1. Kapitel: Who are you?!

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"Sie können da nicht rein. Sie sind mit der Patientin nicht verwandt". Eine laute Stimme dringt durch den Nebel, der mich umgibt. Ich spüre nichts, höre nur ein leises Piepen. Wo bin ich? Liebend gern würde ich die Augen öffnen, sehen, wo ich bin und wer da redet, aber ich kann nicht. Das einzige, was ich tun kann, ist, mich auf die Stimmen zu konzentrieren. Ich kenne keine einzige von denen.

„Hören Sie. Ich muss zu ihr. Bitte". Eine Männerstimme, definitiv. Sie hört sich verzweifelt an.

„Ich darf Sie nicht reinlassen", beharrt die andere Stimme. Worüber streiten die?

...

„Frau Fenrich? Hören Sie mich?". Ich muss eingeschlafen sein. Und wieder ist eine Stimme da. „Frau Fenrich? Können Sie mich hören?". Frau Fenrich... Wer ist das? Bestimmt telefoniert der. Oder die. So ganz ist mir nicht klar, wem die Stimme gehört. „Kommen Sie, Frau Fenrich". Mein Gott, wenn die Frau nicht antwortet, dann wird sie dich auch nicht hören! huscht es mir durch den Kopf.

Mein Kopf ist leer. Als hätte man alles darin einfach abgesaugt. „Frau Fenrich!" Ich spüre eine Hand an meiner Schulter, die mich leicht schüttelt. Ganz langsam öffne ich die Augen, starre in ein faltiges Gesicht. „Frau Fenrich, Gott sei Dank!" Fehlt ja gerade noch, dass er die Hände zum Himmel richtet. „So Frau Fenrich, wissen Sie, wo Sie sind?"

„Ähm... Entschuldigen Sie die Frage, aber wer ist Frau Fenrich?", murmele ich und es ist mir hochgradig peinlich. Der Typ reißt die Augen auf, starrt mich für einen kurzen Moment an, als käme ich vom Mond und plappert dann Fachbegriffe in sein kleines Telefon.

„Wissen Sie, wer Sie sind?", fragt er mich dann. Ich erstarre. Wer ich bin? Wer bin ich!? Ich forsche in meinem Kopf nach irgendetwas, einem Anhaltspunkt, aber da ist nichts. Wer bin ich? Wie lautet mein Name? Ich schüttele den Kopf, presse die Hände an meine Schläfen. Starre an die Decke über mir. Ich muss doch meinen Namen wissen. Jeder kennt doch seinen Namen. Welcher ist meiner? „Ah... Nun gut. Wissen Sie, wie alt Sie sind?" Ich richte meinen Blick wieder auf den Typen und mustere ihn zum ersten Mal aufmerksam. Er scheint einen Arztkittel zu tragen. „Wissen Sie wie alt Sie sind?" wiederholt er die Frage. Ich setze mich auf, sehe an mir herunter, so weit das eben geht. Mein Blick fällt auf zwei blasse Hände, an denen Schläuche hängen, mit langen, dünnen Fingern. Meine Hände. Der Rest meines Körpers wird von einer Decke verdeckt. Wie alt bin ich? Wie alt fühle ich mich? Ich weiß es nicht. Ich weiß gar nichts mehr.

„Nein", flüstere ich, starre auf die Decke. Was ist nur mit mir passiert?

"Wissen Sie, warum Sie hier sind?"

Kann er bitte aufhören zu fragen? In mir breitet sich das Gefühl einer totalen Leere aus. Ich kenne mich selbst nicht. Ich weiß nicht, wie ich heiße oder wie alt ich bin. Ich weiß nicht, warum ich hier liege und an sämtliche Geräte angeschlossen bin.

„Nein", antworte ich wieder, sehe, wie sich meine Hände zu Fäusten ballen und die Bettdecke zerknüllen.

„Haben Sie irgendeine Erinnerung an ihr Leben?". Ich blicke zur Seite, sehe den Typen an. Sein ernster Blick jagt mir einen Schauer über den Rücken. Er soll aufhören zu fragen. Er soll still sein. Oder mir Antworten geben. Meine Augen füllen sich mit Tränen. Was, wenn ich eine Familie hatte? Oder einen Hund? Was, wenn ich niemanden hatte und mich selbst umbringen wollte? Was, wenn mich jemand umbringen wollte?

"Bitte gehen Sie." Ich sehe ihn nicht an, hoffe einfach, dass er tut, was ich sage. Ich will alleine sein. Alleine mit meiner Leere. Alleine mit meinen Gedanken und mit meinen Fragen, die er mir nicht beantworten will.

„Wenn Sie noch etwas brauchen... Klingeln Sie da".

---

Die Tür fällt ins Schloss und der Knall hallt in meinem Kopf wieder. Immer und immer wieder. Ich hebe den Blick, starre auf das Bild mit der Obstschüssel, direkt gegenüber von mir. Er hätte mir wenigstens sagen können, wo ich bin. In welchem Ort. In welcher Stadt. Dass ich in einem Krankenhaus bin, ist mir klar. Sonst würden keine Schläuche aus meinem Körper hängen, sonst würden die ganzen Geräte nicht neben meinem Bett stehen und ekelhaft piepen. Ich habe überhaupt nichts, an das ich mich klammern könnte, keinen Anhaltspunkt, wer ich war. Es ist, als würde mein Leben mit dem Moment anfangen, in dem ich hier aufgewacht bin. Und davor ist nichts, Schwärze. Als hätte es mich davor nicht gegeben. Das kann doch nicht sein. Irgendwo muss es etwas geben, dass mir irgendwie sagt, wer ich war. Wer ich bin. Wie alt ich bin. Ob es Personen in meinem Leben gab, die ich geliebt habe. Vorsichtig hebe ich meine Decke hoch, setze mich komplett auf. Ich starre auf dünne Beine, um meinen rechten Fuß ist ein Gips. Also muss etwas schlimmes passiert sein. Sonst hätte ich mich nicht verletzt. Vielleicht hab ich eine Handtasche oder so bei mir gehabt. Und in einer Handtasche ist immer ein Geldbeutel und in dem muss ein Personalausweis sein. Ich drehe mich um, suche nach etwas, das wie eine Tasche aussieht, aber da ist nichts. Nur auf dem Nachtkästchen liegt eine kleine Karte.

Gute Besserung, Kleines. Ich liebe

dich.

Kein Name. Gar nichts. Nur diese zwei Sätze in einer krakeligen, fast unleserlichen Schrift. Ich starre auf die letzten drei Worte. Ich liebe dich. Ein kleines Lächeln schleicht sich auf mein Gesicht und ich fahre mit dem Daumen über die Schrift. Zu wissen, dass da jemand draußen ist, der mich liebt, macht mich glücklich. Auch wenn ich ihn oder sie nicht erkenne. Aber da ist jemand. Eine kleine Träne fließt mir über die Wange, tropft auf die Karte. Ich kenne mich selbst nicht mehr. Es ist niemand da. Ich habe mein Leben vergessen. Es ist alles weg.

Ich lasse mich zurück in die Kissen fallen, wische mir die Tränen weg.Trübsal blasen bringt mir auch nichts.

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Müde starre ich Richtung Tür, atme tief durch. Irgendwann wird jemand kommen und mich holen. Und wenn nicht... Darüber will ich nicht nachdenken. Es klopft und eine Schwester schaut zur Tür herein.

„Sie haben Besuch... Ist es okay, wenn ich die Beiden hereinlasse?". Besuch?!

„Ich... Ja.. Okay". Ich starre die Tür an, warte mit der grausamen Gewissheit, dass ich meine Besucher nicht erkennen werde, darauf, dass die Tür sich öffnet

„Josy! Oh mein Gott! Josy", schreit jemand und kurz darauf wird mir die Sicht von leuchtend roten Locken verdeckt und jemand umarmt mich so fest, dass ich fast keine Luft bekomme. „Josy, die haben gesagt, du hast einen Unfall gehabt. Ich hab total Angst um dich gehabt und Mama auch und...". Ich drücke das kleine Wesen von mir weg, starre in strahlende grüne Augen. Wer ist das?

„Maria... Lass sie doch erstmal durchatmen". Mein Blick fällt auf eine Frau. Sie ist nicht besonders groß und hat genauso rote Haare wie der Zwerg auf meinem Schoß.

„Ehm... Entschuldigung... Aber...Wer sind Sie?" murmele ich und starre abwechselnd von der einen zur anderen. Wer sind die? Woher kennen die mich?

„Wie bitte?" Die Frau setzt sich zu mir, starrt mich fassungslos an.

„Wer sind Sie bitte? Ich... Ich kenne Sie nicht. Keinen von Ihnen". Die Kleine löst sich von mir, klettert zu der Frau auf den Schoß.

„Was hat Josy?", flüstert sie, gerade so laut, dass ich es auch noch höre.„Du... Du kennst uns nicht mehr..." Das war keine Frage. Das war eine Feststellung. Der traurige Blick der Kleinen scheint sich in mein Gehirn zu brennen und ich habe das Gefühl, sie einfach in den Arm nehmen zu müssen. Aber ich kann nicht.

„Nein", flüstere ich und wende den Blick ab. Ich will nicht sehen, wie der Kleinen die Tränen kommen.

„Ah... Sie sind Frau Fenrich, oder... Kommen Sie mal bitte mit". Der Arzt deutet auf die Frau und sie folgt ihm mit der Kleinen an der Hand aus dem Zimmer. Ich sehe ihnen nach. Sie kennen mich. Sie wissen, wer ich bin. Die Tür ist nicht geschlossen, nur angelehnt. Trotz allem höre ich jedes Wort, dass der Arzt sagt:

„Ihre Tochter leidet unter Amnesie. Genauer gesagt dem Amnestischem Syndrom, das bedeutet, ihr Langzeitgedächtnis wurde ausgelöscht. Ob dauerhaft oder nicht wissen wir noch nicht."

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