Remeny & Emlek - Stumme Schreie | Kapitel 16 Remeny

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Die Nacht verging schnell und ohne Alpträume. In Emleks Armen war ich nicht einmal wach geworden und wachte erholt auf. Jedoch wurde mir schnell bewusst welcher Tag heute war.

Der letzte Trainingstag. Heute Nachmittag würde das Einzeltraining sein und heute Abend die Punktevergabe, die die Spielmacher mir gaben und eventuelle Sponsoren brachte oder eben nicht. Je nachdem, was ich bekommen würde. Ich war mir nicht einmal sicher was ich zeige sollte.

Zwar hatte ich gelernt auszuweichen und im Notfall zu Kontern aber ich beherrschte keine Waffen. Vielleicht könnte ich mit einem Messer umgehen, wenn ich Glück hatte, aber sicher war ich mir da nicht.

„Was ist los?", Emleks Stimme summte sanft in meinen Ohren, während er mir über den Arm strich. Ich kuschelte mich noch etwas näher an ihn, auch wenn das schon fast nicht mehr möglich war. 

„Ich mach mir nur Gedanken über das Training heute Nachmittag.", gestand ich leise.

„Das brauchst du aber nicht. Du zeigst ihnen deine Schnelligkeit und Wendigkeit, etwas womit die Karrieros beispielsweise schon einmal nicht punkten können. Dazu absolvierst du den Parcours, ehe du einen der Trainer bittest dich anzugreifen. Da kannst du zeigen was du gelernt hast, wie du ausweichst und einen Angriff abblockst." Ich musste schmunzeln, da er unglaublich zuversichtlich klang. Vorsichtig stützte ich mich auf seiner Brust ab, was er gar nicht zu merken schien, und schaute ihm in die dunklen Augen.

„Du scheinst ja ziemlich überzeugt zu sein, dass sie das beeindruckt.", behauptete ich, während ich abwesend seinen Nacken kraulte.

„An die Karrieros wirst du nie ran kommen, doch das erwartet auch niemand.", erklärte er leise. „Die anderen Tribute zeigen meist nur etwas an den Überlebensstationen, also nichts Besonderes. Du stichst immerhin raus. Und nach der Aktion mit dem Messer werden sie sich ein Auge auf dich haben." 

Ich dachte daran zurück und meine gute Laune verflog. Zwar hatten die Karrieros mich gestern nicht beachtet aber was wäre, wenn es heute anders wäre?

„Dumm nur, dass nicht nur sie dabei ein Auge auf mich geworfen haben.", murmelte ich. 

Emlek begann auf einmal zu husten und ich verteilte mein Gewicht schnell anders.

„Möglicherweise haben das noch mehrere.", brachte er nach einer weile heraus. Einen kurzen Moment brauchte ich, um seine Worte zu verstehen, bevor ich regelrecht spürte, wie ich rot wurde. 

Plötzlich setzte er sich auf, und ich krabbelte schnell von ihm herunter.

„Ähm, du solltest dich jetzt umziehen und dann frühstücken, das Training beginnt bald." , erklärte er, ohne mich anzusehen.

„Okay.", gab ich verwirrt zurück. Emleks Stimmung schien sich manchmal schneller zu ändern, als ich ihr folgen konnte. Oder hatte ich einfach etwas falsch gemacht?

„Du packst das. Mach dir keine Gedanken, ich weiß dass du das schaffst. Viel Glück." Mit diesen Worten stand er auf und ging aus dem Zimmer. Bei der Tür drehte er sich ein letztes mal herum, um mir ein letztes mal aufmunternd zuzulächeln, bevor er verschwand.

Ich brauchte ein paar Minuten, um wieder normal denken zu können. 

Schnell zog ich mir meine Trainingskleidung über und fasste meine Haare zu einen Zopf zusammen, bevor Fee auch schon zum Frühstück rief.

Meine Betreuerin hatte es sich natürlich nicht nehmen lassen, die ganze Zeit während des Essens uns noch einmal klar zu machen, wie wichtig, das Einzeltraining mit den Spielmachern heute, war. Als wenn Parsley und ich nicht schon nervös genug gewesen wären. Dank ihr bekam ich deswegen auch nichts herunter. 

Das Training am Morgen bekam ich nur halb mit. Ich hielt mich eher an Stationen auf, an denen mir etwas gezeigt oder erklärt wurde. Meine Muskeln und Gelenke mussten geschmeidig sein, damit ich mich später schnell bewegen konnte. 

Jetzt hier im Essensraum zu sitzen und mit den anderen Tributen darauf zu warten, zu meinem Einzeltraining dran zu kommen, machte mich nur noch nervöser, als mein leerer Magen sowieso schon. Natürlich hatte ich auch nichts zum Mittagessen herunter gebracht. Das warten machte den Hunger jedoch nur um so schlimmer. Normalerweise etwas, was ich gewöhnt war, aber die wenigen Tage in der Obhut des Kapitols hatten mich weich werden lassen. 

Neben mir zitterte der kleine Junge aus Distrikt Sieben. Als ich mich vor gefühlten Stunden hier hin gesetzt hatte, hatte er sich neben mich gesetzt und war nicht mehr von meiner Seite gewichen. Es war okay für mich, auch wenn ich das vor wenigen Tagen nicht für möglich gehalten hätte. Aber wenn es den Jungen half, sollte er hier sitzen bleiben, so lange er wollte.

Erst als sein Name aufgerufen wurde, schaute er mich kurz ängstlich an und ich schaffte es sogar, ihn aufmunternd zuzulächeln, bevor er durch die Tür verschwand.

„Der Kleine scheint dich ja richtig zu mögen.", begrüßte mich Parsley, als er sich an den nun freie Platz setzte. Ich zuckte nur mit den Schultern, doch das hielt ihn nicht davon ab, einfach weiter zu reden. 

„Wo warst du heute früh?" verwirrt schaute ich ihn an, da ich nicht genau verstand, was er wollte. „Ich hatte heute früh bei dir geklopft. Als niemand aufgemacht hatte, war ich beunruhigt und war rein gegangen. Aber du warst nicht da."

Oh. 

Das könnte daran liegen, das ich zu dieser Zeit in Emleks Arme gekuschelt geschlafen hatte...

„Ich brauchte etwas frische Luft. War schon vor Sonnenaufgang wach. Deswegen bin ich aufs Dach." , log ich, ohne mit der Wimper zu zucken. In meinen inneren zog sich dabei etwas zu haben. Ich wünschte, ich könnte einfach die Wahrheit sagen aber ich hatte Angst, wie andere darauf reagieren würden. Wie Emlek darauf reagieren würde. Vielleicht wollte er einfach nicht, dass es jemand wusste.

Ich hing weiter meinen Gedanken nach und merkte erst, dass ich bald dran war, als Parsley nicht mehr neben mir saß und auch sonst nirgendwo im Raum aufzufinden war. 

Kurz darauf hörte ich meinen Namen durch die Sprechanlage klingen. 

Unsicher stand ich auf. Auf dem Weg zur Tür erinnerte ich mich an die Dinge, die Emlek gesagt hatte. Das ich Selbstbewusst auftreten musste. Ihnen zeigen was ich konnte.

So wie ich die Tür durchtrat und in die Trainingshalle kam, hob ich meinen Kopf und versuchte so aufrecht wie möglich zu laufen. Ich ließ die Spielmacher nicht aus den Augen, auch wenn ich innerlich vor Panik schrie.

Als sie mir das Zeichen zu beginnen kamen, zeigte ich als erstes meine neuen Ausweichkünste gegen einen Gegner. Danach durchlief ich den Parcours in Rekordzeit, doch sie schienen immer noch nicht wirklich beeindruckt. Einige von ihnen redeten sogar nur mit einander. Kaum einer beachtete mich. 

Schnellstmöglich suchte ich mir einen ungeplanten Kletterweg und verschwand in den Schatten der Decke.

Es dauerte gut fünf Minuten, bevor den Spielmachern auffiel, dass ich nicht mehr da war. Ein wenig ließ ich sie suchen, während ich tief ein und ausatmete, um mich selber zu beruhigen. Meine Stimme musste fest und sicher klingen, wenn ich sie auf mich aufmerksam machte.

„Sucht ihr mich?" Ich war selber darüber fasziniert wie überzeugt und frech ich klang. Wieder schauten sie ein wenig umher. Versuchten meinen Ort anhand meiner Stimme ausfindig zu machen. Endlich entdeckte mich der erste und deutete erstaunt auf mich. 

Anerkennend nickten einige, als ich mich schnell und gewandt wieder nach unten brachte, ohne auch nur einmal anhalten zu müssen. Mit einer Verbeugung verabschiedete ich mich, als ich entlassen wurde und wand mich zum Ausgang.

Es kostete mich einiges an Überwindung nicht loszurennen. Aber es war wichtig die unechte Selbstsicherheit auch jetzt aufrecht zu erhalten. Ich dachte einfach nur daran, dass ich bald wieder in Emleks Armen wäre.

Remeny & Emlek - Stumme Schreie Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt