26. Kapitel Teil 2

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«Nein das reicht jetzt!», unterbricht mich Tobias mit scharfem Ton.
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Jetzt, als Tobias seine Stimme erhoben hat, schaue ich nach oben. Davor, während ich gesprochen hatte, hatte ich auf den Boden geschaut, um den Blicken der Anderen nicht begegnen zu müssen. Doch jetzt, da ich nach oben schaue, begegne ich ihnen automatisch, ehe ich zu Tobias schaue. Die anderen nehme ich nur verschwommen war. Einzig Marya befindet sich noch in meinem Aufnahmesektor, da sie hinter mir sitzt und leicht meine Hand streift. Mein Blick wandert weiter zu Tobias, der seinen Kopf gesenkt hält. An seinen Händen sehe ich jedoch, dass es ihm, genau wie Mark, nicht gefallen hat was ich von mir gegeben habe. Oder vielleicht ist es auch irgendetwas anderes. Doch als ich vorsichtig und auch nur kurz meine Fähigkeit Lov einsetze, um einen Einblick auf seine Gedanken zu erhaschen, merke ich, dass beiden mein Gesagtes nicht gefallen hat. Da ich nicht weiter in ihre Gedanken eindringen möchte lasse ich die Fähigkeit wieder fallen. Eigentlich mag ich es nicht im Kopf von Freunden rumzuschnüffeln, da es einen großen Einschnitt in die Privatsphäre darstellt und ich auch nicht wollen würde, dass das jemand bei mir macht. Dieses Mal hat auch eine kleine Ausnahme dargestellt und jetzt werde ich wahrscheinlich sofort erfahren, was Tobias nicht gefallen hat.

Als er dann endlich anfängt zu sprechen, ist seine Stimme leicht angespannt: «Bis jetzt habe ich mich die ganze Zeit rausgehalten, weil ich zwar nicht eurer Meinung war, aber sie verstanden habe», wendet sich Tobias zunächst an die anderen und dann zu mir, «Jetzt muss ich mich aber einmischen, denn diese „Rechtfertigung" möchte ich eigentlich gar nicht hören. Ich möchte auch nicht, dass du, Fiona, dich noch einmal als egoistisch bezeichnest, denn das bist du nicht. Um ehrlich zu sein, bist du der hilfsbereiteste und aufopferndste Mensch den ich je kennengelernt habe. Deine Beispielsituation ist eigentlich etwas, was dich als gut darstellen lässt. Denn du darfst nicht einfach nur das eine betrachten, sondern musst auch die Vorgeschichte mit einbeziehen. Du bist nur in diese Lage gekommen, weil du die Soldaten von uns abbringen wolltest. Nur damit sie uns nicht finden, hast du dich gefangen nehem lassen. Ich möchte gar nicht darüber nachdenken, was dir dort widerfahren ist. Aber ich kann die sagen, dass es mir Leid tut zu sehen, wie sehr es dich belastet. Es war auch nicht nur ein Mal, dass du Soldaten von uns weggelockt hast. Du hast uns schon öfter gerettet und beschützt und musstest dafür im Endeffekt leiden. Wenn wir dich nicht hätten, wären wir schon oft geschnappt worden oder schlimmeres. Außerdem bist du eine hervorragende Ärztin. Ohne dich, wäre ich gestorben, als der Soldat mich angeschossen hatte. Nur dank dir habe ich überlebt. Und auch die Anderen konnten immer auf deine Hilfe zählen.»

Ich zucke zusammen, als Tobias seinen fast eingetretenen Tod erwähnt. Sein Tonfall macht deutlich, dass ich ihm nicht widersprechen soll, aber genau dieser Vorfall weckt all meine Zweifel. Wenn ich mich bewegt hätte, wäre es nicht dazu gekommen. Ich hätte der Kugel ausweichen müssen, oder ihn zur Seite schubsen müssen, damit sie mich getroffen hätte. Nur weil ich nichts gemacht habe, hat ihn die Kugel erwischt. Es ist meine Schuld, dass er angeschossen wurde! Ich schlinge meine Arme um meine Brust. Ich habe die Umstände nicht vergessen und es tut mir weh daran denken zu müssen. Es tut mir weh, dass ich ihm nicht vor diesem Leid bewahren konnte.

Vielleicht hat er die Umstände auch nicht vergessen, aber es scheint als wölle er sie verdrängen. Tobias legt nach seinen Worten eine kurze Pause ein. Vielleicht durchlebt er, genau wie ich, diese Situation erneut. Hastig schüttelt er den Kopf, ehe er dann weiter spricht: «Du hast dich über mich geworfen, als die Decke einstürzte und den Schmerz in Kauf genommen. Ich kann und will mir nicht vorstellen, wie es ist, wenn auf deinen Körper Mauerreste fallen. Du hast selbst Marya geholfen, als sie der Meinung war, dass sie mich besser verarzten kann als du und dann in Ohnmacht gefallen ist. Du hast ihr ohne jegliches Gemecker geholfen, obwohl sie dich provoziert hat. Mich hätte es nicht gewundert, wenn du ihr nicht geholfen hättest. Aber genau das hast du getan und das ist wirklich erstaunlich. Wahrscheinlich würde ich noch viel mehr Beispiele finden, wenn ich nur etwas länger nachdenke. Ich könnte dir noch so viele weitere Sachen aufzählen, bei denen du uns gerettet hast. Wenn du nicht da gewesen wärst, in all diesen Momenten, wären wir verloren gewesen. Deswegen bist du wahrscheinlich alles, außer egoistisch. Das auf keinen Fall. Natürlich könnte man sagen, dass das alles nicht passiert wäre, wenn wir nicht geflohen wären...ABER: Wir alle haben das für uns selbst beschlossen. Ich glaube du hast sogar gesagt, dass du auch allein gehen würdest. Wenn wir alle dagegen gewesen wären, hätten wir auch in der Schule bleiben können. Du hast sogar gesagt, dass wir auch etwas anderes machen können. Mir und auch den anderen ist die Situation zwischen den zwei Königreichen spanisch vorgekommen. Auch wir haben nach Wissen verlangt, Wissen über das andere Königreich, aber niemand konnte und wollte uns etwas darüber sagen. Manche hatten schon von diesem und jenem gehört, aber noch nichts Richtiges. Warum sollten deine Vermutungen dann nicht der Wahrheit entsprechen? Viele haben dir schon in der Schule geglaubt, als du Frau Webber mit auf unsere Seite gezogen hast. Ich meine es muss ja irgendetwas an deiner Theorie dran sein, wenn der Direktor und eine Lehrerin uns bei der Flucht helfen. Die anderen haben dir spätestens bei der Sache mit den Soldaten geglaubt, als diese dich verfolgt haben, um dich gefangen zu nehmen. Damals wussten wir vielleicht nicht woher du es wusstest,...aber eigentlich zählt nur: Du hast es gewusst und uns davon erzählt! Ich weiß, dass viele von uns nichts mehr aus den anderen Klassen gehört haben. Höchstens von ein paar Jungen, die uns aber auch nur erzählt haben, dass die Mädchen aus ihren Klassen alle weggebracht wurden. Bis jetzt sind sie nicht mehr aufgetaucht. Die anderen wurden zu ihren Familien gebracht und von dort aus evakuiert. Und ja es stimmt, wir wissen nicht wirklich viel über dich. Eigentlich überhaupt nichts, aber das ist dein gutes Recht. Außerdem glaube ich nicht, dass du auch überhaupt etwas über uns weißt. Schließlich redest du ja mit fast keinem. Wahrscheinlich kennst du noch nicht mal alle beim Namen...Bitte...Ich glaube nicht, das wir ohne dich so weit gekommen wären! Also sag so etwas einfach nicht nochmal, ok? Wie gesagt, du unterstützt viele Menschen, ohne jegliche Aufforderung. Egoistisch bist du mit Sicherheit nicht.»

Jedes Wort von Tobias scheint sich in meinen Kopf einzubrennen. Während er all diese Sachen aufgezählt hat, hat mein Kopf die dazu gehörenden Erinnerungen abgespielt. Wiederstrebend muss ich eingestehen, dass Tobias Recht hat. Ich habe sie tatsächlich manchmal gerettet. Zumindest öfter als ich es mir eingestehen will. Also nicke ich ihm einfach zu, um mein Verständnis zu signalisieren und um nicht auszusprechen müssen, dass ich nicht egoistisch bin.
Anscheinend hat auch Tobias sich seine Gedanken dazu gemacht und vielleicht meine Ansätze durchschaut, denn er bittet mich darum es laut auszusprechen. Sein Blick durchbohrt mich und ich kann nicht anders, als ihn anzuschauen.
Es ist wieder einer dieser Augenblicke, bei dem ich die Schönheit seiner Augen nicht leugnen kann. Sie scheinen von Innen heraus zu leuchten. Es ist wie ein blauer wolkenloser Himmel bei vollem Sonnenschein, nur in grün. Diese Augen scheinen mich magisch anzuziehen und ich kann meinen Blick einfach nicht abwenden, auch wenn mir die Blicke der Anderen bewusst sind. Es gelingt mir erst, als Marya mich anstößt und mir uns Ohr flüstert: «Langsam sollest du ihm seine Bitte erfüllen oder einfach aufstehen. Aber eins von beiden musst du jetzt mal machen...» Da ich nur ihretwegen meinen Blick abwenden konnte, lächle ich sie dankbar an. Dann wende ich mich wieder Tobias zu, senke aber meinen Blick auf den Boden. «Ich werde versuchen so etwas nicht noch einmal zu sagen...Ich verspreche es...» Nachdem er das gehört hat, steht Tobias auf und verlässt den Raum. Das ist ziemlich untypisch für ihn, denn normalerweise bleibt er noch bei den Anderen und redet mit ihnen. Irgendetwas scheint Tobias zu beschäftigen. Nur was ist es?

Auch Marya scheint es aufgefallen zu sein, denn sie fragt: «Was ist denn mit ihm los?» Ich zucke einfach nur mit den Schultern. «Vielleicht solltest du mal mit ihm reden...Ich meine du scheinst Tobias am besten zu verstehen und auch den besten Draht zu ihm zu haben...»Das letzte lässt sie in der Luft hängen, aber mir scheint es, als würde Marya ihr Gesagtes nicht gerade gefallen. Deswegen frage ich sie einfach direkt: «Obwohl ich nicht ganz deiner Meinung bin, was das mit dem Draht angeht, glaube ich du solltest lieber mit ihm reden. Du verstehst dich besser mit ihm und ihr redet auch eindeutig öfter.» Zuerst weiten sich Maryas blaue Augen vor erstaunen, doch nach einigen Minuten wirken sie wieder ernst. Mit entschlossener Stimme meint sie: «Nein, du redest mit ihm. Mit dir wird er eher über solche Themen reden, Themen die ihn bedrücken. Es ist wirklich besser...Kann ich danach mit dir reden?» Jetzt bin ich an der Reihe erstaunt zu sein. Maryas Stimme hat allerdings immer noch dieses Missfallen als Unterton. «Ja natürlich kannst du nachher mit mir reden. Nur eine Sache noch... Dir gefällt es nicht wirklich, wenn ich mit Tobias rede, oder? Warum?» «Ich leugne es gar nicht erst...es wäre zwecklos oder? Für dich steht das doch schon fest. Ja es ist so...Warum sag ich dir dann.» Ich nicke, mache aber Anstalten zu gehen. «Los, geh schon! Er braucht dich jetzt!» Nach einer kurzen Pause fügt sie noch hinzu: «Auch wenn er es nicht zugeben will.» Dann schenkt sie mir noch eines ihrer bezaubernden Lächeln, das bis jetzt nur wenige geschenkt bekommen haben. Es ist völlig ungezwungen, auch wenn sich dahinter eine leichte Traurigkeit erahnen lässt. Als ich noch zögere, springt Marya auf und umarmt mich fest. Als sie mich wieder loslässt gibt sie mir noch einen kleinen Schubs in die Richtung, in die Tobias gegangen ist. Nachdem sie mir noch ein letztes Mal zugenickt hat, setze ich mich endlich in Bewegung.

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Hey Leute,
hier bin ich wieder, nach einer Woche Pause. Jetzt müssten die Kapitel wieder regelmäßiger kommen, da ich endlich Semesterferien habe und damit hoffentlich genug Zeit zum schreiben.
Ich hoffe euch hat das Kapitel gefallen, auch wenns mal was anderes war. Ich muss auch zugeben, dass ich nicht 100%ig zufrieden mit dem Kapitel bin, aber naja.

Eure Annie :)

Das Mädchen mit den EngelsflügelnWo Geschichten leben. Entdecke jetzt