Freundschaft hinter dem Bildschirm

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Etwas zögerlich öffnete er das Portal, welches ihm neue Bekanntschaften mit anderen Nutzern versprach. Der Junge fragte sich, warum er sich zu so etwas verleiten ließ, vielleicht sprachen auch einfach die Verzweiflung und Einsamkeit aus ihm. Er hatte keine Freunde, war immer allein auf dem Schulhof und wurde gemobbt. Und das alles nur, weil er intelligenter war als der Durchschnitt. Viel intelligenter. Mit der Fähigkeit zu deduzieren machte er sich weit mehr Feinde als Freunde. Wenn eine fremde Person nicht wusste wer er war, würde er vielleicht einen Freund finden.
Etwas neugieriger erstellte er einen Account und gab sich den Namen "Rotbart".
Es dauerte einige Tage, bis er tatsächlich begann, mit einem etwa gleichaltrigen Jungen zu schreiben, der sich den Benutzernamen "Doctor" gegeben hatte.
Sherlock schrieb gerne mit ihm, sie verstanden sich gut und er fühlte sich erstmals akzeptiert.
Nach der Schule schmiss er unachtsam seinen Rucksack in eine Ecke und überhörte geflissentlich Mycrofts verärgerte Kommentare dazu. Er wollte nur so schnell es ging zu seinem Computer gelangen, um mit dem Doctor zu schreiben, welcher ihn ebenso sehnlich zu erwarten schien. Eilig tippte er sein Passwort ein - er hatte eines erstellt, um Mycroft davon abzuhalten, seine Nachrichten zu lesen, auch wenn er wusste, dass sein großer Bruder vielleicht zwei Minuten brauchen würde, um es herauszufinden - und öffnete die Webseite, auf der ihm sogleich eine Benachrichtigung zeigte, dass er eine neue Nachricht hatte.

<Doctor> Hey, schon Schulschluss? :)

Sherlocks Herz machte einen Satz, als er die Nachricht las. Er war es nicht gewohnt, dass sich andere Menschen für ihn interessierten und deswegen freute es ihn umso mehr, dass er diese Internetfreundschaft aufgebaut hatte.

<Rotbart> Ja, endlich. Der Unterricht ist soo langweilig...

Seine Finger schienen nur so über die Tasten zu fliegen, als er die Antwort tippte. Es dauerte nicht lange und schon erschien das "schreibt..." Symbol. Abwartend starrte er auf den Bildschirm und zuckte beinahe zusammen, als die Nachricht angezeigt wurde.

<Doctor> Ja, ich mag sie auch nicht so, aber man braucht sie eben, um mal das zu arbeiten, was man möchte.

<Rotbart> Was möchtest du denn später werden?

<Doctor> Militärarzt. Den Leuten im Krieg zu helfen wollte ich schon immer.

Sherlock war beeindruckt von der Antwort. Er selbst hielt nicht so viel von seinen Mitmenschen und der Doctor wollte ihnen sogar helfen. Er konnte nicht anders, als ihn zu bewundern.

<Rotbart> Wow, das ist beeindruckend.

<Doctor> Danke ^^. Und was willst du mal werden?

Der gelockte Junge überlegte nicht lange und tippte eilig seine Antwort, während er seine Lippen zu einem breiten Grinsen verzog.

<Rotbart> Detektiv! Ich will Morde aufklären, seit ein Junge, er war Schwimmer, auf meines Erachtens merkwürdige Weise gestorben ist. Da war ich acht und seither wollte ich nichts anderes mehr werden. Außer vielleicht Pirat ;)

Kaum hatte er die Nachricht abgeschickt, bereute er seinen letzten Satz. Er kam ihm albern vor und er wollte nicht, dass der Doctor sich über ihn lustig machen würde.

<Doctor> Haha, ich wollte früher lieber ein Ritter sein :D

Erleichtert las Sherlock die Nachricht und freute sich, dass nicht nur er seltsame Berufsvorstellungen hatte, als er noch ein Kind gewesen ist. Der einzige Vergleich den er jemals gehabt hatte, war sein Bruder Mycroft, doch der schien schon von Geburt an zu der Regierung zu gehören. Es war nur eine Frage der Zeit, bis er anfangen würde dort zu arbeiten.

