18. Kapitel

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PoV Tobias

Ich starre an die Decke, seitdem Fiona das letzte Mal das Zimmer verlassen hat. Am Anfang habe ich noch auf die Tür geschaut, aber als mir klar wurde, dass sie nicht mehr zurückkommt, ist mein Blick nach oben gewandert. Meine Gedanken wandern wie von selbst, hierhin, dahin und doch immer wieder zurück zur selben Sache, zur selben Person. Fiona.

Es war das erste Mal, dass sie so einen schlimmen Albtraum hatte und das hat mir Angst gemacht. Sie so zu sehen.... es war einfach schrecklich. Die Tränen, die ihr im Schlaf die Wangen herunter gelaufen sind und das Zittern, was nicht aufhören wollte, selbst als sie wach war. Man hat sogar ihre Angst in ihren Augen erkennen können. Das schlimmste jedoch war, dass ich sie nicht beruhigen konnte, ihr nicht helfen konnte. Ich konnte nichts für sie tun und habe mich in dem Moment einfach nur armselig gefühlt. Am liebsten hätte ich sie zu mir in die Arme gezogen und ihr gesagt, dass alles gut werden wird, aber ich weiß dass sie das nicht mag. Wahrscheinlich hätte sie mich von sich gestoßen und mich gleich danach ignoriert. So wie es eben ihre Art ist.
Deswegen verstehe ich Marya auch nicht. Sie will einfach nicht einsehen, dass Fiona anders ist als sie vorgibt zu sein. Oder um genauer zu sein, will sie nicht einsehen, dass Fiona nicht so ist wie sie denkt. Sie würde nämlich niemals freiwillig auf einen Jungen zu gehen, geschweige denn sich auf eine Beziehung, welcher Art auch immer sie sein mag, einlassen. Ich betrachte es schon als ein Wunder, dass sie mit mir redet und sich ab und zu mal mir anvertraut. Aber auch diese Ereignisse sind so selten, dass ich sie wahrscheinlich an einer Hand abzählen kann. Dennoch hoffe ich, dass ich sie irgendwann dazu bringen kann mir zu vertrauen und sich mir zu öffnen. Was auch immer Fiona widerfahren ist, muss sie stark geprägt haben und ich möchte, dass es ihr gut geht. Ich möchte, dass wir Freunde sind, die sich aufeinander verlassen können. Ich möchte, dass wir alle bald aufatmen können und in Sicherheit sind.

Ich möchte so vieles und doch habe ich das Gefühl, dass mir das alles verwehrt bleibt. Als ich Fiona habe weinen sehen, ist ein Teil meines Bildes von ihr endgültig kaputt gegangen. Sie ist nicht die Starke, die sie immer vorgibt zu sein. Sie ist nicht egoistisch, selbstverliebt oder gar ungerecht. Das Gegenteil ist der Fall.
Auch wenn sie immer alle glauben lassen will, dass ihr alles egal ist, so ist es ihr das in Wirklichkeit nicht. Sie möchte alle anderen beschützen und begibt sich dafür jedes Mal wieder in Gefahr. Irgendwie...

Ich werde in meinen Gedanken unterbrochen, als die Tür aufgerissen wird und Mark, meim bester Freund, das Zimmer betritt. Er lässt einmal seinen Blick schweifen, ehe er enttäuscht aufseufzt. «Ich hätte gedacht, dass Fiona hier bei dir ist», erklärt er sich dann. «Wieso sollte sie hier sein?» Erst zuckt er nur mit den Schultern und meint dann mit einem schelmischen Grinsen: «Naja wer weiß, vielleicht kommt ihr euch ja dann näher!» Er wackelt mit seinen Augenbrauen und zeigt mit seinen Händen eine Kussgeste, indem er beide zusammengefalteten Hände an den Fingerspitzen zusammenführt. Ich rolle mit den Augen, muss mir aber dennoch ein Lachen verkneifen. Mark war aber auch manchmal echt albern.
«Aber eigentlich hatte ich das gehofft, weil sie sonst nicht im Haus und Garten ist.» Ich weite geschockt meine Augen und versuche mich aufzusetzen, als ich das höre. Zweiteres klappt leider nicht so gut, weswegen mir Mark dabei helfen muss. Ich atme kurz durch, ehe ich ihm antworte: «Ich kann mir gut vorstellen, warum sie weggelaufen ist. Wahrscheinlich war das mit Marya ihr zu viel.» Er nickt nachdenklich und fügt noch hinzu: «Ich denke nicht, dass es nur das war. Das was mit dir passiert ist hat sie auch ziemlich stark mitgenommen. Außerdem wirkt sie so, als wäre sie manchmal gerne allein, was hier aber nicht wirklich geht. In dieser Gruppe ist man nie allein.»

Mark klingt so, als würde er aus Erfahrung sprechen. Scheinbar wäre er manchmal auch gerne allein. Deswegen frage ich ihn sofort: «Ist alles gut?» Er wirkt kurz überrascht und zuckt dann mit seinen Schultern. «Manchmal vermisse ich die Stille, die in meinem Zimmer geherrscht hat. Das hat mir geholfen meine Gedanken zu ordnen. Jetzt klappt das einfach nicht mehr und sie beginnen um sich selbst zu kreisen. Ich mache mir wahnsinnige Sorgen um meine Eltern und besonders um meine Schwester, Tobias. Ich weiß nicht was ich tun soll!» Er vergräbt sein Gesicht in seinen Händen. Er ist auch so jemand wie Fiona. Er kämpft immer weiter, auch wenn er selbst schon lange aufgegeben hat. Er macht es für diejenigen, die es noch nicht getan haben.
«Sie haben dir also noch nicht auf deine Nachricht geantwortet?» Er schickte ihnen immer mal eine Nachricht, damit er sicher sein konnte, dass es ihnen gut geht. Mark war einer der wenigen, der noch Kontakt zu seinen Eltern hatte. Zum einen lag das daran, dass die meisten Internatsschüler aus dem Heim gekommen sind und zum anderen daran, dass er immer eine gute Beziehung zu ihnen gehabt hat. Andere haben ihn darum beneidet, aber gerade in solchen Situationen ist es natürlich sehr hart. Ich lege ihm eine Hand auf die Schuler und meine: «Mach dir mal keinen Kopf. Früher oder später werden sie dir schreiben. Dann wirst du sehen, dass mit ihnen alles in Ordnung ist.» Er schaut auf und lächelt mir zu, lenkt aber gleich darauf das Gespräch auf das vorherige Thema zurück. «Also wegen Fiona... ich würde vorschlagen, wir warten noch ein paar Stunden ab, um zu sehen ob sie wiederkommt. Wenn nicht, dann sollten wir sie suchen gehen. Wärst du auch dafür?» Als ich nicke lächelt er, bleibt aber in meinem Zimmer. Wir unterhalten uns noch ein wenig weiter, ehe meine Augen immer schwerer und schwerer werden und ich einschlafe.

Das Mädchen mit den EngelsflügelnWo Geschichten leben. Entdecke jetzt