Remeny & Emlek - Stumme Schreie | Kapitel 25 Remeny

307 27 1
                                    

Abwechselnd wachten Anjo und ich über Parsley, während der andere sich ebenfalls ausruhte. 

Als es dunkel wurde, spielte wieder die Hymne und drei Tote wurden präsentiert.

Der Junge aus Distrikt Zwei, das blonde Mädchen aus Distrikt Drei und das Mädchen aus Distrikt Vier. Wahrscheinlich hatten sich die Spielmacher mehr Tote erhofft. Einerseits war ich froh, das Gesicht des kleinen Jungen aus Distrikt Sieben immer noch nicht gesehen zu haben, andererseits erhöhte es die Chancen, dass wir uns irgendwann gegenüber stehen würden. 

Frustriert rieb ich mir über das Gesicht und seufzte.

„Ruh dich aus.", schlug Anjo vor, „Ich pass auf ihn auf." Er nickte in Parsleys Richtung, der am Anfang ab und zu noch gestöhnt hatte, jetzt aber meistens ruhig da lag. 

Dankend nickte ich dem Jungen aus Distrikt Elf zu und verkroch mich in meine Ecke.

Lange schlief ich jedoch nicht. Zumindest fühlte sich es so an, als ich von irgendetwas hochschreckte. 

Orientierungslos schaute ich mich kurz verwirrt um, eh ich Anjo sah, der über Parsley gebeugt war und versuchte ihn ruhig zu halten.

„Was ist los?" Meine Stimme klang panischer als ich selber gedacht hätte.

Anjo, immer noch mit meinem Distriktpartner beschäftigt, ignorierte mich, wodurch ich zu den beiden krabbelte. 

Parsleys Augen waren weit aufgerissen und er schaute mich ängstlich an, während seine Hand sich nach mir ausstreckte. Ich überbrückte die letzten Zentimeter und verstand endlich.

Bei jedem schweren Atemzug den er tat, hörte man ein furchtbares rasseln, welches aus seinen Lungen kam. Vielleicht hatte ihn die Bombe nicht umgebracht, aber die Hitze schien seine Luftröhre verbrannt zu haben. Während er vor wenigen Stunden noch atmen konnte, verengte sie sich nun immer weiter.

Mein Blick, mittlerweile auch voller Angst, suchte Anjos, um etwas wie Hoffnung darin zu finden. 

Das einzige was der Junge aus Distrikt Elf jedoch tat, war traurig den Kopf zu schütteln. Parsley würde sterben. Gegen so etwas konnte keiner von uns beiden etwas tun. 

Meinem Distriktpartner schien dies auch klar zu sein. Panisch klammerte er sich an meine Hand, schien dadurch aber nicht wirklich beruhigt. Also tat ich das, was bei mir immer half. 

Ich entzog ihn meine Hand, um sie gleich darauf auf seine Wange zu legen, genau wie die andere. Sanft streichelte ich ihn wie ein kleines Kind.

„Ganz ruhig Parsley. Ich bin hier. Du bist nicht allein.", flüsterte ich leise, auch wenn es nicht wirklich etwas brachte. Er hatte unendliche Schmerzen und Angst. Er starb. Ich konnte nur hoffen, dass es zu hause schon so spät war, dass es keiner mitbekam. Eine Träne kämpfte sich aus Parsleys Augen und ich verfluchte innerlich diese Spiele. Mir war bewusst, dass er sterben musste, wenn ich überleben wollte aber doch nicht so! Ich hatte ihn einen schnellen und schmerzfreien Tod gewünscht aber das hier war einfach nur qualvoll. Mit jeder Sekunde viel ihm das atmen schwerer. Krampfhaft versuchte er durch seine verbrannte Luftröhre den Sauerstoff zu pressen aber bald würde es nicht mehr gehen.

Seine Finger suchten irgend etwas in seiner Hose. Bevor ich ihm helfen konnte, holte er ein schwarzes Lederband hervor, mit einen silbernen Anhänger. Fragil und mit einen blauen Stein in der Mitte, wirkte es wie eine Schneeflocke.

„Ich hatte... versprochen ... es ihr ... zurück zu bringen.", krächzte er schmerzhaft und hielt mir die Kette hin. 

Ich verstand. Sie gehörte seiner Verlobten. 

„Ich bring sie ihr.", versprach ich, wodurch sie ein letztes mal so etwas wie ein Lächeln auf seinen Lippen bildete. 

Dann schloss er die Augen und das rasseln verstummte.

Den Kanonenschuss meines Distriktpartners hörte ich nur wie aus weiter ferne.

Anjo gab mir ein paar Minuten, bevor er anmerkte: „Wir sollten gehen. Die Spielmacher wollen uns hier nicht mehr."

Mit einem nicken stimmte ich ihm zu und gemeinsam packten wir alles zusammen. 

Ich schaute nicht noch einmal auf Parsleys zum Teil verbrannten Körper, da ich ihn so in Erinnerung erhalten wollte, wie ich ihn kannte.

Schweigend verließen wir die Ruine und liefen in Richtung des Füllhornes, welches mindestens noch einen Tagesmarsch entfernt war. 

Am Horizont hatte sich das Feuer, durch die Bomben, ausgebreitet. Der Dschungel, der als Abgrenzung der Arena diente, schien bald schon komplett Feuer gefangen zu haben, wodurch es egal war, wohin man sah. Der Horizont war rot.

Wenige Stunden später hatten wir uns eine Neue Ruine ausgesucht, die als Unterschlupf gut dienen konnte. 

Anjo ging vor, während ich draußen wache hielt und dafür sorgte, dass uns keiner in den Rücken fiel.

Verantwortungsbewusst schaute ich mich aufmerksam um, als aus der Ruine ein Schrei eines kleinen Jungen kam. Einen Schrei den ich kannte und der mich Anjo folgen ließ.

Ich kam gerade bei dem großen Jungen an, als er Kicsi aus seinem Versteck zog und hochhob, als hätte er eine Puppe in der Hand.

„Anjo nicht!" 

Verwirrt schaute der Angesprochene mich an, ohne den Jungen loszulassen, der mittlerweile in seinen Armen anfing zu strampeln. 

„Nicht ihn.", versuchte ich es noch einmal meinen Verbündeten klar zu machen. Es reichte das Parsley gestorben war. Ich konnte den kleinen Jungen aus Distrikt Sieben nicht auch noch sterben sehen. 

Wenige Sekunden vergingen, in denen Anjo zu überlegen schien, was er tun sollte. Ich wusste nicht was er dachte aber ich bereitete mich darauf vor, dass er weiter machen würde. Dann würde ich ihn angreifen, auch wenn dies eine dumme Idee war. 

Doch so weit kam es nicht. Anjo setzte den Jungen wieder auf den Boden ab. Tränen liefen Kicsi über das Gesicht, als er zu mir rannte und ich ihn wie automatisch in meine Arme schloss.

„Sschhh, ist gut Kleiner, ist gut.", versuchte ich den Jungen zu beruhigen, während Anjo knurrte: „Dann sind wir wohl jetzt wieder zu dritt."

Remeny & Emlek - Stumme Schreie Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt