Eine Skala von eins bis zehn

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"Sherlock!", ungeduldig schnipste Moriarty mit seinen Fingern vor dem blassen Gesicht seines Gegners herum, bis sich die blauen Augen wieder auf ihn richteten.
"Sind Ihre Gedanken abgeschweift? Bin ich Ihnen etwa nicht spannend genug?"
Moriarty zog einen Schmollmund, doch seine dunklen Augen fixierten den Detektiv weiterhin prüfend.
"Entschuldigen Sie meine geistige Abwesenheit, ich bin wieder ganz bei Ihnen", unverfroren starrte Sherlock zurück. "Ich fühle mich nur etwas gelangweilt."
Der dunkelhaarige Mann war nun wirklich beleidigt und wandte sich ab.
"Nein, nein, nein!", murmelte er leise, während er vor dem Mann mit den dunklen Locken auf und ab ging.
"Ich bin interessant, ICH BIN INTERESSANT!"
Seine Stimme hallte in der ganzen Fabrikhalle, in der sie sich seit geraumer Zeit befanden, wieder und das Echo verklang erst nach einigen Sekunden. Er ist ruckartig stehen geblieben und hatte ihm seine Worte ins Gesicht geschrien. Doch Sherlock hatte nicht einmal mit der Wimper gezuckt.
Anders dagegen sein Mitbewohner und bester Freund John Watson, der bei der plötzlichen Lautstärke in dem weitläufigen Raum sehr wohl gezuckt hatte. Dies ist Sherlock nicht entgangen, denn sein Blick huschte kurz zu ihm rüber und der von Moriarty folgte ihm gleich. Sofort verzogen sich dessen schmale Lippen zu einem breiten Grinsen.
"Ach Jooohn! Immer mit dabei. Was würde Sherlock nur ohne seinen kleinen Gehilfen tun?", Moriarty schrie zwar nicht mehr, doch seine Stimme war laut. Sherlock biss die Zähne zusammen, er wollte nicht, dass sein Freund in die Schussbahn geriet. Doch dieser Zug ist vermutlich in dem Moment abgefahren, als sie sich damals in der Pathologie kennengelernt hatten.
Moriarty sah John weiterhin an, welcher wütend zurückfunkelte, woraufhin er die Unterlippe vorschob und einige Male in Richtung des Arztes blinzelte, ehe er die braunen Augen aufriss und seine Miene sich erhellte.
"Da kommt mir doch gleich eine Idee. Spielen wir doch ein bisschen, das lieben Sie doch so sehr!", wandte Jim sich dann wieder an Sherlock, welcher ihn mit undurchdringlichem Blick anstarrte.
Er wandte ihn auch nicht ab, als sein Gegner eine schnelle Handbewegung in Richtung des Gehilfen machte, der John am nächsten stand.
Erst als dieser eine Pistole an Watsons Kopf legte, welcher scharf einatmete, fuhr Sherlocks Kopf herum.
Moriarty kam ihm näher und kniff die Augen etwas zusammen, als er den bleichgesichtigen Mann mit den dunklen Locken genauestens beobachtete.
"Ach kommen Sie, das hätten Sie doch kommen sehen müssen!", rief er dann beinahe empört und trat einige Schritte zurück, während er den Kopf schüttelte.
"Sie fangen langsam wirklich an mich zu enttäuschen", sagte er und seine Stimme wurde ruhiger, leiser. Er presste die Lippen zusammen und legte die Handflächen unter seinem Kinn aneinander, eine Pose, in die Sherlock ebenfalls oft verfiel.
"Jetzt sagen Sie nicht, dass Sie nicht spielen wollen", Moriarty legte den Kopf etwas schief und zog erneut den Schmollmund.
"Nein, ich möchte nicht spielen", antwortete der Detektiv möglichst ruhig. In ihm herrschte ein Chaos, doch nichts davon trug er nach außen.
"Jetzt bin ich wirklich enttäuscht", sein Gegenspieler warf ihm einen verächtlichen Blick zu, hatte er sich doch so auf diesen Tag gefreut.
"Allerdings haben Sie gar keine Wahl!", er breitete die Arme aus und grinste breit, wobei er seine geraden, weißen Zähne zeigte.
"Auf einer Skala von eins bis zehn, wie gerne mögen Sie John Watson?"
Für einen kurzen Moment herrschte Totenstille im Raum und John hatte schon Angst, dass man sein schnell schlagendes Herz hören könnte.
"Ich werde nicht mitspielen", Sherlocks Stimme war weiterhin ruhig, doch er musste eine gewaltige Wut auf den etwas kleineren Mann vor ihm unterdrücken, der ihn in eine brenzlige Situationen brachte. Oder eher John, was das nur noch schlimmer machte.
Sherlock würde eher sterben als zuzugeben, dass seine Gefühle für seinen Mitbewohner weit über Freundschaft hinausreichten. Er hatte viel Zeit und das dreimalige Lesen desselben Wikipediaeintrags gebraucht, bis er verstanden hatte, was das Kribbeln im Bauch zu bedeuten hatte. Bei dem Wort Liebe ist er erschaudert, es benannte ein Gefühl, von welchem er nie erwartet hätte es jemals zu verspüren.
Doch hier stand er nun und musste seinem wohl schlimmsten Feind sagen, wie viel John ihm bedeutete, um dessen Leben zu retten. Er hasste diese Situation.
"Dann gebe ich Ihnen noch einen weiteren Ansporn. Je höher die Zahl, desto schneller und schmerzloser sein Tod", Moriarty wollte um jeden Preis erreichen, dass Sherlock mitspielte.
"Oder mache ich es doch anders herum?" Er zog die Augenbrauen hoch und grinste wieder. Ihm bereiteten diese Momente viel Freude und eigentlich war auch Sherlock nicht unbegeistert von einem ebenbürtigen Gegenspieler, doch er bereute zutiefst, John mitgenommen zu haben. Jetzt stand die Wahl nicht mehr zwischen Leben oder Tod, sondern zwischen einem schlimmen und einem weniger schlimmen Tod. Sherlock verfluchte sich dafür nicht früher geantwortet zu haben, denn so würde John sicher sterben.
Als der jüngere der Holmes-Brüder immernoch nicht antwortete, gab Jim seinem Gehilfen erneut einen Wink, welcher daraufhin seine Pistole lud.
"Nein, hören Sie auf!", Sherlock biss sich auf die Zunge. Er hatte zu laut und mit zu viel Panik gesprochen, als dass er weiter den Ungerührten spielen konnte.
Moriarty riss begeistert Mund und Augen auf, ehe er sich strahlend zu John drehte, welcher auf seine Füße starrte.
"Na das klang doch schonmal nach einer soliden Acht!", rief er und wandte sich wieder Sherlock zu, welcher versuchte die Fassung zu bewahren. Moriarty war der Einzige in der Halle, der sich freute, seine Handlanger verzogen keine Miene und weder John, noch dessen bester Freund wirkten gut gelaunt.
"Also wenn Sie weiterhin nicht antworten wollen, dann erschießen wir John halt einfach so! Ich fand ihn sowieso lästig", Moriartys Begeisterung schlug schnell in Verärgerung um. Dass er von dem Arzt bereits in Vergangenheitsform sprach, beunruhigte Sherlock noch mehr als ohnehin schon.
"Gut, wenn Sie so wollen", Jim zuckte mit den Schultern und gab dem Mann mit der Pistole einen Wink. Er senkte seine Waffe und zielte auf den Bauch von John. Sherlock stürmte los und rammte den Mann, während er
abdrückte.
Ein Schuss explodierte und der Schall, unter den sich ein schmerzerfüllter Schrei mischte, hallte durch den Raum.
Alles geschah sehr schnell, Sherlock entwaffnete den Mann in einer Sekunde der Unachtsamkeit seitens des Handlangers, Moriarty trat den Rückzug an und der Detektiv zielte mit der Waffe auf diesen.
"Ich werde schießen!", rief er warnend, doch er erzielte nicht die gewünschte Wirkung bei seinem Gegner. Dieser drehte sich nur um und zog seine akribisch gepflegten Augenbrauen hoch.
"Ach kommen Sie, das hatten wir doch schon. Sie werden nicht schießen. Ich an Ihrer Stelle würde mich lieber um andere Dinge kümmern", antwortete er ungerührt und sah dann hinunter. Sherlock folgte seinem Blick und sah John am Boden liegen. Er hatte sich so auf Moriarty konzentriert, dass er völlig vergessen hatte, in welcher Gefahr sich sein bester Freund befunden hatte.
"John!", keuchte er entsetzt. Er ließ die Waffe achtlos neben sich fallen, als er auf die Knie stürzte und sofort nach der Wunde suchte. Er fand sie schnell, immerhin war der langsam wachsende Blutfleck nicht gerade unauffällig. Das hellblaue Hemd sog sich weiter mit dem Dunkelrot voll und Sherlock zögerte einen Moment, ehe er das Kleidungsstück aufriss und so die Stelle freilegte.
John stöhnte vor Schmerz und presste die Augen zusammen, seine Hände hatte er zu Fäusten geballt.
Die Wunde war tief, die Kugel steckte noch und er hatte Glück gehabt, dass er nach hinten gefallen ist.
Sherlock wickelte in Windeseile seinen Schal ab und presste ihn auf die Wunde, um die Blutung etwas zu stoppen, während er mit der anderen Hand zitternd den Notruf wählte.

"Sie kommen, sie kommen John! Bleib bei mir, okay? Alles wird wieder gut, du wirst wieder gesund!", Sherlock wusste nicht, ob er tatsächlich John oder vielmehr sich selbst mit diesen Worten aufzumuntern versuchte.
"Es tut mir so leid", hauchte er dann. John sah ihn einen Moment lang aus seinen blauen Augen an, ehe er sie wieder schloss und versuchte, gleichmäßig zu atmen.
Zum Glück hatte die Kugel durch Sherlocks Eingreifen wichtige Organe verfehlt, doch verbluten konnte er immernoch.
Als Sherlock das Geräusch von Sirenen vernahm, keimte Hoffnung in ihm auf.
"Hier, wir sind hier!", rief er und drehte sich etwas zum Eingang, ohne dabei die Hände von dem Schal, welcher sich nun ebenfalls mit dem Blut vollgesogen hatte, zu nehmen.
Rettungskräfte brachten eine Liege und hievten John hoch, ehe sie ihn eilig in den Krankenwagen brachten.
Sherlock blieb noch einen Moment lang wie betäubt sitzen, ehe er ebenfalls aufstand und sich ein Taxi nahm, um ins St. Barths zu fahren.

"Wieso hast du keine Zahl genannt?"
Vier Tage sind seit dem Aufeinandertreffen mit James Moriarty in der alten Fabrikhalle vergangen. John ging es deutlich besser, doch diese eine Frage schwirrte seit diesem verhängnisvollen Tag in seinem Kopf herum.
Sherlock ärgerte sich etwas, dass sein Freund noch nachfragte. Er hatte gehofft, dass es für ihn nicht von großer Bedeutung gewesen ist, doch damit lag er offentsichtlich falsch.
"Na das ist doch offenkundig, John", antwortete er und sah ihn an.
Der ungepolsterte Kunststoffstuhl auf dem er saß war unbequem und etwas unruhig rutschte er auf ihm hin und her.
"Egal was ich gesagt hätte, du wärst gestorben. Ich wollte Zeit gewinnen", während der Detektiv mit seiner Begründung ganz zufrieden war, zog John die Augenbrauen hoch, schwieg aber noch einen Moment.
"Und was war noch der Grund?"
Sherlocks Kiefer mahlten, er war nicht gewillt seinem Freund irgendetwas zu offenbaren. Er hatte Angst zurückgewiesen zu werden und wollte sich selbst noch nicht so recht eingestehen, dass er tatsächlich etwas für John empfand.
"Ich weiß nicht was du meinst", versuchte er sich aus der Situation herauszureden.
"Ich weiß wenn du lügst", John sah ihn herausfordernd an.
Also gut, dachte der Detektiv und sammelte seinen Mut. Er würde es ihm zwar nicht direkt sagen, doch er könnte es ja zumindest andeuten.
Er stand auf und griff nach seinem Mantel, was seinem Mitbewohner dazu brachte, die Stirn zu runzeln.
"Die Zehn auf der Skala hätte nicht gereicht, um auszudrücken, wie viel ich für dich empfinde", mit diesen Worten drehte er sich um und verließ den Raum.

Johnlock Oneshots Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt