Aber es geht nicht anders.

„Ich musste das tun... Noch ein letztes Mal... Tschüss Kleine... Mach was aus deinem Leben". Er zieht mich noch einmal in eine feste Umarmung und folgt mir dann langsam die Treppe runter. Ich verletze ihn. Bevor ich ins Auto einsteige, werfe ich noch einen Blick zur Haustür, sehe ihn im Türrahmen stehen und vorsichtig die Hand heben. Er sieht traurig aus. Verletzt, niedergeschlagen. Wegen mir. Aber das ist jetzt vorbei.

******

Wie versprochen heute das neue Kapitel. :)
Vielen Dank für' Lesen, meinen Lieben :* Vielleicht ein Vote und ein Kommi, wie es euch gefallen hat? :D

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