Monate verstrichen und Sherlock und der Doctor verstanden sich unglaublich gut. Der Lockenkopf musste sich sogar eingestehen, dass er ein wenig verknallt in seinen einzigen Freund war, dem er noch nie persönlich begegnet ist. Der Doctor wohnte in Manchester und das war zu weit weg, als dass sie sich mal eben so treffen konnten. Er wünschte sich nichts sehnlicher, als ihn einmal zu treffen, denn er hatte nichts außer die vielen Nachrichten von dem Jungen, in den er sich langsam aber sicher verliebte. Sie hatten sich ihre Namen nicht verraten, weil sie einfach Rotbart und der Doctor bleiben wollten, denn so gefiel es ihnen am besten. Manchmal wünschte der angehende Detektiv sich, dass er wissen würde, wie sein Internetfreund hieß, doch er wagte es nicht, zu fragen.
An einem besonders schlechten Schultag, an dem die Jungs aus der Footballmannschaft ihn mal wieder gedemütigt hatten, musste er einfach seinen Frust auslassen und schrieb sogleich dem Doctor.

<Doctor> Und wie war dein Tag? :)

<Rotbart> Beschissen! Ich kann die Leute meiner Schule sowieso schon nicht leiden, aber Footballer sind die aller schlimmsten! Alle Footballer sind arrogante Vollidioten, Goldfische, die nur so weit zählen können wie sie Punkte machen! Ich verabscheue sie alle!!

Wütend klickte er auf Senden und warf sich gegen seine Stuhllehne. Er fühlte sich zumindest etwas befreit von der rauchenden Wut, die ihn zuvor noch in ihren Fängen hatte. Als er sah, dass der Doctor seine Nachricht gelesen, aber noch nicht geantwortet hatte, runzelte er die Stirn. Eigentlich antwortete er immer sofort, doch diesmal schien er sich Zeit zu lassen.

<Doctor> Also hältst du mich auch für einen verachtenswerten, arroganten Goldfisch?

Die Nachricht war wie ein Schlag ins Gesicht. Sherlock hatte in seiner Wut ganz vergessen, dass der Doc Captain der Footballmannschaft war und es war zu spät, um das Getane rückgängig zu machen.

<Rotbart> Nein, so war das doch nicht gemeint!

Der Doctor ließ sich diesmal noch mehr Zeit und das brachte den Jungen beinahe um. Der Internetfreund war alles was er hatte und er hatte wahnsinnige Angst davor, ihn zu verlieren.

<Doctor> Nee schon gut. Darauf kann ich verzichten, ehrlich. Eigentlich mochte ich dich echt gern.

Sherlock konnte förmlich spüren, wie sein Herz zersprang. Er hatte soeben seinen einzigen Freund verloren, weil er etwas Dummes geschrieben hatte und er konnte es nicht mehr rückgängig machen. Er spürte, wie seine brennenden Augen sich langsam mit Tränen füllten, die bald darauf in Strömen seine Wangen hinabliefen. Der Junge war sich sicher, dass er sich noch nie so elendig gefühlt hatte.

<Rotbart> Doctor?

<Rotbart> Hey, ich weiß, dass ich dich verletzt habe, doch ich brauche dich. Bitte schreibe wieder.

Er wusste, dass es zwecklos war. Der Doctor hatte ihm seit Tagen nicht mehr geschrieben, er las auch die Nachrichten nicht mehr. Bald begann Sherlock ihm alles Mögliche aus reiner Verzweiflung zu schreiben. Oft saß er einfach mit leerem Blick vor dem Computer und starrte auf die letzte Nachricht seitens des Doc, welche ihm so viel Lebensenergie geraubt hatte.

<Rotbart> Es klingt vielleicht verrückt, aber du bist über die Zeit das Wichtigste für mich geworden.

<Rotbart> Bitte geh on.

<Rotbart> Bitte verzeihe mir.

<Rotbart> Ich brauche dich.

<Rotbart> Ich liebe dich.

Doch er schrieb nicht. Tage später nicht, Wochen und auch Monate später nicht. Sherlock hatte den Chat längst verlassen, er las ihn nicht mehr durch, wie er es so oft getan hatte und er schrieb ihm auch nicht mehr.
Doch dadurch war er auch unbehelligt über die Tatsache, dass der Doctor alle Nachrichten gelesen hatte.

Fortsetzung folgt...

Johnlock Oneshots Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt